SPD-Wählerwerbung á la USA?

Philipp Richter über rechtliche Gefahren eines Big-Data-Wahlkampfs

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Die SPD plant, sich in Zukunft von Jim Messina beraten zu lassen, der 2012 als Wahlkampfmanager den Demokraten um Barack Obama mit Big-Data-Einsatz zum Sieg verholfen hat. Solche Wahlkampfmethoden stoßen aber in Deutschland auf rechtliche Grenzen. Telepolis sprach darüber mit dem Rechtswissenschaftler Philipp Richter von der Universität Kassel.

Herr Richter, welche Vorteile wären für die Parteien mit einem Big Data-Wahlkampf verbunden?

Philipp Richter: Der US-Präsidentschaftswahlkampf 2012 hat eine neue Strategie hervorgebracht, nämlich große Mengen von Daten über die einzelnen Wahlberechtigten zu sammeln und auszuwerten, um gezielt individuelle Wähler anzusprechen und zu überzeugen. Die Daten hat man gesammelt aus Wählerregistern, früheren Wahlkampagnen, angekauften Datenbanken von kommerziellen Datensammlern, aus Telefonumfragen, aus sozialen Netzwerken und der Auswertung der Internetnutzung.

Damit prognostizierten die Analysten das Wahlverhalten der einzelnen [sic] Wähler bei zurückliegenden und bei der bevorstehenden Wahl. Die Prognosen für die zurückliegende Wahl wurden mit dem tatsächlichen Wahlergebnis abgeglichen, um die Genauigkeit zu erhöhen. Durch Feldversuche analysierte man, welche Typen von Wahlberechtigten man wie dazu animieren konnte, zur Wahl zu gehen und den eigenen Kandidaten zu wählen.

Jim Messina. Foto: Weißes Haus.

Wie ging das konkret?

Philipp Richter: Es wurden gut vorbereitete Wahlkämpfer gezielt zu den einzelnen "Überzeugbaren" nach Hause geschickt, riefen diese an oder kontaktierten sie über soziale Netzwerke. Hierzu wurden wenn möglich Freunde oder Bekannte der "Überzeugbaren" rekrutiert, von denen man wusste, dass sie dem eigenen Lager angehörten. E-Mails wurden für spezifische Wählertypen anhand ihrer persönlichen Eigenschaften angepasst. Die offiziellen Webseiten der Wahlkampfkampagnen werteten das Surfverhalten aus und verwandelten dieses in individuell passende Wahlbotschaften.

Durch die Analysen war es möglich, effizient auf Einzelne einzuwirken. Die Wahlergebnisse, die man sich anhand dieser Strategie ausrechnete, trafen am Wahltag teilweise fast genau ein, insbesondere bei den Unentschlossenen wurde nach eigenen Aussagen eine hohe Erfolgsquote erreicht.

"Auch die Erhebung wird schon unzulässig sein"

Welche datenschutzrechtlichen Bestimmungen sprechen in Deutschland gegen einen solchen Wahlkampf?

Philipp Richter: Zunächst besteht ein organisatorischer Unterschied. In den USA muss man sich registrieren, wenn man wählen möchte. Die Register können die Parteien frei nutzen. Wenn man sie mit der Bevölkerung abgleicht, (hierzu wurden zum Beispiel die Kundenregister von örtlichen Telefonanbietern genutzt) weiß man namentlich, wer nicht wählen war.

In Deutschland registrieren sich Bürger nicht einzeln zur Wahl. Es gibt Verzeichnisse der Wahlberechtigten. Der Zugang zu diesen ist aber nur sehr beschränkt zulässig. Außerdem kann man mit ihnen gerade nicht sicher auf die Nichtwähler schließen. Möglicherweise könnte man mit Daten aus sozialen Netzwerken et cetera Wahrscheinlichkeitsberechnungen anstellen, aber dieses sichere Wissen, wer nicht gewählt hat, hätte man nicht. Man könnte dann auch nicht mit solcher Genauigkeit das Ergebnis zurückliegender Wahlen mit individuellen Wahlprognosen abgleichen.

Ein großer Anteil der übrigen Datenerhebungen und -analysen widerspräche dem deutschen Datenschutzrecht. Nur ein Beispiel: In Deutschland darf man Daten, die zum Beispiel in sozialen Netzwerken veröffentlicht werden, erheben, verarbeiten und nutzen, soweit nicht schutzwürdige Interessen der Betroffenen die eigenen Interessen offensichtlich überwiegen. Aus diesen Daten wiederum neue Informationen über die Betroffenen zu prognostizieren, ist von dieser Erlaubnis aber nicht mehr umfasst. Wenn der Zweck der Datenerhebung überdies eine umfassende Profilbildung über politische Einstellungen und argumentative Anfälligkeiten ist, wird auch die Erhebung schon unzulässig sein.

"Klarer Verstoß gegen das Datenschutzrecht"

Heißt das, dass derlei in Deutschland nicht vorkommen kann?

Philipp Richter: Leider nicht. Zum Beispiel wurde in Deutschland schon das Like-Button-Verhalten von solchen Leuten, die ihre politische Ausrichtung frei angeben, mit dem von Leuten verglichen, die das nicht tun und so deren politische Ausrichtung prognostiziert. Das wäre, wenn es nicht völlig anonym durchgeführt wird und bleibt, oder von jedem Betroffenen eine Einwilligung vorliegt, ein klarer Verstoß gegen Datenschutzrecht.

Wenn aus den Daten derer, die sie freiwillig preisgeben, und die man daher unter Umständen erheben darf, unrechtmäßig Prognosen über sie oder andere erstellt werden, wird die informationelle Selbstbestimmung gegen sich selbst gewendet. Das bedeutet leider, dass mit Big Data das eigene Informationsverhalten gerade im politischen Bereich ein erhebliches Risiko für andere darstellen kann.

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