Athen: Von allen Seiten unter Druck!

Tsipras gibt sich noch gut gelaunt. Bild: W. Aswestopoulos

Säbelrasseln in der Ägäis

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Alexis Tsipras befindet sich in einer mehrschichtigen Zwickmühle. Die aktuelle Schwäche des Landes, welches von der EU unter finanziellen Dauerdruck gesetzt wird, sorgt beim Nachbarn Türkei für Expansionsgelüste. Ohne Vorankündigung preschte die Türkei am Wochenende vor und verlangte die halbe Ägäis für eine bis Jahresende anhaltende Militärübung. Die östlichen Nachbarn Griechenlands wollen während ihrer Übung, die einen großen Teil des griechischen Hoheitsgebiets umfasst, mit scharfer Munition als reale Übung etwas Krieg spielen.

Das griechische Außenministerium reagierte sofort und legte Protest ein. Premierminister Alexis Tsipras ersucht bei NATO, UNO, der ICAO und EU um Hilfe und entsprechende Schritte gegen die "Verletzung des internationalen Völkerrechts durch die Türkei".

Außer der Tatsache, dass zwei Luftkorridore für die zivile Luftfahrt durch diese einseitige Aktion der Türkei gesperrt werden, ist die lange Zeitdauer für eine Übung laut Auskunft des griechischen Verteidigungsministeriums sehr ungewöhnlich.

Einen Tag vorher hatte sich Tsipras am Samstag bei einer Rede vor dem Zentralkomitee SYRIZAs mit Spanien und Portugal, beziehungsweise mit dessen Regierenden angelegt. Tsipras beklagte, dass die ebenfalls unter dem Spardiktat leidenden Länder Griechenland nicht nur nicht unterstützt hätten, sondern aus wahltaktischen Gründen der Regierungschefs sogar die exemplarische Bestrafung Griechenlands forderten (Spanisch-Portugiesische Verschwörung gegen Griechenland?). Aus Spanien und Portugal kamen diplomatische Beschwerden nach Brüssel. Die Ministerpräsidenten Mariano Rajoy und Pedro Passos Coelho möchten, dass Tsipras von der EU gerügt wird. Sowohl Rajoy als auch Coelho hatten aktiv in den griechischen Wahlkampf eingegriffen. Sie wollten unbedingt, dass der Vertreter ihrer Linie, Antonis Samaras, am Ruder bleibt.

Der junge griechische Premier präsentierte dazu eine Verschwörungstheorie. Demnach sollte seine Regierung an der zweimonatigen Verlängerung des Programms und den damit verbundenen Verhandlungen mit Brüssel und dem IWF scheitern. In der Folge wären dann den Portugiesen und Spaniern Argumente gegen die dort erstarkenden Oppositionskräfte geliefert worden.

Normalerweise sind Verschwörungstheorien, vor allem wenn sie von Politikern stammen, nichts weiter als billige Ausreden für eigenes Unvermögen. Allerdings stimmen selbst konservative Medien Griechenlands, wie die Kathimerini, zumindest indirekt in Tsipras Tenor ein. Während die Nea Dimokratia um Antonis Samaras beteuert, sie habe Tsipras ein mehr oder weniger blühendes Land überlassen, sprechen die blanken Zahlen eine andere Sprache.

Demnach stand bereits im Juli 2014 fest, dass Griechenland für 2015 mindestens 12,6 Milliarden Euro fehlen würden. Diese Schätzung basierte auf der Annahme eines nie erreichten Rekordwachstums von 2,9 Prozent und eines Primärüberschusses im Haushalt von 2014 von stolzen drei Prozent. Darüber hinaus postulierten die Experten damals, dass die fälligen Kreditraten aus dem Rettungspaket pünktlich überwiesen werden.

Keine dieser Bedingungen wurde erfüllt. Die seinerzeit ausstehenden Kreditraten sind bis heute nicht überwiesen worden. Zählt man die ausstehenden 7,1 Milliarden Euro zum bereits seinerzeit eingestandenen Finanzloch von 12,6 Milliarden hinzu, ergeben sich jene knapp zwanzig Milliarden Euro, über deren Fehlen im griechischen Staatshaushalt gerade diskutiert wird.

An Tsipras, der seine Regierung erst am 26.1.2015 angetreten hat, kann es wahrlich nicht gelegen haben. Die Kathimerini veröffentlichte eine Tabelle, welche bezeugt, dass die größten von Griechenland zu leistenden Kreditzahlungen im ersten Halbjahr 2015 liegen. Die nächsten vier Monate, für die das Programm mit der aktuellen Einigung der Eurogruppe verlängert wurde, dürften für Tsipras und das Land sehr schwierig werden.

Krise in der Regierungspartei

Obwohl Tsipras unter den gegebenen Umständen für einen Verbleib in der Eurozone trotz offensichtlicher Fehler, die auch sein Unterhändler Varoufakis beging, kaum etwas Besseres aushandeln konnte, rumort es in seiner Partei. Der linke Flügel, die innerparteiliche Opposition zu Tsipras, konnte am Wochenende gestärkt aus der Konfrontation hervorgehen.

Varoufakis, der auch am Wochenende die üblichen zwei bis drei Interviews pro Tag gab, läuft Gefahr, sich abzunutzen. "Mit der Öffentlichkeit ist es wie mit einem Sonnenbad. Am Anfang tut es gut, aber wenn es übertrieben wird, dann verbrennt man", stichelten Vertreter des linken SYRIZA-Flügels bei der Sitzung des Zentralkomitees von SYRIZA gegen Varoufakis. Auch Tsipras geht momentan etwas auf Distanz zu seinem Shooting-Star. "Wir sollten mehr regieren und weniger sprechen", weist er seine Minister an. Bei der jüngsten Kabinettssitzung am Freitag war der Finanzminister etwas strafversetzt worden. Statt wie üblich an der Seite Tsipras oder ihm direkt gegenüber zu sitzen, musste er etwas abseits Platz nehmen.

Von Seiten des Koalitionspartners kann Tsipras momentan kaum Hilfe erwarten. "Wenn ich Sparmemoranden hätte wählen wollen, dann hätte ich bei der Nea Dimokratia bleiben können", wird als Aussage Panos Kammenos kolportiert. Selbst in der Verlängerung des aktuellen Programms sehen viele in Griechenland ein neues Sparmemorandum. Auch deshalb rät der Arbeitsrechtler und Vizeparlamentspräsident Alexis Mitropoulos Tsipras dazu, die Verlängerung nicht ins Parlament zu bringen. Hält sich der Premier an diesen Tipp, dann entgeht er vorläufig etwas der Kritik aus den eigenen Reihen. Die kritischen Stimmen in der linken Partei würden auf diese Art nicht zu offiziellen Abweichlern werden.

Er riskiert jedoch, zum antiparlamentarischen Feind der Demokratie ernannt zu werden. Das wäre die Retourkutsche aus der Ecke Samaras. Denn dessen Flucht vor dem Parlament brachte ihm diesen Vorwurf von Tsipras ein. So oder so, beschränkt die Finanzkrise auch unter Tsipras die Handlungsfähigkeit der parlamentarischen Demokratie.