Journalismus unter Druck: Studie beleuchtet Probleme in den Medien

Umfrage zeigt Einschränkungen in der Berichterstattungsfreiheit

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Wie schlimm ist es um den Journalismus bestellt? Eine Studie aus der Schweiz hat die Arbeitsbedingungen für Journalisten in der Alpenrepublik untersucht und geht der Frage nach, ob die Freiheit der Berichterstattung gegeben ist. Die Ergebnisse lassen aufhorchen: Ein zunehmender ökonomischer Druck auf die Redakteure, Eingriffe in die Pressefreiheit und geringe Zeitressourcen sind Bestandteil problematischer Arbeitsbedingungen, denen sich Journalisten ausgesetzt sehen. Ein Telepolis-Interview mit Professor Manuel Puppis von der Universität Freiburg (Schweiz).

Verschlechterte Arbeitsbedingungen, eingeschränkte Pressefreiheit, Medien in der Krise, Auswirkungen der Medienkrise auf die Demokratie, das sind einige der Schlagworte, die sich in Ihrer Studie "Arbeitsbedingungen und Berichterstattungsfreiheit in journalistischen Organisationen" finden lassen. Worum genau geht es in Ihrer Studie?

Manuel Puppis: In unserer Studie haben wir die Arbeitsbedingungen von Schweizer Journalistinnen und Journalisten sowie Einschränkungen in der Berichterstattungsfreiheit untersucht. Uns ging es einerseits darum herauszufinden, wie der Arbeitsalltag in den Redaktionen heute aussieht und welche Veränderungen es in den letzten fünf bis zehn Jahren gab. Andererseits interessierten wir uns dafür, wie frei sich Medienschaffende fühlen, über Werbekunden, das eigene Unternehmen oder medienpolitische Fragen zu schreiben.

Wie sind Sie überhaupt dazu gekommen, sich diesem Thema anzunehmen?

Manuel Puppis: Wie in vielen westlichen Demokratien bekundet der Journalismus auch in der Schweiz zunehmend Mühe, sich zu finanzieren. In den letzten Jahren kam es bei zahlreichen Zeitungen zu Sparmaßnahmen und Entlassungsrunden. Diese Entwicklung nehmen wir natürlich auch in der Kommunikationswissenschaft wahr. Dank bisheriger Studien hatten wir schon relativ klare Vorstellungen davon, wie die Konvergenz und Digitalisierung sich auf die Arbeitsbedingungen bei traditionellen Medienhäusern auswirkt. Bisher fehlten aber repräsentative Daten. Außerdem vermutet die Forschung, dass die Berichterstattungsfreiheit von ökonomischen Bedingungen abhängig ist. Deshalb wollten wir sehen, ob sich die Berichterstattungsfreiheit im Zuge der Finanzierungskrise verringert hat. Zudem wird in der Politik über die Rolle des öffentlichen Rundfunks im Internet und über Presseförderung diskutiert - insofern fanden wir es spannend nachzufragen, wie die Medien eigentlich über Themen berichten, die sie selbst betreffen.

Wie sind Sie in Ihrer Studie vorgegangen?

Manuel Puppis: Zuerst haben wir mit einer kleinen Zahl von Journalistinnen und Journalisten Gespräche geführt, um herauszufinden, ob wir überhaupt die richtigen Fragen stellen. Auch aus Studien zu crossmedialer Produktion und Konvergenz, an denen einige aus dem Forschungsteam vorher gearbeitet haben, sind Erkenntnisse in die Ausarbeitung des Fragebogens eingeflossen. Danach haben wir den Mitgliedern des Journalistenverbands impressum eine Einladung zur Onlinebefragung geschickt. Insgesamt haben über 1100 Personen an der Befragung teilgenommen, was eine sehr zufriedenstellende Rücklaufquote von über einem Drittel ergibt.

Einschränkungen bei der Berichterstattungsfreiheit

Zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?

Manuel Puppis: Als erstes konnten wir feststellen, dass rund die Hälfte aller Befragten eine starke bis sehr starke Zunahme des ökonomischen Drucks wahrnehmen, also beispielsweise Personalkürzungen oder eine steigende Bedeutung von Klickraten. Insbesondere bei Tageszeitungen ist das der Fall.

Zweitens wird deutlich, dass die Arbeitsbedingungen teilweise problematisch sind. Zeit für vertiefende Recherchen und die Pflege von Netzwerken bleibt kaum. Insgesamt sind die Journalistinnen und Journalisten mit ihren Zeitressourcen eher wenig zufrieden. Die qualitativen Vorstudien deuten darauf hin, dass diese Situation mit einem Rückgang journalistischer Sorgfalt und einer oberflächlicheren Bearbeitung von Themen einhergeht. Allerdings zeigt die Befragung auch, dass sich die Situation in den letzten Jahren nicht einfach für alle Personen verschlechtert hat, sondern dass es auch zur Umverteilung vorhandener Ressourcen gekommen ist.

Und drittens weist die Umfrage auf Einschränkungen bei der Berichterstattungsfreiheit hin. So werden eher selten Berichte über Anzeigenkunden veröffentlicht, die für deren Image schädlich sein könnten. Kritische Nachrichten über das eigene Medienunternehmen gibt es kaum; über positive Entwicklungen des eigenen Unternehmens wird hingegen berichtet. Trotz der Relevanz des Themas wird Medienpolitik selten thematisiert, und wenn, dann teilweise unter dem Einfluss der Interessen des eigenen Unternehmens.

Sie erwähnen die Arbeitsbedingungen. In Ihrer Studie sind Sie der Frage nachgegangen, wie viel Zeit Journalisten für die journalistischen Kerntätigkeiten haben. Wo genau liegen die Probleme?

Manuel Puppis: Das Problem liegt gerade dort, wo journalistische Eigenleistungen entstehen. Journalistinnen und Journalisten haben nur begrenzte Ressourcen für das Schreiben eigener Beiträge. Sie können Themen kaum noch durch vertiefende Recherchen auf den Grund gehen und verlieren langfristig das Netzwerk an Informanten, das für spannende und exklusive Geschichten notwendig ist. Unsere Daten zeigen, dass die Ressourcen für diese Bereiche in den letzten Jahren etwas zurückgegangen sind. Noch sind diese Veränderungen also nicht gravierend, aber sie zeigen einen Trend auf, der problematisch ist und dem es gegenzusteuern gilt.

In Ihrer Studie sprechen Sie auch an, dass das Internet immer wieder als Grund für die Medienkrise angeführt wird. Ich zitiere aus Ihrer Studie: "Doch diese Argumentation greift deutlich zu kurz. Gerade am Beispiel der USA, wo die Krise sich am deutlichsten manifestiert hat und Zeitungen in zahlreichen Städten und Regionen ihr Erscheinen einstellen mussten, zeigt sich, dass die Probleme der Printmedien oftmals hausgemacht waren und in der kommerziellen Institutionalisierung von Medienorganisationen zu sehen sind... Die Besitzer der durch Konzentrationsprozesse entstandenen Monopolzeitungen investierten ihre Gewinne nicht in die Redaktionen, sondern begannen, bei der Berichterstattung zu sparen und sich hohe Dividenden auszuzahlen." Ist die Krise im Journalismus also hausgemacht?

Manuel Puppis: Ein Teil der Krise ist sicher hausgemacht. Das ist rückblickend zwar einfach gesagt, aber es war wohl ein Fehler, die ganze Zeitung gratis online zu stellen. Gleichzeitig hat man sich mit Gratispendlerzeitungen wie "20 Minuten" eine Konkurrenz für die eigenen Kaufzeitungen geschaffen. Heute bekunden die Verlage zum Teil große Mühe, sogenannte Paywalls einzuführen und die Leserinnen und Leser wieder zur Kasse zu bitten. Zudem wurde bei vielen Zeitungen unterdessen so stark gespart, dass man sich fragen muss, ob überhaupt noch ein Produkt angeboten werden kann, für das die Leser bereit sind zu zahlen.

Auch journalistische Innovationen wurden lange Zeit nicht angegangen. Aber natürlich ist die Lage für die traditionellen Medien schwierig: die Aufmerksamkeit der Nutzerinnen und Nutzer, und damit auch die Werbung, sind zu einem guten Teil ins Internet abgewandert. Und zwar nicht einfach zu den Onlineablegern von Zeitungen und Rundfunk, sondern hauptsächlich zu Social Media und Suchmaschinen, die mit Journalismus nichts zu tun haben.

Das andere Gesicht der Macht

Sie sprechen in der Studie auch von einem "second face of power". Was ist damit gemeint?

Manuel Puppis: Mit dem "second face of power", dem anderen Gesicht der Macht, ist gemeint, dass Macht in politischen Prozessen nicht nur direkt ausgeübt werden kann, etwa durch Lobbying. Vielmehr können die eigenen Interessen auch durchgesetzt werden, indem verhindert wird, dass gewisse Themen auf die politische Agenda kommen und darüber entschieden wird. Und wenn Medien nicht oder nicht unvoreingenommen über sich selbst, über Probleme im Mediensystem oder über Medienpolitik berichten, haben wir für die Demokratie ein Problem. Denn wer soll die Bürgerinnen und Bürger sonst darüber informieren? Wie unvoreingenommen schreiben Zeitungen etwa über das Onlineangebot des öffentlichen Rundfunks? Schließlich haben die Verlage hier auch wirtschaftliche Eigeninteressen.

In Ihrer Studie sprechen Sie auch von Selbstzensur und einer Schere im Kopf. Was genau haben Sie in diesem Zusammenhang herausgefunden?

Manuel Puppis: Wir wollten wissen, wie "selbstverständlich" es in der Redaktion ist, bestimmte Einflüsse auf die Berichterstattung zuzulassen. Und gerade bei diesen Fragen waren wir über die Ergebnisse überrascht. Jeder dritte Befragte stimmt zu, dass es in starker Weise als selbstverständlich gilt, Werbekunden möglichst positiv darzustellen und bei Berichten über Medienpolitik der Position des eigenen Unternehmens zu entsprechen. Und fast jeder zweite Befragte sagt, dass es selbstverständlich ist, positive Meldungen über das eigene Medienunternehmen zu bringen. Das spiegelt die ganz alltäglichen Auswahlentscheidungen und Darstellungsweisen im Journalismus wider. Das Medienunternehmen oder die Werbeabteilung müssen in diesen Fällen nicht mehr bei der Redaktion anklopfen und um mehr Rücksicht bitten, denn das ist bereits eingespielt - und entsprechend bedenklich für die Autonomie und Qualität des Journalismus.

Welche Auswirkungen haben die von Ihnen kenntlich gemachten Problemlagen? Sie gehen auch davon aus, dass die Verhältnisse innerhalb der Medien negative Auswirkungen für Demokratien haben.

Manuel Puppis: Journalismus - ob online oder offline - ist teuer. Wenn für Journalismus nicht genügend Ressourcen zur Verfügung stehen, ist zu befürchten, dass darunter die Berichterstattung leidet. Sowohl die Information der Bürgerinnen und Bürger als auch die Kritik- und Kontrollfunktion der Medien sind davon betroffen. Entsprechend ist die Finanzierungskrise im Journalismus potenziell auch eine Krise der Demokratie.

Ihre Studie hat sich auf die Schweiz konzentriert. Was meinen Sie: Sind die Ergebnisse auch auf die deutsche Medienlandschaft zu übertragen?

Manuel Puppis: Das Institut für Demoskopie Allensbach hat erst kürzlich eine Studie zur "Pressefreiheit in Deutschland" veröffentlicht. Und hier zeigen sich tatsächlich ähnliche Entwicklungen. Knapp die Hälfte der befragten Zeitungsjournalisten sagt, dass sie öfters Eingriffe in die Pressefreiheit erleben und dass dies in den letzten Jahren zugenommen hat. Auch sagen 74 Prozent der Befragten, dass sie oft zu wenig Zeit für Hintergrundrecherchen und das Schreiben ihrer Artikel haben.

Auch unsere Daten bestätigen, dass Journalisten und Journalistinnen der Tageszeitungen, aber auch der Wochenpresse, von diesen Entwicklungen besonders stark betroffen sind. Darüber hinaus gibt es auch eine Studie des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), die verschlechterte Arbeitsbedingungen und einen zunehmenden Einfluss von Werbekunden und Medienunternehmen nachweist.

Was kann getan werden, um die Missstände zu beheben?

Manuel Puppis: Es bleibt zu hoffen, dass es den Medien in Zukunft wieder gelingt, durch journalistische Innovationen und neue Geschäftsmodelle genügend Einnahmen zu generieren. Zu denken ist etwa an Paywalls, native advertising oder data mining, die aber aufgrund des Einflusses von Werbekunden oder der Verwendung von Nutzerdaten nicht unproblematisch sind. Doch bisher scheint noch niemand wirklich funktionierende Geschäftsmodelle gefunden zu haben. Insofern argumentieren wir in der Studie, auch über direkte Formen der Medienförderung nachzudenken, um unabhängige Lokalzeitungen und neue journalistische Onlinemedien finanziell zu unterstützen. Die Erfahrungen in Skandinavien zeigen, dass Presseförderung und Pressefreiheit sich keineswegs widersprechen.

Zudem halten wir eine Vielfalt von Eigentums- und Organisationsformen, von kommerziellen Medienhäusern über den öffentlichen Rundfunk bis hin zu Genossenschaften und Vereinen für zentral, um einseitige Abhängigkeiten kompensieren zu können. Und in der Berichterstattung über die Medienbranche kommt unabhängigen Onlinemedien und dem öffentlichen Rundfunk eine wichtige Rolle zu.

Die Studie "Arbeitsbedingungen und Berichterstattungsfreiheit in journalistischen Organisationen haben Manuel Puppis, Philomen Schönhagen, Silke Fürst, Brigitte Hofstetter und Mike Meißner erstellt. Die Studie wurde finanziert durch das Bundesamt für Kommunikation (BAKOM).