Tsipras in Moskau

Kaum Ergebnisse, Betonung der Gemeinsamkeiten, Vorabzahlung für die Nutzung Griechenlands als Transitland der ab 2019 in Betrieb gehenden Pipeline

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Der griechische Premierminister Alexis Tsipras stellte bereits vor seinem Besuch in Moskau klar, dass er nicht zum Betteln zu Wladimir Putin reisen würde. Allen Unkenrufen zum Trotz konnte sich das von der Ratingagentur Fitch auf CCC-Ramschniveau abgewertete Land kurzfristig frisches Geld auf dem freien Kapitalmarkt besorgen. Handfeste Ergebnisse lieferte der griechische Staatsbesuch in Moskau hauptsächlich für die Diplomatie der beiden Staaten. Für die Statistiker ist eventuell erwähnenswert, dass es die erste offizielle Reise war, auf der Tsipras als Premier von seiner Lebensgefährtin Betty (Peristera) Baziana begleitet wurde.

Bild: Andreas Bonetti/Pool

Die Ergebnisse ihrer Gespräche fassten Putin und Tsipras in der gemeinsamen Pressekonferenz schnell zusammen. Der Gastgeber betonte, dass:

  • die Zusammenarbeit auf in Handelsfragen, welche durch die EU-Sanktionen und die fallenden Energiepreise sank, wieder aufgewärmt werden soll;
  • Griechenland zum Knotenpunkt einer Gaspipeline werden soll;
  • die Russen bei den Privatisierungen in Griechenland wie gleichberechtigte Bieter behandelt werden möchten.
  • die Russen den zu privatisierenden Hafen von Thessaloniki gern privatisieren möchten;
  • die Russen ein Griechenlandjahr und die Griechen ein Russlandjahr für die Verbreitung der russischen und griechischen Sprache sowie der Kulturen in den beiden Ländern veranstalten sollten;
  • die Russen gern in Griechenland urlauben, Putin regte weitere Synenergien im Tourismus an;
  • die Russen den griechischen Partner Zypern bei der Lösung des Problems der türkischen Besetzung und der Umsetzung der einschlägigen UN Resolutionen unterstützen würden;
  • die Griechen der Russischen Föderation bei der vollständigen Umsetzung der Vereinbarungen von Minsk hinsichtlich der Krise in der Ukraine helfen könnten.

Der griechische Premier Alexis Tsipras griff die Krise der Ukraine ebenfalls auf. Er betonte, dass in Mariupol, einer griechischen, Jahrtausende alten Stadtgründung immer noch knapp 100.000 Griechen leben. Darüber hinaus bezog er sich darauf, dass

  • die Beziehung der beiden Länder zuletzt eingefroren waren;
  • er sich um eine Aufhebung des russischen Embargos für griechische landwirtschaftliche Erzeugnisse bemühe, wobei beiden Seiten dennoch übereinkamen, dass Russland gegenüber den EU-Staaten keine Extrawurst für die Griechen braten könne;
  • die Griechen deshalb kein Geld von Moskau suchten, weil sich nicht nur keine Bettler wären, sondern weil die griechische Schuldenkrise kein griechisches, sondern ein EU-Problem sei;
  • der Besuch von Tsipras in Moskau Griechenland entgegen den Einwänden der EU die Souveränität der Hellenen betonen würde;
  • die beiden Staaten eine gemeinsame Erklärung zum siebzigsten Jahrestag des Sieges der Völker gegen den Faschismus erarbeiten würden.

Tsipras traf sich in Moskau auch mit Vertretern der griechischstämmigen Russen. Im Gebiet der Russischen Föderation siedeln seit dem Altertum Griechen. Zusätzlich dazu kamen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kommunistische Flüchtlinge aus Griechenland dazu. Einer der Wegbereiter des Staatsbesuchs, der Pontosgrieche Ivan Savvidis, ist Parteigänger Putins und hat dem Kremlchef bereits in der Duma als Parlamentarier gedient.

Savvidis profitierte als Besitzer des nordgriechischen Fußballvereins PAOK von einer Rabattregelung Tsipras' für säumige Steuerzahler. Savvidis gibt sich in Interviews als Mittler zwischen beiden Welten, der Russlands und der des EU-Mitglieds Griechenland. Der Oligarch betont, dass die Ukraine sich auch gegenüber der griechischen Minderheit nicht fair verhalten habe.

Ende der Eiszeit

Unter Tsipras' Vorgänger Samaras waren die Beziehungen zu Moskau ebenso abgekühlt wie unter Samaras' Vorgängern Pikramenos, Papademos und Papandreou. Der bis Oktober 2009 regierende, konservative Politiker Kostas Karamanlis hatte als letzter griechischer Regierungschef explizit die Nähe Putins gesucht.

Ebenso wie Karamanlis setzt auch Tsipras auf eine Erdgasleitung aus Russland. Als einziges finanziell handfestes Ergebnis kann der griechische Premier eine Vorabzahlung der Russen für die Nutzung Griechenlands als Transitland der ab 2019 in Betrieb gehenden Pipeline verbuchen.

Bild: Andreas Bonetti/Pool

Und immer wieder die Nazizeit

Zusätzlich zu der noch nicht näher bezifferten Summe gibt es von Seiten Putins die Rückgabe von zwei Beute-Ikonen der Nazis. Der Verwalter der Besatzungsmacht auf Kreta, Generalleutnant Friedrich-Wilhelm Müller, hatte die Ikonen des heiligen Nikolaos und des heiligen Spyridon einst aus einem Kloster auf dem Peloponnes in Sparta gestohlen. Müller wurde nach dem Krieg von den Russen geschnappt und den Griechen übergeben. Diese exekutierten den "Schlächter von Kreta" wegen des Massakers von Vianno. Offenbar war dessen Beutekunst zunächst bei den Russen verblieben.

Dennoch ist die Gemeinsamkeit des Kampfes gegen die Nazitruppen einer der Berührungspunkte, welche die Russen und Griechen miteinander verbinden. In einem vom griechischen Regierungssprecher verbreiteten so genannten Non Paper wird der Dialog Tsipras mit dem wachhabenden Offizier am russischen Grabmal des unbekannten Soldaten wieder gegeben. Demnach hat sich der Offizier bei Tsipras bedankt, weil dieser sich die Zeit zum Besuch des Mahnmals an der Kremlmauer und zum Gedenken an die Opfer des Zweiten Weltkriegs nahm. Tsipras erwiderte, dass er mit dem Gedenken an den gemeinsamen Kampf gegen das Nazireich auch an die griechischen Gefallenen erinnern würde.

Bild: Andreas Bonetti/Pool

Später, bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Putin, wurden neben dieser Allianz des Zweiten Weltkriegs weitere verbindende Elemente erwähnt. Seit nunmehr einem Jahrtausend sind die Russen auf der Halbinsel Athos, der orthodoxen Mönchsrepublik, präsent. Die gemeinsame Religion, Kultur und Werte hob der bekennende Atheist Alexis Tsipras als Identifikationspunkte der Russen und Griechen hervor. So sehr der linke griechische Premier bei seiner Kleidung und seinem Auftreten mit Traditionen bricht, so wenig ist es ihm möglich, in Griechenland fern der christlichen Orthodoxie zu leben.

Tsipras bewerkstelligt diesen Spagat dadurch, dass er die kulturellen und philosophischen Errungenschaften der Orthodoxie betont. Die orthodoxe Religion baut vor allem auf der Suche des Gläubigen nach der Wahrheit auf. Dagegen werden die westlichen Religionen von orthodoxen Theologen eher als Religionen der festen Regeln wie bei den Katholiken oder der bestrafenden Gottheit wie bei den Protestanten angesehen. Aufbauend auf dieses Weltbild wird in der gesamten griechischen Presse nahezu unisono über Griechen, Russen und die EU berichtet.

Nicht alle im Land sind glücklich darüber. Die linksintellektuelle Dissidentin Soti Triantafyllou sieht in der aktuellen Links-Rechts-Regierungskoalition, die "Hände der Priester küsst", eine Gefahr. Triantafyllou fürchtet, dass es der griechischen politischen Führung an Visionen fehlt und dass es in der Folge der aktuellen "Revolution" eine Entwicklung wie nach der französischen Revolution geben könnte. Sprich, dass auf die Jakobiner eine konservative Konterrevolution à la Napoleon Bonaparte folgen könnte. Triantafyllou kritisierte auch die für eine fortschrittlich linke Politik ihrer Meinung nach rückständige Praxis der Militärparaden zu Nationalfeiertagen. Sie ist als SYRIZA-Kritikerin bekannt. Allerdings ist sie mit ihrer Meinung nicht allein.

Exarchia mal wieder in Flammen

Während Triantafyllou aus dem reformistischen Lager stammt, wenden sich mit den extrem linken Basisdemokraten der Szene um Exarchia diejenigen gegen Tsipras, die einst für seinen Aufstieg sorgten. Die Anarchisten und Linksextremen möchten eine Lockerung der Haftbedingungen für Terroristen erreichen. Die unter Samaras eingerichteten Hochsicherheitsgefängnisse sollen geschlossen werden, schwer behinderte inhaftierte Terroristen wie Savvas Xiros sollen entlassen werden. Tsipras Regierung bereitet ein entsprechendes Gesetz bereits vor. Die SYRIZA-Partei ist deswegen unter dem Dauerbeschuss der Oppositionsparteien, welche in der Gnade gegenüber den Terroristen eine Ermunterung für Terroraktionen vermuten.

Den Sympathisanten der Inhaftierten geht es jedoch nicht schnell genug. Sie besetzen aktuell die Kapodistrias-Universität Athens und schlagen nahezu täglich auch an anderen Orten zu. Am Dienstagabend, dem Vorabend von Tsipras Treffen mit Putin, war die Wut soweit aufgestaut, dass eine Gruppe von Anarchisten kurzerhand die Gegend um die Technische Hochschule Athens in Flammen legte.

Bild: W. Aswestopoulos

Polizisten, Journalisten und Passanten, welche sich der kurzfristig besetzten TH näherten, wurden mit Molotow-Cocktails, Feuerwerkskörpern und Steinen beworfen. Der Spuk hielt an, so lange die streitwütigen Besetzer Wurfgeschosse zur Verfügung hatten. Die Polizei hingegen hielt sich auf Befehl von Bürgerschutzminister Giannis Panousis zurück. Der Minister äußerte sein Bedauern über die angerichtete Verwüstung des Viertels. Einen von der Opposition geforderten Rücktritt lehnte er jedoch rigoros ab. Weil die Anarchisten sogar an die Mauern des Parlaments inzwischen entfernte Sprüche sprayten, sahen konservative Politiker das Ende der Demokratie nahen.

Bild: W. Aswestopoulos

Die inneren Spannungen im Land

Tsipras Besuch in Moskau wurde in Griechenland von zahlreichen weiteren Entwicklungen überschattet. Die Einrichtung einer parlamentarischen Untersuchungskommission von der Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou sorgt für den Unmut der Opposition, aber auch für Sorgenfalten bei der Regierung.

Während Finanzminister Yanis Varoufakis beim IWF versicherte, dass Griechenland jetzt und für alle Zeiten seine Schulden bedienen werde, sucht Konstantopoulou in ihrer "Kommission der Wahrheit" danach, wie berechtigt die Schuldenforderungen überhaupt sind. Auf die Diskrepanz zwischen ihr und der zur gleichen Partei gehörenden Regierungsmitglieder antwortet sie locker: "Die sind die Exekutive und ich sitze der Legislative vor."

Bei der Debatte für einen weiteren, von den Fraktionen des SYRIZA und der Unabhängigen Griechen einberufenen parlamentarischen Untersuchungsausschuss gab es die mittlerweile üblichen kontroversen Debatten im Plenum. Parlamentspräsidentin Konstantopoulou lieferte sich Wortgefechte mit den Vertretern von PASOK und Nea Dimokratia. Antonis Samaras und Alexis Tsipras überzogen sich mit mehr oder weniger diplomatisch verpackten Schimpftiraden.

Zoe Konstantopoulou. Bild: W. Aswestopoulos

Es geht darum, dass die Regierung beweisen möchte, dass Griechenland über gezielte Manipulationen in die Schuldenfalle und das Spardiktat geriet. Anfangen wird der Ausschuss mit dem Zeitraum ab Oktober 2009, dem Wahlsieg von Giorgos Papandreou. Somit werden die Regierungen Papandreous, Papademos, Pikramenos und Samaras unter die Lupe genommen. Der Premier, unter dessen Führung das Land sich überschuldete, Kostas Karamanlis, bleibt ebenso ausgespart wie derjenige, der das Land in die Euro-Zone brachte, Costas Simitis. Und schon spinnen sich um dieses von Kritikern als Vorzugsbehandlung bezeichnete Aussparen der Perioden Simitis und Karamanlis Verschwörungstheorien, welche auch mit Karamanlis Sympathie zu Russland in Verbindung gebracht werden.