Ist das Minsker Abkommen gescheitert?

Die Separatisten haben vermutlich Debaltseve eingekesselt, die Frage ist, ob sie die Offensive fortsetzen wollen und der Krieg eskaliert

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Die Separatisten haben offenbar weitgehend die lange umkämpfte Stadt Debaltseve eingenommen, nachdem die ukrainischen Milizen bereits den Flugplatz von Donezk räumen mussten, der nur noch ein Trümmerhaufen ist - Symbol für den Zustand in der Ostukraine. Zwar wird von manchen gemunkelt, die Separatisten würden nun in einem Siegesrausch weiter nach Charkow oder auch nach Mariupol vorrücken, womit sie schon länger drohen. Allerdings kann die "Begradigung" der Frontlinie für die Separatisten auch ein strategisches Ziel gewesen sein, um einen Waffenstillstand zu akzeptieren. Der ukrainische Präsident Poroschenko geißelte gegenüber der Bundeskanzlerin die Kämpfe als "zynischen Angriff auf das Minsker Abkommen".

Gestern wollte die OSZE-Beobachtermission, so berichtete deren Leiter, ihr Mandat wahrnehmen und die Stadt besuchen. Aufgrund des Raketenbeschusses und anderer Schießereien habe die Mission beide Seiten aufgefordert, sich wechselseitig die Einhaltung des Waffenstillstands zu bestätigen: "Ich bedaure, dass nicht alle in der Lage waren, dies zu tun. Als Folge wurde das Mandat kompromittiert." Verurteilt werden alle Versuche, neue Fakten zu schaffen und so die Grundlage des Abkommens zu verändern. Die "Volksrepubliken" hätten Sicherheitsrisiken angeführt, was der Leiter der OSZE-Beobachtermission so interpretiert, dass sie damit den Zugang zur Stadt verweigert hätten. Er fordert, sofort die Offensive einzustellen. Nun soll heute der Besuch stattfinden, wenn beide Seiten gegenseitig die Einhaltung des Waffenstillstands garantieren. Das dürfte nicht geschehen. Es werden schwere Konsequenzen angedroht.

Die Bundesregierung verhält sich zurückhaltend angesichts mangelnder Möglichkeiten, wirklich Einfluss ausüben zu können:

Zu den Kämpfen um den Ort Debalzewe hatte Regierungssprecher Steffen Seibert in der Regierungspressekonferenz am Montag erklärt: "Diese Kampfhandlungen müssen Sorgen bereiten." Die Basis sei, dass die Waffenruhe anhalte und mahnte: "Darauf kann man nur aufs Dringlichste hinwirken."

Kriegsgefangene oder sich ergebende ukrainische Soldaten? Bild: YouTube

Wie schon letzten Sommer, als ukrainische Soldaten auch bereits in einem Kessel an der russischen Grenze eingeschlossen und teils über Russland geflüchtet waren, war die ukrainische Armee offenbar nicht in der Lage, den 5000-8000 Soldaten zur Hilfe zu kommen. Noch am Montag hatte man in der Leitung der für den Kriegseinsatz zuständigen ATO(Antiterroroperation) den Ernst der Lage geleugnet, gestern wurde von einer schwierigen Lage gesprochen, die sich stündlich ändere, mittags hieß es, die Angriffe seien zurückgeschlagen worden. Zurückgewiesen wird "russische Propaganda", nach der sich ukrainische Soldaten ergeben hätten. Dabei zeigte das russische Fernsehen bereits Bilder von Separatisten in Debaltseve und unbewaffnete ukrainische Soldaten, die sich offensichtlich ergeben haben und Verletzte und Tote mit sich führen. Aus dem ukrainischen Generalstab wurde wahrheitsgemäß gemeldet, dass Separatisten in die Stadt vorgedrungen seien und sie von den Separatisten eingekesselt worden sei. Medien berichten, dass auch ukrainische Soldaten dies bestätigt haben. Erst am späten Nachmittag wird die Lage von der ATO-Führung realistisch geschildert.

Separatisten hatten bereits die Öffnung eines Korridors angeboten, um die Eingeschlossenen abziehen zu lassen, allerdings unter Zurücklassung von Waffen und schwerem Gerät. Die Soldaten versuchen angeblich unter hohen Opfern aus dem Kessel auszubrechen, es sollen bereits Hunderte von Gefangenen gemacht worden sein. Medien berichten, dass die ukrainischen Streitkräfte Verbände zusammenziehen, um eine Gegenoffensive zu starten.

Separatisten angeblich in Debaltsewe.

Der russische Präsident Putin forderte Kiew auf, die Soldaten abziehen zu lassen. Das wird man dort aber nicht zulassen, weil dies das Eingeständnis einer Niederlage wäre. Besonders schwer dürfte dies für den ukrainischen Präsidenten Poroschenko sein, der gegen die Falken in der eigenen Regierung und unter Umgehung der US-Regierung mit Russland und den Separatisten ein zweites Minsker Abkommen und den Waffenstillstand ausgehandelt hatte. Kurz nach Amtsantritt hatte Poroschenko bereits versucht, durch einen einseitig ausgerufenen Waffenstillstand den Krieg zu beenden. Der Waffenstillstand des ersten Minsker Abkommens wurde praktisch gar nicht umgesetzt.

Jetzt steht die Einhaltung auf Biegen und Brechen. Vermutlich müsste die Ukraine einlenken, was aber viele als Verrat und als Unterwerfung unter Russland verstehen würden. Allerdings wäre die Tasche in das Gebiet der "Volksrepubliken" wohl stets ein Anlass zu neuen Konflikten geworden. Zu erwarten ist, dass die Gegner des Waffenstillstands nun lauter werden, vermutlich dürfte der Druck wachsen, die Ukraine mit Waffen zu unterstützen. Präsident Poroschenko hat bereits vor wenigen Tagen den Ex-Präsidenten von Georgien zu seinem Sonderberater ernannt, ein deutliches Zeichen für die verfolgte Politik (Ukraine will trotz vereinbartem Waffenstillstand Waffen aus dem Westen).

Saakaschwilli ist durch eine der "bunten", von den USA geförderten Revolutionen an die Macht gekommen und hat wohl auch auf Anraten aus Washington Georgien 2008 in den Krieg mit Russland geführt. Die damalige US-Regierung unter Präsident Bush hat nicht nur beschlossen, den Raketenabwehrschirm an die Grenze Russlands zu setzen, sondern wollte auch die Ukraine und Georgien in die Nato aufnehmen, was damals noch am Widerstand Deutschlands und Frankreichs scheiterte. Offenbar ist Saakaschwili gewillt, diesen Konfrontationskurs fortzusetzen. Er sieht seine erste Aufgabe darin, Waffenlieferungen aus dem Westen zu koordinieren. In Georgien ist der zum Autoritären neigende Ex-Präsident mittlerweile unbeliebt, es bestehen Anklagen wegen Machtmissbrauch. Er hat Zuflucht in den USA gefunden, wo er offenbar in die Ukraine vermittelt wurde. Der Generalstaatsanwalt Georgien hat von der Ukraine die Auslieferung von Saakaschwilie gefordert, was die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft abgelehnt hat. Der Konflikt könnte für die US-Regierung heikel werden, die weiterhin drängt, die Ukraine, Georgien und Moldawien in die Nato aufzunehmen, um Russland einzukesseln. Rechtstaatlichkeit scheint dabei keine Rolle zu spielen, es geht um Geopolitik.

Der durch den Konflikt zwischen den USA und Russland blockierte Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat gestern eine Resolution beschlossen, in der das zweite Minsker Abkommen bekräftigt wurde. Aufgefordert werden alle Parteien das Abkommen umzusetzen, den Waffenstillstand einzuhalten und den ungehinderten Zugang der OSZE-Beobachter zu gewährleisten. Bewirken wird dies nicht viel, es war zudem eine Initiative der russischen Regierung, die offenbar das Minsker Abkommen befürwortet, weil damit für die "Volksrepubliken" eine gewisse Autonomie gesichert wäre und die Schließung der Grenze nach Russland ganz nach hinten verschoben würde.