Der ukrainische Präsident verletzt die Verfassung

Poroschenko müsste sich - und hat dies auch versprochen - von seinen Unternehmen trennen, aber der angeblich gegen Korruption kämpfende Oligarch scheint nicht zu wollen

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Der ukrainische Präsident Poroschenko liebt gelegentlich große Worte, wenn es um das Schicksal eines Landes geht. Der gerne militärische Interventionen befürwortende französische Autor Bernard-Henri Levy hat in Kiew ein Theaterstück über die "Revolution der Würde" aufgeführt, die Poroschenko besuchte. Am Schluss bedankte er sich bei Levy und sagte, so heißt es auf seiner Website, die Ukraine sei Schlachtfeld, auf dem das Schicksal des modernen Europas entschieden werde: "Europa kann nicht ohne die Ukraine leben. Ukraine wird Europa retten, und daran glaube ich."

Präsident Petro Poroschenko liebt die großen Gesten wie hier auf der Gedenkfeier für die "Himmlischen Hundert" am 20. Februar. Bild: president.gov.ua

Nun gut, erst einmal muss wohl Europa die Ukraine finanziell retten, was allerdings einhergeht mit Sparprogrammen wie man sie auch aus Griechenland und anderswo kennt. Europa und die USA haben auch den Kosovo gerettet, die Region von Serbien, mit Russland verbunden, abgespalten und zum unabhängigen Land mit einer zunächst ziemlich korrupten Regierung werden lassen. Diese Rettung hat dem Kosovo aber bislang nicht wirklich gut getan. Jetzt suchen die Menschen ihr Heil in der EU. Das könnte auch eine Lehre für die Ukraine sein - und für die EU, zumal vor 15 Jahren die rot-grüne Regierung mit der Visa-Affäre und mit dem "Volmer-Erlass" durch die Zuwanderung von vielen Ukrainern schon einmal in Schwierigkeiten geriet.

Poroschenko ist bekanntlich Oligarch und damit schwer reich. Oligarchen haben seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion die Ukraine beherrscht und sind im Zuge dessen nicht notwendig mit sauberen Mitteln reich geworden. Eine politische Kultur hat sich in der Ukraine nicht etablieren können, die Parteien sind Zweckbündnisse zur Machterhaltung von Cliquen oder von einzelnen Oligarchen. Die Geschichte der Ukraine nach 1990 ist durch eine Vielzahl von Parteien gezeichnet, die eigentlich kein Programm haben, und von einer politisch-wirtschaftlichen Klasse, die schnell von einer Partei zur anderen wechselt und bei Bedarf neue gründet, wie dies auch Poroschenko mit seinem Block und Jazenjuk mit seiner Volksfront gemacht haben. Die Parteien stehen für nichts, es sind Vehikel, daher konnten in den Block und vor allem in die Volksfront auch viele Rechtsnationalisten eintreten. Poroschenko war übrigens auch unter Janukowitsch Wirtschaftsminister.

Die von Poroschenko so vertretene "Revolution der Würde" wollte eigentlich, so war es zumindest die Lesart mancher westlichen Unterstützer und sicher vieler Teilnehmer, dem korrupten System ein Ende setzen. Dumm war nur, dass in der Krisenzeit offenbar viele Ukrainer glaubten, dass ein Oligarch weniger korrupt ist als ein weniger reicher Politiker, weil er ja schon viel Geld hat. Im Fall von Poroschenko wird sein Vermögen auf mehr als 1,5 Milliarden US-Dollar geschätzt. Aber Poroschenko stammt nicht nur aus der politisch-wirtschaftlichen Klasse der Ukraine - ebenso wie Jazenjuk und andere Mitglieder der Regierung -, er hat auch keinen Willen dies zu verändern. Poroschenko, der mit der Orangen Revolution sympathisierte, war auch schon mal mit der Partei der Regionen verbunden und hatte auch bereits Ministerämter inne. Er war ein klassischer Fall eines Politikers, der eigentlich nach der "Revolution der Würde" kein hohes politisches Amt mehr einnehmen dürfte. Aber ähnlich wie nach der Orangen Revolution die "Gasprinzessin" Timoschenko an die Macht kam, stieg nun Poroschenko auf.

Als Poroschenko, der "Schokoladenkönig" und Besitzer eines Fernsehsenders, in den Präsidentenwahlkampf eintrat, war eine der Forderungen, nicht nur die Vermögensverhältnisse offenzulegen, sondern sich auch von seinen Unternehmen zu trennen. Und das hat er auch versprochen. Sofort nach seiner Amtsübernahme werde er seine Unternehmen an einen Investor übergeben. Schnell kam die Einschränkung, dass er seinen Fernsehsender Kanal 5 lieber doch behalten werde. Poroschenko hat wohl an Berlusconi gesehen, dass dies nicht schlecht ist. Und jetzt stellt sich heraus, dass er eigentlich gleichzeitig Oligarch und Präsident sein will. Man bleibt seinen Interessen treu.

Als er seine Präsidentschaft antrat, kündigte er an, die schon vor ihm unter Jazenjuk entschiedene militärische "Antiterroroperation" innerhalb von wenigen Tagen durch eine Offensive zum Erfolg zu führen. Daraus wurde es aber nichts. Aus der Ankündigung im Mai des letzten Jahres, seine Unternehmen zu verkaufen (OSZE bestätigt trotz der Probleme im Osten weitgehende Korrektheit der Wahl) und damit eine Konfusion von persönlichen Interessen mit seinem Amt als Präsidenten zu vermeiden, die die ukrainische Politik geprägt hat, wurde allerdings auch nichts.

Der Präsident, der gegen Korruption vorgehen wollte, aber möglicherweise nur die der anderen meint, ist weiterhin stolzer Besitzer seines Fernsehsender "Kanal 5" und einiger Radiosender, er hält Anteile am Fahrzeughersteller Bogdan, der auch für den Staat etwa Busse produziert. Und vor allem besitzt er weiterhin den Süßwarenkonzern Roshen, ist also weiterhin der "Schokoladenkönig". Ende Dezember 2014 bedauerte er, dass es angeblich keine Interessenten gebe, er überlege, das Unternehmen in Schritten dem Management zu übergeben. Angeblich habe er keinen Einfluss mehr auf Roshen, den Verkauf habe er Rothschild und Investment Capital Ukraine überlassen. Es habe zwar vier Interessenten gegeben, sagte Poroschenko, aber in einem Land, das Krieg führt, "kauft niemand etwas und ist es unmöglich, etwas zu verkaufen". Die Verhandlungen würden sich hinziehen: "Die Hauptbedingung ist, den Krieg zu stoppen."

Poroschenko wird sicherlich nicht zu jedem Preis verkaufen wollen, seine Ausführungen legen aber nahe, dass schon im Hinblick auf die Frage nach Krieg und Frieden persönliche Interessen eine Rolle spielen. Das wird auch im Hinblick auf einen Waffenstillstand und Konzessionen an die Separatisten innenpolitisch eine Rolle spielen, auch wenn der Krieg die gesamte Wirtschaft des an der Pleite entlangschlitternden Landes beeinträchtigt. Von einer wirklich höheren Besteuerung der Reichen und einer Vermögenssteuer will man hingegen nichts wissen, die Einkommenssteuer ist seit Januar von 17 auf 20 Prozent gestiegen, geblieben ist die Militärsteuer von 1,5 Prozent auf alle besteuerbaren Einkommen, Steuererleichterungen für einige Branchen wurden gestrichen, auch einige Steuern entfielen oder wurden zusammengefasst. Den Oligarchen tut all dies nicht weh.

Poroschenko gibt, wie gesagt, vor, seinen Süßigkeitskonzern nicht an den Mann zu kriegen. Während es aber vielen Unternehmen schlecht geht, hat Roshen im Jahr 2014 den Profit um das Neunfache auf mehr als 34 Millionen Dollar gesteigert, so berichtet die Kyiv Post. Damit verletzt allerdings der Präsident die noch gültige Verfassung der Ukraine, verändert wurden nach dem Sturz von Janukowitsch nur die Regeln für die Präsidentenwahl. Artikel 104 sieht vor, dass der Präsident kein weiteres repräsentatives Mandat, keine Funktion in Behörden oder Bürgervereinigungen haben darf. Er darf auch "keine andere bezahlte oder unternehmerische Aktivität ausüben oder Mitglied eines Verwaltungsgremiums oder eines Beirats eines profitorientierten Unternehmens sein".

Versprochen hatte er, alle Unternehmen und Anteile an Unternehmen zu veräußern, machte aber die Einschränkung, dass er seinen Fernsehsender Kanal 5 behalten will. Der sei redaktionell unabhängig. Irgendwie scheint er seine Rolle als Eigentümer mit der Pressefreiheit zu verbinden: "Kanal 5 wird nicht verkauft. Die Rolle der Freien Presse, die sie während der Orangen Revolution und der Revolution auf dem Maidan-Platz spielte, ist extrem wichtig." Offenbar auch so wichtig, dass Poroschenko auch Eigentümer des Senders TRT TV und des Radiosenders "Tvoye Radio" sowie des Senders "Teleradiokompanija NBM" bleibt. Das schadet nicht nur der Demokratie, sondern verletzt auch die Verfassung.

Ob es der Pressefreiheit dient, wenn vor kurzem ein Ministerium für Informationspolitik eingerichtet wurde, das die Wahrheit über die Ukraine verbreiten und die anti-ukrainische Propaganda bekämpfen soll, darf bezweifelt werden (Ukraine hat ein neues Ministerium für Informationspolitik). Und gerade erst hat der ukrainische Geheimdienst SBU auf Anweisung des ukrainischen Parlaments eine Liste von 100 russischen Medien erstellt. Die Akkreditierung von deren Mitarbeitern wird bis zum Ende der "militärischen Operationen in der Ostukraine" wird aufgehoben.