Griechenland: "Es ist nicht die Zeit, um zu spielen"

Foto: Wassilios Aswestopoulos

In Athen regt sich kaum jemand über Grexit-Drohungen auf

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Nach den erneuten Scheitern der Eurogruppe schaltet die griechische Regierung weiter auf Attacke. "Schäuble sollten die Nationen leid tun, in denen die Menschen mit gesenktem Kopf durch die Straßen laufen" konterte Alexis Tsipras selbstbewusst die Aussage des Bundesfinanzministers. Wolfgang Schäuble hatte zwei Tage zuvor sein Bedauern darüber Ausdruck verliehen, dass die Griechen seiner Ansicht nach die falsche, weil verantwortungslose Regierung gewählt hätten. Taktisch klug entschuldigte Tsipras sich am Dienstag öffentlich bei Schäuble. Die Parteizeitung Avgi hatte den Bundesfinanzminister wenig geschmackvoll als KZ-Aufseher karikiert. "Das gefällt uns nicht", rügte Tsipras seine Journalisten. Im gleichen Atemzug spottete er, dass Schäuble seine Contenance verloren habe.

In der gesamten internationalen Presse wird derweil über den Grexit diskutiert - wie aber sehen es die betroffenen Griechen? Die meisten bewundern in einer Art Massenhysterie den neuen Finanzminister Yanis Varoufakis. Fast messianisch wird er als "derjenige, der den Europäern mal endlich die Meinung sagt", verehrt. Seine Gegner, die vor allem aus der Nea Dimokratia stammen, hassen ihn umso mehr. In der internationalen Presse wird er aktuell als ausgebuffter Pokerspieler porträtiert.

Varoufakis und die Spieltheorie

Der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis antworte über die amerikanische Presse, "es [sei] nicht die Zeit für Spiele in Europa". Finanzminister Varoufakis hat den Griechen beigebracht, über Finanzen und Wirtschaft zu diskutieren, ohne immer alles in Zahlen zu fassen. Genau diese Fähigkeit, wirtschaftliche Zusammenhänge als Mechanismen und nicht als Zahlenkolonnen zu erklären, brachte ihm erst die Popularität, welche ihn auf den Ministersessel hievte.

Varoufakis ist in Griechenland dafür bekannt, dass er Dinge beim Namen nennt und Euphemismen mit Vehemenz als Lügen entlarvt. Nicht nur bei der Kleidung, auch beim Dialog verhält sich der Professor unkonventionell. Schließlich ist bereits seine Namensschreibung ein Affront für Rechtschreibfanatiker. Varoufakis besteht darauf, dass sein Vorname Yanis mit einem "n" geschrieben wird. Als Vergleich für Deutsche mag dienen, dass Johanes mit einem "n" eine ähnliche Namensrevolution wäre.

Umso weniger wundern sich die Griechen darüber, dass die ausländische, vor allem aber die deutschsprachige, also auch ein Teil der schweizerischen Presse nun über Varoufakis herzieht. Zu Beginn der Krise wurde der gleiche Varoufakis übrigens größtenteils von den gleichen Presseerzeugnissen gefeiert, die ihn nun verteufeln. Der Ökonom hatte bereits vor der Euroeinführung das heutige Dilemma prophezeit.

In den griechischen Medien glänzte der von früheren Regierungen lange als "Kassandra" beschimpfte Ökonom dadurch, dass er seit 2006 im Speziellen und seit 2010 im Allgemeinen jede wirtschaftliche Entwicklung im Land korrekt vorhergesagt hatte. Die Bezeichnung als Kassandra trifft demnach zu. Denn ebenso wie die Prophezeiungen der Seherin, die Troja vor Odysseus List gewarnt hatte, blieben Varoufakis Warnungen in Griechenland lange ungehört. Heute kann in Griechenland niemand mehr an seinen früheren Vorhersagen zweifeln. Sie traten ein.

Foto: Wassilios Aswestopoulos

Knapp ein Drittel der wirtschaftlich aktiven Griechen ist arbeitslos, ein Drittel der Bevölkerung krebst an der Armutsgrenze oder darunter. Die von Varoufakis nur Zombies genannten Geldinstitute können der Realwirtschaft trotz der Milliardenspritzen der EZB keine Liquidität zuführen. Das wenige Geld, welches sie zum Wirtschaften hatten, liehen sie dem griechischen Staat über kurzfristige Anleihen, damit dieser staatliche Schuldverschreibungen bezahlen konnte. Denn die Milliarden der zweiten Kreditpakets, um die es bei den aktuellen Diskussionen geht, sind seit vielen Monaten überfällig. Die Kreditgeber zögerten die Zahlung mit immer neuen Forderungen immer weiter hinaus.

Die Mehrzahl der Griechen kann im Winter nicht heizen. Ein Drittel des Volks hat wegen des Fehlens jeglicher Sozialstaatseinrichtungen keinerlei Krankenversicherung. Selbst Versicherte können nicht auf eine Behandlung hoffen, denn den kaputt gesparten Krankenhäusern fehlt es an Personal, Medizin, Geräten und sogar an Bettlaken und Toilettenpapier. In den Konzentrationslager genannten Einrichtungen, in denen die Griechen wegen des europäischen Dublin-II-Abkommens Flüchtlinge und Asylsuchende einsperren, sieht es noch dramatischer aus. Premierminister Tsipras und Yanis Varoufakis bezeichnen diese Horrorgeschichten als humanitäre Katastrophe. Sie möchten dagegen Maßnahmen ergreifen.

Foto: Wassilios Aswestopoulos