Marine Le Pen: "Es gibt keine Islamophobie in Frankreich"

Die Präsidentin des Front National zeichnet ein eigenwillig geschöntes Bild von der Situation im Land

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Zwei Monate nach den Terrorakten in Paris ist das zwischenzeitliche Umfragehoch für Präsident Hollande und Premierminister Valls Schnee von gestern. Im Frühling stehen Wahlen an: in den Departements, wo die Generalräte gewählt werden. Bei den auch Kantonalwahlen genannten Stimmabgaben geht es nicht um die Besetzung von Spitzenposten - wie Manuel Valls erklärte, werde er in jedem Fall Premierminister bleiben -, aber eben doch um etwas, das im Politikgeschäft sehr wichtig ist, die Stimmungslage der Wähler.

Hatte man früher die Regionalwahlen nicht all zu hoch gehängt und Niederlagen als mehr oder weniger üblichen Gegenreflex auf die Pariser Regierung bewertet, so hat sich dies mit den Erfolgen des Front National sehr geändert. Valls sprach in einem Medieninterview von "Angst".

Der FN könnte einen Stimmenanteil erringen, den man noch nie zuvor gesehen hat, weswegen er Angst um sein Land habe: Es könnte gegen den FN "zerschellen". 30 Prozent prophezeit Valls dem FN schon für die erste Runde (am 22. März). Das könnte die Partei zur stärksten bei den Wahlen machen (in den Umfragen liegt die UMP mit 29 Prozent um einen Prozent vor dem FN). Geht es nach dem PS-Politiker, so ist es nicht unwahrscheinlich, dass dem Wahlerfolg bei den "Départementales" ein Sieg bei den Präsidentschaftswahlen 2017 folgt.

Indessen haben auch die internationalen Medien erkannt, dass Marine Le Pen eine französische Politikerin mit Aussichten ist. Im Gespräch mit der Financial Times, Ende vergangener Woche, erklärt die Frontfrau der Partei, die nur mehr wenige Medien, denen die ideologische Herkunft der Bewegung gegenwärtig bleibt, explizit "rechtsextrem" nennen:

Der Moment gehört dem FN.

Sie sei nicht da, "um eine Boutique zu führen", präsentiert sich Le Pen im Interview, "sondern um Macht zu erlangen, damit ich sie an das französische Volk zurückgebe. Das ist meine Rolle". Als politische Ziele nennt sie den Ausstieg aus dem Euro, eine Null-Toleranz-Politik gegenüber Angriffen auf die laizistische Republik, eine Neuasurichtung der Außenpolitik, mit einer Annäherung an Baschar al-Assad und an Russland und einer kritischeren Haltung gegenüber bisherigen Partnern wie die Türkei, Katar und die USA, welche die "am meisten diskreditierte Macht im Nahen Osten seien", die man nicht als Partner beim globalen Kampf gegen die Dschihadisten betrachten könne. Ein Sieg über den "Islamischen Staat" sei nur zusammen mit Russland möglich.

Man müsse raus dem System, weil dies "etwas verrottet" sei, beschließt der Artikel Le Pens Ausführungen, um noch einige Zitate nach zu streuen. An einem ist nun gut zu erkennen, wie sehr auch die Politikern, die "anti-système" zu ihrer Marke macht, einer gewissen systemischen Symptomatik nicht entkommt: Nachrichten aus der Wirklichkeit auf Linie auszurichten. So stellt Le Pen die Behauptung auf, dass "es keine Islamophobie in Frankreich gibt. Es gibt keine anti-muslimischen Handlungen oder jedenfalls nicht mehr als Handlungen gegen Frauen ...oder kleingewachsene Personen. Aber es gibt einen Anstieg antisemitischer Handlungen."

Tatsächlich hat sich die Zahl der antisemitischen Akte in Frankreich 2014 verdoppelt und im neuen Jahr gab es mit dem Höhepunkt des vierfachen Mordes durch Coulibaly im jüdischen Supermarkt Hyper Cacher beunruhigende Nachrichten (Israelische Regierung will Massenimmigration europäischer Juden). Soweit stimmt Le Pens Wahrnehmung. Allerdings unterschlägt sie vollkommen, was das Collectif contre l'islamophobie en France (CCIF) an Meldungen und Zahlen zusammengetragen hat: Insgesamt 153 gegen Muslime gerichtete Aktionen zwischen 7. Januar und 7.Februar dieses Jahres.