Putin: "Rückkehr der Krim" war geplant

Der russische Präsident inszeniert sich innenpolitisch als erfolgreicher nationalistischer Stratege trotz der damit einhergehenden negativen außenpolitischen Folgen

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Die Duma erarbeitet gerade ein Konzept für eine patriotische Erziehung der Russen, die schon bei den Kindern einsetzen soll, so die Zeitung Istwestija. Das Programm soll für die Jahre 2016-2020 entwickelt werden. So sollen auch Patriotismus-Stunden an den Schulen stattfinden. Dabei soll an den Interessen der Kinder und Jugendlichen angesetzt werden, also an der Benutzung der sozialen Netzwerke und der Faszination an Gadgets sowie dem Wunsch, nützlich sein zu wollen und sich gegenüber den Kollegen auszuzeichnen. Nicht wie in der Sowjetunion soll daher Patriotismus aus Lehrbüchern gelernt werden, sondern mit dem Blick auf die "modernen Helden".

Vermutlich wird der russische Präsident Putin vielleicht nicht als moderner Held präsentiert werden, aber als großes Vorbild, eine Art neuer Führerkult beginnt sich offensichtlich bereits herauszubilden. Putin, der etwa mit Sotschie den Vorbildern aus dem Sport eine Bühne verschafft hatte und sich auch selbst gerne als Athlet und Sportler darstellt, schwimmt in der Konfrontation mit dem Westen in derPopularität bei den Russen ganz oben und scheint sich nun auch stärker als jemand darstellen zu wollen oder zu müssen, der nicht nur reagiert, sondern auch entschlossen agiert.

Symptomatisch ist dafür das Interview, das er dem Staatssender Rossia-1 für einen Fernsehbericht mit dem programmatischen Titel "Die Krim - der Weg in die Heimat" gegeben hat. Das war auf jeden Fall nicht spontan, sondern wohldurchdacht und medienstrategisch inszeniert mit seinen Beratern, Spin-Doktoren und politischen Freunden im Hinblick auf die Stimmung im Lande. Am Sonntag wurde vom Sender ein Ausschnitt veröffentlicht. Am 11. März hatte sich die Krim für unabhängig von der Ukraine erklärt (Die "Republik Krim" erklärt sich für unabhängig).

Putin als Retter von Janukowitsch.

Danach habe er in der Nacht vom 22. auf den 23. Februar 2014 am letzten Tag der Olympischen Winterspiele und kurz nach dem Sturz von Janukowitsch die Anordnung ausgegeben, die Krim zu übernehmen, also an die russische "Heimat" mitsamt dem Stützpunkt der Schwarzmeerflotte anzuschließen. Der Entschluss soll in einer Sitzung des Sicherheitsrats gefallen sein, die Putin nach dem Sturz von Janukowitsch und dessen Flucht nach Donezk einberufen hatten (damals war allerdings die Rede davon gewesen, dass Janukowitsch nach Charkiv geflohen ist, wo gerade ein Kongress der Partei der Regionen tagte).

Auf der Sitzung sei es darum gegangen, wie man Janukowitsch retten könnte. Der hatte unter dem Druck, sich entweder der EU oder Moskau zuzuwenden, letzteres gemacht. Nicht aus Liebe zu Moskau, Putin soll Janukowitsch verachtet haben, sondern weil Russland bereit gewesen war, dem schon 2013 vor der Pleite befindlichen Land einen schnellen Milliardenkredit zu gewährend, während dies die EU abgelehnt hatte. Janukowitsch erhielt dann für die Ukraine einen Sonderpreis für Gaslieferungen, wofür er einen Vertrag unterzeichnete, der Russland langfristig den Stützpunkt der Schwarzmeerflotte und damit einen strategisch sehr wichtigen Zugang zum Mittelmeer gewährleistete.

Putin sagte im Interview, dass Janukowitsch "einfach getötet worden wäre". Man habe sich deswegen darauf vorbereitet, ihn aus Donezk herauszuholen: "Das war in der Nacht vom 22. auf den 23. Februar. Wir beendeten die Sitzung um 7 Uhr morgen. Und während ich mich von den Kollegen verabschiedete, sagte ich ihnen: 'Wir müssen mit der Arbeit der Rückkehr der Krim nach Russland beginnen.'"

Schon immer musste man davon ausgehen, dass das russische Vorgehen auf der Krim primär wenig mit nationalistischer Einverleibung zu tun hatte, sondern eher mit der vermutlich berechtigten Angst, dass die neuen Machthaber, die in die EU und in die Nato strebten, sich nicht an Abmachungen der gestürzten Regierung gebunden fühlen und den Stützpunkt der Schwarzmeerflotte mitsamt den Zehntausenden von Soldaten schließen könnten. Möglicherweise bestand auch eine Sorge, dass die zu erwartende Auseinandersetzung in einen Krieg münden könnte, so dass man schnell Fakten schaffen wollte, was mit der mehrheitlich russischsprachigen Bevölkerung auf der Krim und den herrschenden Ängsten gegenüber den nationalistischen westukrainischen Machthabern auch relativ leicht möglich war.

Putin führt nicht weiter aus, wie die "Rückkehr" geplant worden war. Aus der Schnelligkeit der Ereignisse kann man nur schließen, dass es bereits einen Plan gegeben haben muss (Das geplante Referendum als Scheitelpunkt der Krise). Zumindest legen die Äußerungen Putins nahe, dass er sich vielleicht auch als geschickter Strippenzieher der hybriden Kriegsführung präsentieren möchte, die ihm vom Westen unterstellt wird. Bekanntlich hatte Putin zunächst geleugnet, dass russische Soldaten auf der Krim ohne Hoheitsabzeichen - die berühmt gewordenen "grünen Männchen" - mitgewirkt haben, Regierungsgebäude zu besetzen und Kasernen zu belagern. Im April 2014 hatte er dies dann bereits in seiner TV-Bürgersprechstunde zugegeben (Ist das Ukraine-Drama bald zu Ende?). Es seien Soldaten gewesen, die sowieso auf der Krim stationiert gewesen waren. Sie hätten dafür gesorgt, dass es zu keinem bewaffneten Konflikt gekommen sei und dass sich die Bürger friedlich in einem Referendum entscheiden können, ob sie unabhängig werden und die Krim in die Russische Föderation eingliedern wollen.

Alles lief mit einer rasanten Geschwindigkeit ab. Nicht nur Kiew und das ukrainische Militär, sondern auch der Westen war unfähig, darauf zu reagieren. Funktioniert hat die Machtübernahme aber letztlich doch auch, weil ein großer Teil der Bevölkerung mitgespielt hat, was sich auch daran gezeigt hat, dass viele ukrainische Soldaten übergelaufen sind und es keine wirkliche Gegenwehr gab. Für Putin ging es jedenfalls glücklich aus, weswegen er sich nun als großer Stratege präsentieren könnte, allerdings als einer, der listig agiert und einen Krieg vermeidet.

Ob die Krim-Strategie eine Vorlage auch für die Ostukraine war, ist fraglich. Man darf allerdings davon ausgehen, dass prorussischen Separatisten einem ähnlichen Drehbuch folgen oder dies provozieren wollten. Aber im Unterschied zur Krim waren vermutlich erst einmal keine oder nur wenige russische Soldaten in Donezk und Lugansk, sicher aber Geheimdienstmitarbeiter und von nationalistischen russischen Kreisen stammende Akteure vor Ort. Der wie immer auch inszenierte und beförderte Protest im Maidan-Stil kippte aber schließlich dann um, als Kiew beschloss, nicht zu verhandeln, sondern das zu machen, was Janukowitsch in Kiew überlegt, aber vermieden hatte: eine militärische Niederschlagung des Aufstands unter dem Titel einer "Antiterroroperation".

Das Bekenntnis von Putin ist innenpolitisch motiviert. Die staatlichen russischen Medien berichten darüber bislang nicht, auch auf der Kreml-Website wird dies nicht erwähnt. Es muss Putin und seinen Beratern aber auch klar gewesen sein, dass das Bekenntnis erneut den Konflikt mit dem Westen verstärkt und niemand mehr Äußerungen der russischen Regierung Glauben schenken mag, dass sie nicht direkt ihre Finger auch militärisch in der Ostukraine im Spiel hat. Was also mag die russische Führung dazu bewegt haben, sich angreifbarer gemacht zu haben? Ist es mittlerweile dem Kreml egal, wie man Russland im Westen beurteilt? Ist die immer geleugnete militärische Unterstützung nicht mehr zu leugnen? Ist die Situation im Inneren prekär, so dass man den starken Mann präsentieren will? Hat der Mord an Nemzow eine Rolle dabei gespielt? Funktioniert die Zuweisung an Muslime nicht, die verantwortlich sein sollen? Ist Putin in der Welle des Nationalismus gefangen, die er und seine Entourage reiten müssen, um an der Macht bleiben?