"Eine lange Küste gegenüber den Kreuzzugsstaaten"

Bilder der IS-Autoparade in Libyen. Oben links ist das Logo von Ansar-al-Scharia

Ein Propaganda-Strategiepapier preist die Vorzüge Libyens für den IS

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Am geschickten Ausnutzen von Kommunikationskanälen hängt viel Erfolg, das wissen die Propagandisten des IS sehr gut und seine Gegner tun sich schwer, wie das bei Twitter zu beobachten ist. Seit die Propaganda-Abteilung des "Kalifats" ein Video in Umlauf gebracht hat, das IS-Mörderrituale an mittelosen, ägyptischen Fremdarbeitern in Libyen vorführt, rückte die Frage, was passieren könnte, wenn der IS Libyen erobert, ganz weit nach vorne. Immerhin ist Europa nicht so weit von der libyschen Küste entfernt, wie nicht besonders seetüchtige Flüchtlingsboote unzählige Male vorgeführt haben.

Für den IS kommt der Wechsel der Aufmerksamkeit gelegen, lenkt er doch von Niederlagen wie in Kobanê ab und davon, dass die Luftangriffe der Anti-IS-Koalition den IS-Kämpfern möglicherweise doch ziemlich zusetzen, das Chaos Libyen als Ablenkung von nicht so guten Nachrichten in Syrien und dem Irak bietet sich an.

In den Twitter-Experten-Korridoren wird weitergetragen, dass Mitarbeiter der IS-Propagandastelle nun den Verbündeten in Libyen helfen. Manche machen darauf aufmerskam, dass sich wiederholt, was zuvor schon in Syrien und Irak Propagandamuster war. Seit gestern werden erste Hochglanzbilder einer Parade von IS-beflaggten Fahrzeugen in Sirte, Libyen, rausgeschickt und dazu Videos des Konvois.

Manche Bilder lassen eine Zusammenarbeit mit der Media-Abteilung von Ansar-al-Scharia erkennen. Einiges fand sich angeblich schon vor einiger Zeit in einer Parade der al-Ansar als Scharia. Damit sind zumindest die Verhältnisse ziwschen IS und der libyschen, islamistischen Rebellengruppe einigermaßen klar offen gelegt.

Bilder der IS-Autoparade in Libyen. Oben links ist das Logo von Ansar-al-Scharia

In den Kontext Propaganda gehört auch ein Schriftstück, das in den letzten Tagen als "IS-Strategiepapier zu Libyen" kursierte und von großen Medien, wie der Washington Post, herangezogen wurde, um zu erklären, warum Libyen für den IS so wichtig ist und weshalb das Auftreten der IS-Milizen in Libyen Anlass zu großer Sorge gibt.

Unter die Flüchtlinge mischen und Europa angreifen"

Quilliam, der sich selbst als der weltweit erste "counter-extremism think tank" bezeichnet, hat das Strategiepapier "Libyen: Strategic Gateway for the Islamic State" aus dem Arabischen ins Englische übersetzt. Die darin geäußerten Kernpunkte sind einfach: Der IS sollte sich beeilen, in Libyen Fuß zu fassen, weil das Land durch Gaddafi ein immenses Waffenlager ist, der Schlüssel zu Äypten, Tunesien und Algerien, sowie weiter nach Afrika hinein, zum Sudan, Tschad und Niger. In Mali hätten Dschihadisten schon bewiesen, dass mit ein wenig Waffen aus dem Arsenal Gaddafis sehr schnell große Eroberungszüge zu machen sind.

Dazu habe Libyen "eine lange Küste, die auf die südlichen Kreuzügler-Staaten schaut, die leicht mit einem einfach ausgestatteten Boot zu erreichen sind". Es sei leicht, sich unter die Flüchtlinge zu mischen, um Europa anzugreifen. Außerdem bietet die libysche Küste Möglichkeiten, Schiffahrtslinien und Öltanker zu attackieren.

Die Quelle des Papiers ist, wie der Quilliam-Autor Charly Winter selbst hinweist, nicht der IS, sondern ein bekannter Anhänger des IS. Name und Quelle werden im Quilliam-Dokument nicht genannt. Man findet das arabische Papier im Blog von Abu Irhim al-Libi, der für Übertreibungen bekannt ist, eine schwache Quelle und ein "Fanboy", kommentiert die Expertenrunde.

Die Frage wäre, welche Rolle es spielt, ob das Papier von einem Fan-Boy oder aus der offiziellen IS-Medienabteilung stammt. Die Überlegungen dürfte es unter IS-Milizen auch geben. Dass mit solchen Dokumenten Furcht verbreitet wird, wird sie auch nicht stören. Relevant wäre, wie groß die Chancen zu einer Eroberung wichtiger Zone in Libyen sind. Das ist angesichts der unübersichtlichen Fronten mit flüchtigen Allianzen, die die Kämpfe in Libyen prägen, denen lokale Konflikte, Stammeskonflikte, alte Territorialkonflikte, persönliche Gegnerschaften -"alte Rechnungen" - und religiöse Konflikte zugrundeliegen, schwer einzuschätzen.

Geht es nach Informationen des Betreibers des Long War Journals, Thomas Joscelyn, so wird der IS in Libyen zwar stärker, aber viele Zonen, die er auf dem Papier schon zur Gänze beansprucht, so etwa Derna, seien noch immer umkämpft. Die Realität, die Basis, worauf sich der IS in Libyen stützen könne, bleibe hinter dem zurück, was man den Anhängern suggerieren möchte.

Interessant ist im Zusammenhang der Darstellung von Wirklichkeiten in Libyen die Bitte, welche die von der UN anerkannte Regierung in Tobruk an den Sicherheitsrat stellte: Man brauche mehr Waffen. Ägypten, das sich zunächst hinter diese Forderungen stellte, stieg später aus, weil im letzten Resolutionsentwurf keine die Rede mehr von einer "Forderung nach einer militärischen Intervention" war.