"Befugtes Spionieren"

Sebastian Heiser und das Redaktionsgeheimnis

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Letzte Woche wurde bekannt, dass der investigative Journalist Sebastian Heiser die eigenen Kollegen bei der SZ ausspionierte. Dabei machte er verdeckte Tonaufnahmen, die er auch auf seinem Blog verbreitet. Heiser sieht sich durch die Pressefreiheit zur Spionage "befugt".

Sebastian Heiser ist in der überschaubaren Szene der investigativ recherchierende Journalisten kein Unbekannter. In der Rolle eines vermeintlichen PR-Agenten machte er als Mystery-Shopper den Anzeigenabteilungen großer Zeitungsverlage schmutzige Angebote und deckte dabei auf, wie einfach sich Schleichwerbung platzieren lässt.

Heute ist klar, wie Heiser auf die Idee seiner Recherche kam: So berichtet er in seinem Blog, derartige Käuflichkeit als Journalist bei der Süddeutschen Zeitung selbst erlebt zu haben. Als sich die Süddeutsche mit den Swiss-Leaks als "Weißer Ritter" gebärdete, war für Heiser offenbar das Maß voll. Ihm zufolge soll die Süddeutsche Zeitung das Geschäft sogar beworben haben.

Heiser bediente sich schon früher bei seinen verdeckten Recherchen klandestiner Methoden wie versteckter Kameras und heimlichen Tonaufzeichnungen. Grundsätzlich ist das "unbefugte" Abhören, Aufzeichnen und Zugänglichmachen nicht öffentlich gesprochenen Worts sogar strafbar. Die Rechtsprechung macht bei verdeckten Recherchen von Journalisten allerdings Ausnahmen.

Heiser beruft sich auf ein (etwas unglücklich formuliertes) Urteil des OLG München, in dem die (Zivil-)Richter solche Ausnahmen in den Begriff "unbefugt" hineinlesen. Im strafrechtlichen Sinne handelt jedoch nur "befugt", wem dies vom Gesetz erlaubt ist - etwa Strafverfolgungsbehörden und Nachrichtendienste. Daher wäre in seinem Fall der Straftatbestand sehr wohl verwirklicht.

Eine andere Frage ist, ob der Unbefugte rechtswidrig handelte. Anders als etwa die Wahrnehmung berechtigter Interessen im Beleidigungsrecht ist für Undercover-Journalismus keine gesetzliche Rechtfertigung normiert. Jedoch kann im konkreten Fall das Handeln eines Journalisten durch sogenannte "allgemeine Rechtfertigungsgründe" gerechtfertigt sein, zu denen auch die Verwirklichung der Pressefreiheit gehören kann, die im über dem Strafrecht stehenden Grundgesetz garantiert wird.

Was die Richter dabei wohl eigentlich meinten, ist eine Abwägung zwischen miteinander kollidierenden Grundrechten, die beide gleichermaßen vom Grundgesetz geschützt sind - wie etwa Persönlichkeitsrechte und Pressefreiheit. Anders als eine pauschale Annahme einer Befugnis haben Journalisten deshalb keinen Freibrief. Vielmehr muss in jedem Einzelfall darüber gestritten werden, ob ein hinreichend schützenswertes Berichtsinteresse (etwa über einen gravierenden gesellschaftlichen Missstand) vorliegt und die Informationen oder Dokumentationen nicht zumutbar anders gewonnen werden können. Dann kann ausnahmsweise das Grundrecht der Pressefreiheit die durchaus auch grundrechtsrelevanten Rechte wie die Vertraulichkeit des gesprochenen Worts überwiegen.

Ob das der Fall ist, muss allerdings stets im Einzelfall festgestellt werden. Anders als im von Heiser zitierten Urteil, bei dem Journalisten einen zwielichtigen Unternehmensberater ausforschten, bewegten sich seine Recherche auf einem Terrain, das ebenfalls einen besondern Schutz genießt: Heiser brach das Redaktionsgeheimnis.

Lex Wallraff

Wer innerhalb der Presse selbst ermitteln will, muss schon gute Gründe aufbieten (und insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei der Wahl der Mittel beachten). Das Redaktionsgeheimnis ist zwar gesetzlich nicht normiert, folgt aber ebenfalls aus dem Grundrecht der Pressefreiheit. So können Journalisten ihren grundrechtlich erwünschten Auftrag nur dann sinnvoll wahrnehmen, wenn die innerbetriebliche Sphäre vor der Öffentlichkeit geheim gehalten wird, um dadurch den Redaktionen den für deren Arbeit notwendigen Bereich der Vertraulichkeit zu sichern. Zudem gehört ein Mindestmaß an Vertraulichkeitsschutz zu den Grundlagen nicht nur jedes Arbeitsverhältnisses, sondern jeder unternehmerischen Betätigung. Das gilt insbesondere für die redaktionelle Arbeit einer Zeitung, die zum Schutze ihrer Informanten auf Vertraulichkeit besonders angewiesen ist.

Erstritten hat diese Ausnahme-Rechtsprechung 1984 Journalistenlegende Günter Wallraff, der einst die Käuflichkeit der BILD-Zeitung undercover recherchierte. In seiner Reportage Der Aufmacher veröffentlichte Wallraff auch Originaldokumente und Interna aus der Redaktion. Der damals hohen Klagefreudigkeit der bloßgestellten Springerpresse sind die Grundsatzurteile zu verdanken, die Undercover-Journalisten große Freiheiten bei verdeckten Recherchen einräumen.

Doch die Freiheit ist nicht grenzenlos. So scheiterte der Axel Springer-Verlag zwar mit den meisten seiner Unterlassungsansprüchen, konnte jedoch am Bundesverfassungsgericht einen Teilerfolg verbuchen:

Die Verfassungsrichter untersagten nämlich die vom Bundesgerichtshof durchaus für zulässig gehalten Passagen, welche die Wiedergabe der Redaktionskonferenz zum Inhalt hatten:

Der Wahrung der redaktionellen Vertraulichkeit kommt zum Schutz der Redaktionsmitglieder, der Informanten, des Presseunternehmens und seiner Tätigkeit elementare Bedeutung zu. Werden unter Verletzung dieser Sphäre Inhalt und Ablauf einer Redaktionskonferenz - durch Wiedergabe in wörtlicher Rede mit dem Anspruch auf Authentizität - veröffentlicht, so muß dies als ein schwerer Nachteil für die Beschwerdeführerin angesehen werden. […] Der Funktion der freien Presse im demokratischen Staat entspricht ihre verfassungsrechtliche Stellung. Als subjektives Recht gewährleistet die Pressefreiheit den im Pressewesen tätigen Personen und Unternehmen Freiheit von staatlichem Zwang. In ihrer objektiven Bedeutung schützt sie die "institutionelle Eigenständigkeit" der Presse von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung der Nachricht und der Meinung.

Diese Argumentation überzeugte übrigens auch Wallraff, wie er nach dem erbittert geführten Rechtsstreit einräumte.

Wie sieht es nun für Heiser aus? Die Käuflichkeit von Journalisten angesehener Redaktionen wie der der Süddeutschen ist ein Thema von hohem Gewicht. Es spricht einiges dafür, dass Heiser (etwa durch Sounddateien auf seinem Blog) auch gegenüber der Öffentlichkeit den Beweis dafür führen durfte, dass er die Wahrheit sagt. Ob dabei die Verhältnismäßigkeit gewahrt wurde, muss für jede Maßnahme jeweils einzeln geprüft werden.

Keylogger

Doch letzte Woche wurde in der Taz-Redaktion ein Keylogger entdeckt, der verdeckt alle Tastatureingaben mitschneiden kann. Sofort zeigen nun alle Finger auf den investigativen Journalisten, der für Kolportagen aus der eigenen Zunft bekannt ist. Denn auch das eigene Haus soll er der Tageszeitung Die Welt zufolge mit Vorwürfen über schlechte Bezahlung von Praktikanten und Sonderseiten kritisiert haben, die als Umfeld für Anzeigen gestaltet werden. Heiser bestreitet offenbar den Einsatz des Keyloggers - entgegen seiner fundamentalen Forderung nach Transparenz scheint er Presseanfragen derzeit nicht zu beantworten.

Der Einsatz eines solchen Keyloggers, der einem Spion (etwa über abgefischte Passwörter) den Zugang zu privatesten Dingen ermöglicht und gegebenenfalls Informanten von Kollegen preisgibt, ist strafbar. Presserechtlich wäre derartige Abhörtechnik bei verdeckter Recherche zu einem erheblichen Missstand allenfalls dann irgendwie theoretisch diskutabel, wenn sie gezielt eingesetzt würde. Zu einem Fischzug wie monatelanges Mitschnorcheln im NSA-Stil allerdings ist garantiert kein Journalist befugt.

Hardware-Keylogger. Foto: Publix Domain.

Auch, wenn Heiser nun im Zwielicht steht, gilt für ihn die Unschuldsvermutung. In der Taz waren durchaus schon professionelle Spitzel unterwegs - darunter V-Leute aus dem Ministerium für Staatssicherheit und dem Verfassungsschutz. Und da Heiser auch brisante Themen behandelt und sich etliche Feinde gemacht hat, kann nicht per se ausgeschlossen werden, dass jemand ein illegales Auge auf die Redaktionsräume wirft oder ein Ei legt. So manche Abhöraffäre hatte in Wirklichkeit einen harmlosen Hintergrund.

Vorliegend allerdings sieht es nach einem Problem mit einem Insider aus, das eine zeitliche Koinzidenz aufweist. Nach einem Bericht der Morgenpost soll nach Heisers Abgang bei der Taz eine äußere Tür aufgebrochen worden sein, während die innere Tür unversehrt blieb, die sich über einen redaktionsbekannten Code öffnen ließ.

(Disclosure: Der Autor ist in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt für den im Text genannten Journalisten Günter Wallraff tätig und frühstückt auch schon mal im Taz-Café.)

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