"Selbstmord" kurz vor Prozessbeginn

Volksgruppen in Kasachstan und Umgebung. Karte: CIA

Der in Ungnade gefallene kasachische Ex-Geheimdienstvize wurde in seiner Wiener Gefängniszelle erhängt aufgefunden - vorher hatte er beklagt, dass sein ehemaliger Arbeitgeber ein Kopfgeld in Höhe von zehn Millionen Euro auf ihn ausgesetzt habe

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Gestern wurde der 52-jährige Kasache Rachat Alijew erhängt im von Wärtern nicht einsehbaren Waschraum seiner Gefängniszelle in der Wiener Justizvollzugsanstalt Josefstadt aufgefunden. Das wäre an sich nichts Besonderes - wenn Alijew nicht bis 2001 stellvertretender kasachischer Geheimdienstchef und Leiter der dortigen Steuerfahndung gewesen wäre.

Außerdem war er bis zu seiner Zwangsscheidung Schwiegersohn des seit 25 Jahren amtierenden kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew und Hauptaktionär einer der größten kasachischen Banken, der Nurbank.

Als 2007 zwei Manager dieser Bank verschwanden, forderten die kasachischen Behörden von Österreich (wo Alijew damals Botschafter war) die Auslieferung des Hauptaktionärs wegen des Verdachts der Entführung. Der klagte gegen seine Überstellung vor einem Wiener Gericht und das hatte erhebliche Zweifel daran, ob den Mann in seiner Heimat ein Verfahren nach rechtsstaatlichen Maßstäben erwartet.

Rachat Alijew. Foto: Evstafiev. Lizenz: CC BY-SA 3.0.

Ein Jahr später verurteilte ein kasachisches Gericht Alijew und den ehemaligen kasachischen Geheimdienstchef Alnur Mussajew in Abwesenheit zu 40 Jahren Straflager wegen Hochverrats und Organisiertem Verbrechen.

Zu dieser Zeit gab es drei Versuche, Mussajew und einen weiteren Vertrauten Alijews zu entführen - dem österreichischen Verfassungsschutz zufolge gingen sie allesamt vom kasachischen Geheimdienst aus. Das hatte zur Folge, dass die kasachische Botschaft im September 2008 einen Diplomaten abziehen musste, der im Verdacht stand, in die Entführungsversuche verwickelt zu sein.

Ein Wiener Polizist, der unbefugt Daten weitergegeben hatte, wurde 2009 zu zu acht Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Im selben Jahr bestätigte das österreichische Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung einem Untersuchungsausschuss, dass der kasachische Geheimdienst auch versucht hatte, Einfluss auf Nationalratsabgeordnete zu gewinnen. Außerdem wurde bekannt, dass die kasachische Staatsführung den bis 2008 amtierende Bundeskanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ) als "Berater" beschäftigte.

Im April 2011 übte der deutsche EU-Abgeordnete Elmar Brok (CDU) Druck auf Österreich aus und verlangte die Auslieferung Alijews an Kasachstan. Kurz darauf tauchten dort die Leichen der beiden 2007 verschwundenen Bankmanager auf, was den Entführungs- zu einem Mordfall machte.

Alijew setzte sich darauf hin nach Malta ab, wo er sich durch die Heirat mit einer eingebürgerten Österreicherin wie ein EU-Bürger bewegen konnte.

2014 kehrte er nach Österreich zurück und stellte sich dort einer Mordanklage. Seiner Version nach waren die Mordvorwürfe politisch motiviert, weil Präsident Nasarbajew in ihm einen Konkurrenten sah, der ausgeschaltet werden musste.

In der Untersuchungshaft äußerte er den Verdacht, dass er ermordet werden könne, weil der kasachische Geheimdienst ein Kopfgeld in Höhe von zehn Millionen Euro auf ihn ausgesetzt habe. Außerdem zeigte er zwei Zellengenossen an, weil diese seinen eigenen Angaben nach Schutzgeld von ihm erpressen wollten und meinten, man könne einen Mord im Duschraum problemlos wie einen Selbstmord aussehen lassen. Auf diese Anzeige hin wurde Alijew in eine Einzelzelle mit eigenem Nassraum verlegt. Der Prozess gegen die beiden beschuldigten Häftlinge hätte gestern beginnen sollen.

Trotz dieser etwas merkwürdigen Umstände geht die Gefängnisleitung bislang von einem Selbstmord Alijews aus. Daran hat Alijews Anwalt Klaus Ainedter "erhebliche Zweifel, ohne jemanden beschuldigen zu wollen". Diese Zweifel nähren sich unter anderem aus dem keineswegs depressiven Eindruck, den sein Mandant am Nachmittag vor seinem Tod machte. Ainedter hofft nun, dass die Behörden den Fall "genauestens untersuchen".

Kasachstan liegt zwischen Usbekistan, Kirgistan, China und Russland und hat knapp 18 Millionen Einwohner. Nur etwa zwei Drittel davon sind Kasachen - ein sunnitisches Turkvolk, das auch im Westen Chinas lebt. Trotz massiver Abwanderung nach dem Ende der Sowjetunion leben in Kasachstan immer noch viele Russen, die insgesamt etwa ein Fünftel bis ein Viertel der Bevölkerung ausmachen. Im Norden des Landes stellen sie die Mehrheit (siehe Karte). Würde es nach einem Sturz des Dauerpräsidenten Nasarbajew zu einem Bürgerkrieg oder zu einer Machtergreifung durch Islamisten kommen, dann würde Russland dem möglicherweise nicht tatenlos zusehen, sondern versuchen, die russische Minderheit dort zu schützen.

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