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Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU), 2014. Bild: Dirk Vorderstraße/CC BY 3.0

Die Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr unter Ursula von der Leyen

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Die deutsche Militärpolitik leidet an zwei Problemen: Ihr fehlt es an Rückhalt in der Bevölkerung und an jungen Leuten in der Bundeswehr. Letzteres scheint sich gerade geändert zu haben. Denn es war ein großer Erfolg, den Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen Ende Januar verkündete: Es gebe aktuell rund 11.000 freiwillig Wehrdienstleistende - dies sei laut der Ministerin "der höchste Stand seit Jahren". Die Tagesschau titelte auf ihrer Website dementsprechend einen Freiwilligenrekord bei der Bundeswehr - auch andere Medien griffen die Meldung positiv auf.

Allein im Januar hätten etwa 3.500 neue Rekruten bei der Armee angefangen. Allerdings: So erfolgreich war das Werben der Bundeswehr bei genauerer Betrachtung nicht. Rund ein Drittel der jungen Leute, die ihren Dienst bei der Armee antreten, bricht diesen schon nach wenigen Monaten wieder ab. Bereinigt man die Zahl der neuen Rekruten, bleiben der Bundeswehr am Ende dieses Quartals etwa 9.800 neue Soldaten. Diese Zahl liegt nicht viel höher als 2012, dem ersten Jahr des freiwilligen Wehrdienstes. Dort lag sie abzüglich der Abbrecher bei etwa 9.350 neuen Rekruten.

Von ihrem optimalen Nachwuchsbedarf von jährlich 15.000 neuen Rekruten ist die Bundeswehr weit entfernt. Und das, obwohl der Haushalt für die soldatische Nachwuchswerbung in den letzten Jahren ein rasantes Wachstum hinter sich hat: 2011 gab die Bundeswehr noch weniger als 10 Millionen Euro für die Personalwerbung aus. 2012 waren es schon knapp 20 Millionen und 2015 will die deutsche Armee über 35 Millionen Euro für die Rekrutenwerbung ausgeben. Ausgezahlt hat sich der Werbeaufwand bisher nicht. Im Gegensatz zu ihren Vorgängern schafft es Ursula von der Leyen aber, die Bundeswehr in der Öffentlichkeit gut zu verkaufen, selbst bei geringen Rekrutenzahlen.

Umstrukturierung der Armee-PR

Dafür baut die Ministerin die Bundeswehr im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit um. Im April 2014 zog die "Zentralredaktion der Informationsarbeit der Bundeswehr" in ein neues Büro im Berliner Regierungsviertel. In den Büros, in denen früher die Journalisten der mittlerweile insolventen Nachrichtenagentur dapd ihre Meldungen schrieben, arbeiten heute Militärs am Image der Bundeswehr. Allein sechs Leute betreuen von dort die Social-Media-Angebote der Bundeswehr: Seit 2010 betreibt die Armee einen eigenen Kanal auf der Online-Videoplattform YouTube (110.000 Abonnenten; 43 Mio. Aufrufe) und seit 2011 ist sie auf Facebook (323.000 "Gefällt mir").

Zudem werden von dort die Werbekampagnen der Armee koordiniert. Auf die gerade auslaufende allgemeine Werbe-Kampagne "Wir. dienen. Deutschland" sollte eigentlich eine Kampagne zur Rekrutierung von Frauen folgen. Diese wurde aber abgebrochen, nachdem klischeehafte Bilder auf der Website - eine Frau steht vor einem Kleiderschrank und überlegt ob sie das tarnfarbene Dress anziehen soll - für Spott sorgten. Noch hakt es hier und da. Dennoch hat Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen einen klaren Kurs für eine offensivere Öffentlichkeit vorgegeben. Und damit in Zukunft alles klappt, werden Medienprofis engagiert.

Neue Chefredakteurin in der Bundeswehr-Zentralredaktion ist seit Anfang des Jahres die bisherige ARD-Fernsehkorrespondentin Andrea Zückert, eine Zivilistin: "Ich habe die Seite gewechselt - aus Überzeugung", schreibt Zückert im Vorwort der Bundeswehr-Wochenzeitung aktuell (Seite 2). Es gehe ihr bei ihrer Arbeit nicht nur darum, die Bundeswehr als "attraktiven Arbeitgeber" darzustellen: "Vielmehr soll die Überzeugung greifen, ohne Bundeswehr sind Frieden und Freiheit in Sicherheit kaum vorstellbar." Das Engagement der Soldaten verdiene es, medial überzeugend dargestellt zu werden, so Zückert: "Bundeswehr-Medien sollen verstärkt auch in die Öffentlichkeit wirken", so die Journalistin zum Plan von Ministerin von der Leyen.

Lang geplante Werbe-Offensive

Vorbereitet wurde diese Strategie schon von den Vorgängern der jetzigen Verteidigungsministerin: Im Sommer 2010 veranstaltete die "Akademie für Information und Kommunikation" der Bundeswehr in Strausberg bei Berlin erstmals die "Govermedia", ein mit Unterbrechung im Jahr 2013 jährliches Symposium, bei dem Journalisten, Politiker, PR-Profis und Medienwissenschaftler der Armee und anderen Behördenvertretern beibringen sollen, wie öffentliche Kommunikation im Zeitalter neuer Medien funktioniert.

2010 fand die "Govermedia" unter dem Motto "Journalismus und bürgernahe Kommunikation im digitalen Zeitalter" statt. Ein Jahr später lag der Schwerpunkt auf dem Thema "Behördenkommunikation digital gestalten". 2012 konzentrierte sich die Veranstaltung unter dem Motto "Die Zukunft tickt digital" auf soziale Medien und auf der letzten "Govermedia" im Jahr 2014 ging es um "Social Media Monitoring". Bereits kurz nach dem ersten Symposium 2010 nahm die Armee ihren YouTube-Kanal in Betrieb. Auch andere den Militärs auf der "Govermedia" vorgetragene Ideen scheinen mit Blick auf den aktuellen Ausbau der Bundeswehr-PR umgesetzt zu werden. Langsam kommt die Werbeeinheit der Bundeswehr in Schwung und soll der Armee dabei nicht nur neuen Nachwuchs, sondern auch Zustimmung in der Bevölkerung bringen.

Zugute kommen dürften dieser Strategie die ersten von der Bundeswehr selbst ausgebildeten Journalisten. 2010 führte die Armee an ihrer Universität in München einen eigenen Journalistik-Studiengang ein. Die Präsidentin der Universität der Bundeswehr München, Prof. Dr. Merith Niehuss, erhofft sich dadurch positive Auswirkungen auf die Außendarstellung der Bundeswehr. Man brauche "Leute, die wissen, wie man auf Presseanfragen reagiert, wie man Presseberichte interpretiert oder Themen lanciert", so Niehuss damals in einem Interview. Die Bundeswehr habe einen großen Bedarf an Leuten, die mit Medien umgehen können.

Mitmachfalle der Ministerin

Ursula von der Leyen selbst kämpft an vorderster PR-Front für die Militärpolitik der Regierung und das Image der Armee. Dazu gehören nicht nur öffentlichkeitswirksame Auftritte etwa bei der Einweihung von Bundeswehr-KiTas, sondern vor allem politische Debatten, in denen sich die Ministerin betont zurückhaltend und offen gibt - und am Ende doch einseitig ihre Politik durchsetzt. So war es beispielsweise im Falle der Anschaffung von in der Bevölkerung höchst umstrittenen Kampfdrohnen.

Zunächst hielt sich von der Leyen dazu bedeckt. Ganz im Gegenteil betonte sie Mitte letzten Jahres die Notwendigkeit einer "breiten gesellschaftlichen Debatte" über bewaffnete Drohnen. Im Verteidigungsausschuss des Bundestags gab es daher zu Kampfdrohnen eine öffentliche Anhörung, bei der sogar Kritiker der Waffensysteme sprechen durften. Hinter den Kulissen wurde allerdings schon längst entschieden: Bis 2023 soll die Bundeswehr über 16 waffenfähige Drohnen verfügen. Die Bundeswehr schaut sich aktuell nach geeigneten Systemen um.

Aktuell wiederholt sich die Diskussions-Farce zum Thema "Weißbuch 2016", dem kommenden Strategiepapier des Verteidigungsministeriums. Ursula von der Leyen weist in einem Pressestatement ausdrücklich darauf hin, dass die Entstehung des "Weißbuchs" als breiter und inklusiver Prozess angelegt ist:

"Wir möchten viele verschiedene Meinungen hören", so die Ministerin. Bei der Auftaktveranstaltung zu dieser Diskussion am 17. Februar in Berlin saß allerdings kein einziger grundsätzlicher Kritiker deutscher Auslandseinsätze mit auf dem Podium. Nach einer Einleitung durch die Ministerin erzählte Volker Perthes, Direktor der "Stiftung Wissenschaft und Politik", den Teilnehmern etwas über "Wissenschaft und Weißbuch".

Anschließend referierte Robin Christian Howard Niblett, Direktor des britischen Think-Tanks "Chatham House", der u.a. von der "Konrad Adenauer Stiftung", der NATO und der EU finanziert wird, über die "Internationalen Erwartungen an Deutschland". Für die vier nicht-öffentlichen Arbeitsgruppensitzungen zu militärischen Themenfeldern blieben nur zwei Stunden Zeit. Die Zusammenfassung der Veranstaltung sowie das Schlusswort übernahm kurz danach Wolfgang Ischinger, Vorsitzender der "Münchner Sicherheitskonferenz".

Eine pluralistische Diskussionsveranstaltung sieht anders aus. Und ob die Bürger-Meinungen, die das Verteidigungsministerium zum "Weißbuch" auf ihrer Website veröffentlicht, in die "Diskussion" einfließen, darf getrost bezweifelt werden. So wird das "Weißbuch 2016" am Ende doch nur in schönstem PR-Sprech das beinhalten, was die Regierung verfolgt: mehr Geld für die Bundeswehr, eine wiedererwachte Bedrohung aus dem Osten, den Kampf gegen Terroristen und letztendlich die militärische Absicherung des globalen Nord-Süd-Gefälles.

Sicherheitspolitik ohne Bevölkerung

Laut einer Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Emnid lehnen knapp zwei Drittel der Deutschen (60 Prozent) ein "stärkeres Auslandsengagement der Bundes­wehr" ab. Da die Debatten um die Ausrichtung der deutschen Sicherheitspolitik der Bundesregierung nicht das gewünschte Ergebnis bringen, hilft sie nach: Das Verteidigungsministerium rüstet die Bundeswehr zunehmend mit Fähigkeiten aus, um Einfluss auf öffentliche Debatten zu nehmen.

Statt sich dem Willen des Volkes zu ergeben, versucht die regierende Politik den Menschen ihren Willen aufzuzwingen - und nimmt dabei noch dazu viele Steuergelder in die Hand. Akzeptiert wird die zurückhaltende Meinung der Bevölkerung in Sachen Militärpolitik nicht.

Dabei ist es sehr wohl legitim, dass die Bundeswehr über ihr Handeln und ihre Aufgaben informiert - dies wurde am 2. März 1977 sogar in einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe festgeschrieben:

Eine verantwortungsvolle Teilhabe der Bürger an der politischen Willensbildung des Volkes setzt voraus, dass der einzelne von den zu entscheidenden Sachfragen, von den durch die verfassten Staatsorgane getroffenen Entscheidungen, Maßnahmen und Lösungsvorschlägen genügend weiß, um sie beurteilen, billigen oder verwerten zu können.

Was die Armee heute aber tatsächlich im Auftrag des Verteidigungsministeriums macht, ist weniger Information als vor allem PR in eigener Sache und für ausgewählte, von der regierenden Politik vorgegebene Ziele. Der Bevölkerung Informationen an die Hand zu geben, um eine kritische und sachliche Diskussion über Fragen der Sicherheitspolitik und des Militärs führen zu können, ist nicht erwünscht.

Dabei tritt die enorm finanzkräftige Militär-PR auch mit einem immer schlechter finanzierten Journalismus in Konkurrenz. So nimmt das deutsche Militär immer mehr Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung - und will dadurch auch mehr Nachwuchs finden. Erfolgreich ist das bisher nicht - das könnte sich aber ändern. Für den kommenden Juni plant das Verteidigungsministerium den nächsten PR-Coup. Dann soll anlässlich des 60-jährigen Bestehens der Bundeswehr erstmals ein bundesweiter "Tag der Bundeswehr" stattfinden.