Der türkische Präsident sieht sich immer öfter beleidigt

Die Türkei wird zu einem autoritären Staat, nun sollen Kritiker offenbar auch mit Beleidigungsklagen mundtot gemacht werden

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In der Türkei wird es zunehmend ungemütlich nicht nur für Journalisten, sondern für alle Menschen, die Kritisches gegenüber der Regierung und vor allem gegenüber Präsident Recep Tayyip Erdoğan oder seinen Regierungschef Ahmet Davutoğlu im Internet äußern. Erdogan, der sich selbst einen prächtigen Palast bauen ließ, um seine Bedeutung zu unterstreichen, hat bereits die Unabhängigkeit der Justiz untergraben, Tausende von Polizisten, aber auch Richter und Staatsanwälte wurden entlassen oder versetzt, weil sie der Korruption auch in der Regierung nachgegangen sind. Mit einem Sicherheitsgesetz, das bald verabschiedet wird, wird die Versammlungsfreiheit geknebelt. Demonstrationen und Proteste wie 2013 soll es nicht mehr geben. Dem Geheimdienst wurden vor kurzem erhebliche erweiterte Befugnisse gegeben, seine Mitarbeiter müssen Strafverfolgung praktisch nicht mehr fürchten und neue Einschränkungen wurden für das Internet durchgesetzt, schon jetzt sind Zehntausende von Websites blockiert (Türkei: Bürgerrechte ade). Seit einiger Zeit mehren sich die Klagen gegen Menschen, die den Präsidenten oder seinen Regierungschef beleidigt haben sollen.

Von der Verfolgung einer Majestätsbeleidigung ist man in der Türkei nicht weit entfernt. Noch ist man aber nicht so rigoros wie in der wahabitischen Monarchie Saudi-Arabien, mit der der Westen gute Beziehungen hat und bestenfalls leise und konsequenzenlos wegen der Missachtung der Menschenrechte kritisiert, von fehlender Rechtstaatlichkeit und Demokratie ganz abgesehen.

Bekannt wurde die Verurteilung des Bloggers Raif Badawi zu zehn Jahren Haft, einer hohen Geldstrafe und 1000 Stockschlägen wegen Beleidigung des Islam, weil dieser einige Religionsgelehrte kritisiert und damit die Grenzen des Gehorsams überschritten habe. Zudem wirft man ihm eine Beleidigung des Glaubens vor und "Apostasie", worauf die Todesstrafe steht. Zwar wurde er bislang "nur" 50 Stockschlägen unterzogen und hat die Folter dann aus gesundheitlichen Gründen unterbrochen. Möglicherweise wirkt diesmal ein wenig die leise Kritik, Saudi-Arabien aber hat sich, gemünzt auf Siegmar Gabriel, jede Einmischung in die inneren Angelegenheiten verwehrt.

Drei Anwälte wurden zu 8 Jahren Gefängnis verurteilt. Sie dürfen nach dem Gefängnis nicht ins Ausland reisen und es ist ihnen unbegrenzt verboten, Medien wie soziale Netzwerke zu benutzen. Vorgeworfen wird ihnen Störung der öffentlichen Ordnung, da sie gewagt hatten den Justizminister zu kritisieren. Menschenrechtsaktivisten stehen besonders im Visier der saudischen Regierung. So wurde im Juli 2014 der Anwalt und Vorsitzende des "Menschenrechtsmonitors" Waleed Abu al-Khair zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt, anschließend darf er 15 Jahre lang nicht ins Ausland reisen. Seine Vergehen nach Amnesty:

Ungehorsam gegenüber dem Herrscher und Versuch, seine Legitimität zu untergraben, Gründung einer nicht genehmigten Organisation, Kritik an der Justiz und Infragestellung der Integrität der Richter, Schädigung des Rufs des Staates durch den Austausch mit internationalen Organisationen, Aufbereitung, Speicherung und Übermittlung von Informationen, die die öffentliche Ordnung beeinträchtigen.

Kritik gehört sich nicht. Das scheint mehr und mehr auch die Devise in der Türkei zu sein. Der letzte Fall betraf eine junge Putzfrau, die auf ihrer Facebook-Seite angeblich Erdoğan und Davutoğlu beleidigt haben soll. Lokale Behörden in der Provinz Çanakkale hatten ihren Arbeitgeber im Dezember 2014 aufgefordert, diese deswegen zu entlassen. Der war mutig und hat dies mit Verweis auf das Recht auf freie Meinungsäußerung nicht gemacht. Allerdings hatte er als Subunternehmer für Behörden Reinigungsdienste ausgeführt. Die Behörden eröffneten einfach eine neue Ausschreibung, eine andere Firma erhielt den Auftrag, die dann die Frau kündigte.

Das ist kein Einzelfall. In den letzten Monaten sind nach der Zeitung Hürriyet Menschen verhaftet und vernommen worden, weil sie den Präsidenten oder den Regierungschef "beleidigt" haben. So ist vor einigen Tagen der Popsänger Atilla Taş festgenommen und verhört worden, weil er den Regierungschef auf Twitter beleidigt haben soll. Nach der Vernehmung wurde er bis zum Prozess wieder freigelassen. Nach einer Klage von Davutoğlu hatten zwei diensteifrige Gerichte geurteilt, dass vier Tweets, in denen die Regierung kritisiert wird, zensiert werden müssen. In einem Tweet hatte Tas sich darüber lustig gemacht, dass Davutoğlu bei einen Kabinettstreffen, das von Erdoğan geleitet wurde, eingedöst war.

Auch gegen den Chefredakteur der Zeitung Cumhuriyet Can Dündar wird gerade ein Prozess geführt, weil er Erdoğan beleidigt haben soll. Er hatte über die Korruptionsvorwürfe berichtet, die die AKP und auch Minister betrafen. Dündar sagte, Strafverfolgung sei nun das Schicksal der Journalisten in der Türkei geworden. Erdoğan, so sein Vorwurf, nutze Beleidigungsklagen, um gegen jede Kritik vorzugehen: "Er versucht, jeden zu bestrafen, der seine Stimme in den Medien erhebt, die sowieso schon belagert sind." Man werde sich aber weiter äußern und schreiben.

Die Industriedesignerin und Autorin Merve Büyüksarac, eine frühere "Miss Turkey" wird beschuldigt und ihr der Prozess gemacht, weil sie auf Instagram ein Gedicht veröffentlich hat, das den Präsidenten beleidigt. Die Bemerkungen hätten den Rahmen der Meinungsfreiheit überschritten, so die Staatsanwaltschaft. Sie muss mit einer Gefängnisstrafe bis zu zwei Jahren rechnen.