Land of Confusion

Das Auswärtige Amt beteiligt sich mit einem eigenen Papier am Informationskrieg um die Ukraine. Doch entscheidende Fragen bleiben weiter unberührt. Wer etwa schoss wirklich im Februar 2014 auf dem Maidan?

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Der vom Auswärtigen Amt in der vergangenen Woche erstellte Link auf ./44224_1.pdf (PDF) sorgt weiter für Wirbel. Bezeichnet ein "Realitätscheck" in der Traumforschung die Vergewisserung, ob man noch träumt oder schon wach ist, so mag sich analog nach Bekanntwerden des Regierungspapiers auch mancher ungläubig die Augen gerieben haben. Das deutsche Außenministerium gibt eine Sprachregelung heraus, was im strittigen Ukrainekonflikt Wahrheit zu sein habe und was nicht?

Das Auswärtige Amt, das Fakten Behauptungen gegenüber stellt. Bild: Lusitana/CC-BY-SA-2.5

Eine Sprecherin des Amtes wies diesen Vorwurf allerdings schon am vergangenen Freitag zurück. Das Dokument sei "keine Sprachregelung", sondern eine "Handreichung" an die eigenen Mitarbeiter, um "häufig gehörten Behauptungen Fakten gegenüber zu stellen". Man habe es aber auch an Parlamentarier verteilt, "weil wir der Meinung sind, es könnte vielleicht dem einen oder anderen Abgeordneten für seine Argumentation gegenüber seinem Wahlkreisbürger hilfreich sein". Wer das Papier dann an die Presse gegeben habe (zuerst hatte die Süddeutsche Zeitung berichtet), könne das Amt nicht sagen.

Auffällig war in diesem Zusammenhang die nahezu gleichförmige Einordnung des Papiers durch führende deutsche Medien Ende letzter Woche. Diese machten sich die Zusammenstellung von Argumenten der Regierung zum Ukrainekonflikt nicht nur unisono zu eigen (erstaunlich genug für eine "freie Presse"), sondern verschärften auch noch deren Wortwahl. Während das Auswärtige Amt lediglich von russischen "Behauptungen" gesprochen hatte, wurden daraus in den medialen Schlagzeilen "Putins Mythen" (Spiegel Online), "Moskaus Propaganda" (Die Welt) oder eben "Moskauer Mythen" (Süddeutsche Zeitung). Es ging somit nicht um die Präsentation zweier gegensätzlicher Ansichten, aus denen sich der Leser ein eigenes Urteil bilden kann, sondern um die mittlerweile schon gewohnte Vorgabe einer klaren Marschrichtung mit dem Tenor "Der Feind lügt".

Brainwashing aus Moskau?

Wer immer sich bislang fragte, wie eine pluralistische Medienöffentlichkeit in der Vergangenheit ins eindimensional Totalitäre abdriften konnte, der erhält derzeit lebendigen Anschauungsunterricht. Was umso mehr erstaunt, als die Argumente der Bundesregierung mitnichten so klar und überzeugend sind, wie die Überschriften der großen Zeitungen es nahelegen.

Dies beginnt schon damit, dass die Formulierung "russische Behauptungen - unsere Antworten" unterstellt, die abweichenden Ansichten kämen ausschließlich aus Moskau und jeder der sie vertrete, erliege damit quasi Putins Einfluss. Mittlerweile sollte eigentlich klar geworden sein, dass der Widerstand gegen die Nato-Position zum Ukrainekonflikt gerade in der deutschen Bevölkerung so breit verankert ist, dass die Theorie einer "feindlichen Indoktrination" sich an der Grenze zur Lächerlichkeit bewegt.

Die Punkte selbst - das Papier besteht aus 18 vermeintlich "russischen" Argumenten und den zugehörigen Entkräftungsversuchen der deutschen Regierung - sind von unterschiedlicher Schlüssigkeit. Gleich dem ersten Streitpunkt ("Der Westen hat sich in die inneren Angelegenheiten der Ukraine eingemischt und zur Absetzung der legitimen Führung Janukowitsch beigetragen") kann das Auswärtige Amt offenbar wenig entgegen setzen. Man referiert stattdessen die vertraute Sichtweise, dass die Ukrainer den Protest begonnen hätten, nachdem sie sich durch Janukowitschs Nichtunterschreiben des Abkommens mit der EU "getäuscht" gefühlt hätten. Die friedlichen Demonstrationen hätten sich dann ausgeweitet, der Westen habe Janukowitsch lediglich zur Einhaltung von Recht und Gesetzt gemahnt.

All dies stellt so eigentlich auch niemand in Frage (wenn auch die vermeintlich spontanen Proteste in Wahrheit nicht ganz so ungeplant gewesen sein dürften: Maidan: Der verklärte Aufstand). Völlig ohne Kommentar aber bleibt irritierenderweise der eigentliche Vorwurf, dass der Westen sich über Ratschläge und Hinweise hinaus aktiv in die ukrainische Innenpolitik eingemischt habe, etwa mit diversen Organisationen zur "Demokratieförderung", mit der durch Victoria Nuland bekannt gewordenen Fünf-Milliarden-Dollar-Hilfs-"Investition" der USA, mit der Einschleusung von CIA-Beratern und Blackwater-Söldnern oder auch der Lancierung eigener Politiker wie Jazenjuk (USA) oder Klitschko (Konrad-Adenauer-Stiftung). Zu all solchen Einmischungsfakten schweigt das Papier des Auswärtigen Amtes beredt.

Interessanterweise ist das Dokument in einigen Punkten zudem fast wortgleich mit einem älteren Argumentationspapier ebenjener Konrad-Adenauer-Stiftung.