Russischer Oppositionspolitiker wurde auf offener Straße erschossen

Die Mörder von Boris Nemtsov sind unbekannt, die Frage ist, ob der Kreml für den Mordanschlag verantwortlich ist

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

In der Opposition oder als kritischer Journalist lebt man in Russland gefährlich. Gestern wurde der Oppositionspolitiker und Abgeordnete in einem Regionalparlament Boris Nemtsov auf offener Straße in Moskau mit vier Schüssen getötet, 6 Patronenhülsen seien gefunden worden. Seine Begleiterin blieb unverletzt. Die Mörder, es soll sich um mehrere handeln, ist nach der russischen Polizei noch unbekannt, es sei eine Untersuchung durch eine investigative Gruppe eingeleitet worden. Der Kreml hat den Mord erwartungsgemäß verurteilt, Putin sprach der Familie und den Freunden sein Beileid aus.

Boris Nemtsov. Bild: sobesednik.ru

Der wirtschaftsliberal ausgerichtete Nemtsov ist kein Unbekannter in Russland. Er war 1998, wenn auch nur ein paar Monate, stellvertretender Ministerpräsident unter Präsident Jelzin und 1999 Mitbegründer der liberalen Union der Rechten Kräfte, 2008 zusammen mit Gary Kasparov der Solidarnost und 2012 der Republikanischen Partei Russlands/Partei der Volksfreiheit (RPR-PARNAS). In dieser haben sich Oppositionsparteien und Kritiker Putins zusammengeschlossen.

Nemtsov ist ein ausgesprochener Kritiker Putins, er hatte 2004 die Orange Revolution in der Ukraine unterstützt und war bis 2006 zum Wirtschaftsberater des ukrainischen Präsidenten Wiktor Juschtschenko. Allerdings fiel er auch dort in Ungnade. Nemtsov stellte sich hinter die EU-Orientierung der Ukraine und kritisierte die Annexion der Krim. Er war auch sicher jetzt für den Kreml, der die Opposition unterdrückt, ein unbequemer Politiker. Aber eine wirkliche Gefahr für Putin ging von ihm nicht aus.

Allerdings plante Nemtsov für den Sonntag eine Demonstration gegen die russische Einmischung in den Krieg mit der Ukraine, gegen die "Aggression Putins" und für ein Ende des Kriegs, um die russische Opposition zu vereinigen. Anfang Februar hatte er gesagt, er fürchte, Putin könne ihn töten wollen. RPR-PARNAS sieht einen "politischen Mord", die russische Regierung glaubt eher an eine Provokation.

Klar ist allerdings nicht, was Putin oder der Kreml durch die Ermordung gewinnen könnten. Die Opposition ist schwach, hinter Putin und seiner Politik stehen trotz der Auswirkungen der Sanktionen und der gesunkenen Energiepreise die Mehrheit der Bevölkerung, auch wenn Putin Angst vor einer unkontrollierbaren Oppositionsbewegung wie der Maidan-Bewegung hat. Aber Putin oder die russische Regierung sind sicher nicht direkt für alles verantwortlich, was in Russland oder im Hinblick auf die Ukraine seitens nationalistischer Netzwerke passiert, die aber freie Bahn zu haben scheinen.