Poroschenko lässt ukrainische Soldaten aus Debaltseve abziehen

Es sei ein "geordneter" Rückzug, die Armee sei erfolgreich gewesen, Poroschenko drängt im Gegenzug auf Waffenlieferungen und verschärftes Vorgehen gegen Russland

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Der ukrainische Präsident Poroschenko hat heute erklärt, dass die ukrainischen Verbände aus Debaltseve (Debalzewo) abgezogen wurden. 80 Prozent der Truppen hätten sich "geplant und organisiert" bereits zurückgezogen, es würden noch zwei Verbände fehlen. Die Soldaten der Armee und der Nationalgarde seien mit allen Waffen abgezogen, betonte er ausdrücklich. Die Separatisten hatten die Öffnung eines Korridors angeboten, allerdings unter der Bedingung, dass die Soldaten ihre Waffen zurücklassen.

Separatisten hissen die Neurusslandflagge über Debaltseve. Bild aus dem Video

Die ukrainischen Streitkräfte hätten ihre Aufgaben vollständig erfüllt. Der "Erfolg" sei im Verlauf der Minsker Gespräche "für uns dringend erforderlich" gewesen. Man habe der Welt "das wahre Gesicht der von Russland unterstützten Banditen" zeigen können. Während die Separatisten erklärt hatten, Debaltseve mit den Soldaten eingekesselt zu haben, versichert Poroschenko: "Debaltseve war unter unserer Kontrolle, es gab keine Einkesselung und unsere Truppen verließen das Gebiet auf geplante und organisierte Weise mit allen schweren Waffen." Den Rückzug bewertet Poroschenko als "starken Beweis für die Kampfbereitschaft der Streitkräfte und die Leistung des militärischen Kommandos". Man habe die Kontrollposten auf die neue Verteidigungslinie zurückgezogen und den Brückenkopf zur Verteidigung des Staates gehalten. Trotz des Beschusses habe es nur 30 Verletzte unter den 2000 Soldaten gegeben. Einen Grund für den Rückzug nannte Poroschenko nicht.

Nach Angaben der Separatisten haben die ukrainischen Soldaten in Debaltseve hingegen große Verluste erlitten. Das bestätigt auch der Chef der Donbass-Miliz Simon Semenchenko. Er sprach von 167 Verwundeten, die abtransportiert worden seien, die Zahl der Toten sei nicht bekannt. Die Separatisten bestätigen den Abzug der meisten ukrainischen Soldaten, es gebe aber noch Kämpfe in der Stadt. Gemeldet wird stolz, dass die Flagge von Neurussland in Debaltseve gehisst worden sei.

Gestern hatte der russische Präsident Putin Poroschenko aufgefordert, die ukrainischen Truppen aus Debaltseve abzuziehen. Dies dürfte aber nicht der Anlass für den Beschluss gewesen sein, was Poroschenko auch strikt zurückweist, vermutlich war die Lage der weitgehend eingeschlossenen Soldaten zu aussichtslos. Der ukrainische Präsident sagte, er habe sich gestern zu dem Schritt entschlossen, nachdem sie Separatisten die OSZE-Beobachtermission nicht in die Stadt gelassen haben. Man wird Poroschenko in der Ukraine nun wieder Verrat und Unterwerfung unter Russland vorwerfen, aber der Truppenrückzug war wohl vernünftig. Nun kann Poroschenko demonstrieren, das Minsker Abkommen im Gegensatz zu den Separatisten einzuhalten und nicht alles auf die militärische Karte zu setzen.

Um Solidarität mit den Soldaten und seine weitere Kampfbereitschaft unter Beweis zu stellen, reist Poroschenko an die Front, um die Rückkehrer zu begrüßen. Und man muss annehmen, dass er für seinen Schritt Gegenleistungen erhalten will. So hat er heute bereits in einem Gespräch mit dem US-Vizepräsidenten Biden gefordert, die USA sollten nun schnell ihre Äußerungen umsetzen und Waffen - "zusätzliche Mittel zur Verstärkung der Verteidigung der Ukraine" - liefern. Biden und Poroschenko stellten fest, dass die Separatisten durch permanenten Raketenbeschuss vor allem in Debaltseve den Waffenstillstand verletzt haben. Gegenüber der Bundeskanzlerin sagte er in einem Telefongespräch, der Angriff auf Debaltseve sei ein "zynischer Angriff auf das Minsker Abkommen" gewesen. Er forderte die EU und die Weltöffentlichkeit auf, nun energisch auf die "perfiden Aktionen der Militanten und Russlands" zu antworten.

Auch die Bundesregierung verurteilt "entschieden" den Angriff der Separatisten auf Debaltseve, so Regierungssprecher Seibert in der Regierungspressekonferenz. Es sei eine "massive Verletzung der Waffenruhe". Man müsse nun alles dafür tun, das Minsker Abkommen umzusetzen. Wieder wird mit weiteren Sanktionen gedroht. Gestern hatte der UN-Sicherheitsrat einstimmig eine Resolution beschlossen, in der sich alle hinter den Maßnahmenkatalog des Minsker Abkommens stellen und alle Konfliktparteien auffordern, umgehend den Waffenstillstand einzuhalten.