Militär und Massenmedien

80 Jahre Fernsehen in Deutschland

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Am 22. März 1935 eröffnete Reichssendeleiter Eugen Hadamovsky im großen Sitzungssaal des Berliner Funkhauses den Start des Fernsehens in Deutschland. Es war der erste "regelmäßige Programmbetrieb" weltweit, und er sollte - so Hadamovsky - das "Bild" des Führers "tief und unverlöschlich in alle deutschen Herzen pflanzen". Die Eröffnung war, so Arnolt Bronnen, "eine reine Hochstapelei". Noch gab es kein Programm, nur wenig Fernsehgeräte, kaum Zuschauer - und einen heimlichen Zwilling des neuen Mediums: das Militär.

Das frühe Fernsehen war ein "Medium ohne Publikum" (Winfried B. Lerg), und keiner wusste so recht, was damit angefangen werden sollte. Schon 1884 hatte sich Paul Nipkow die Eingebung einer Bilder übertragenden "Nipkow-Scheibe" patentieren lassen, und seit 1897 gab es Ferdinand Brauns Idee einer "Braunschen Röhre".

Vorläufer gab es viele - doch erst nach dem Ende des 1. Weltkriegs stieg das Interesse an schnellen Bildübertragungsverfahren. Die Erfahrungen der Stellungskriege schufen vor allem militärische Nachfrage nach neuen, technischen Lösungen. "Besonders Gewicht", so schrieb der Erfinder und damals führende Fernsehforscher Dénes von Mihály 1923, kommt dem Fernsehen "als Kundschafterinstrument bei der Armee zu. … Nicht minder wichtig ist der Umstand, dass der Generalstab zu jeder Zeit innerhalb Sekunden sich über die genaue Verteilung der eigenen Truppen informieren kann." Nun sei eine "vollkommen zentralisierte Leitung" möglich.

Vision und Wirklichkeit

Doch noch waren die Ideen der Erfinder weit von einer Umsetzung entfernt. Am 29. Oktober 1923 begann das erste elektronische Massenmedium Radio seinen zivilen Siegeszug auf Mittelwelle, und bereits 1924 kündigte Reichsrundfunkkommissar Hans Bredow in Königsberg die baldige Einführung des Fernsehens an. Es blieb eine Ankündigung.

1929 führte die Reichspost erste regelmäßige Versuchssendungen durch; im selben Jahr betrat neben Telefunken und Lorenz auch die Fernseh AG, ein Zusammenschluss von Bosch, Loewe, Zeiss-Ikon und Baird, den Fernsehmarkt, einzelne Empfangsgeräte wurden vor allem auf Funkausstellungen präsentiert.

Während der Weimarer Republik war der Hörfunk das einzige elektronische Massenmedium - und er blieb es auch nach dem Sendestart des Fernsehens am 22. März 1935. Deutschland war und blieb eine akustische Gesellschaft. 1937 soll es 8 Millionen Rundfunkgeräte gegeben haben, aber nur 75 - zwischen 2.500 und 3.600 Reichsmark teure - Fernsehheimempfänger; 1940 waren es bereits 13 Millionen Radioempfänger und höchstens 500 Fernsehapparate. Privater Fernsehempfang war nur für ganz wenige Spezialisten und Funktionäre möglich. Selbst der billige Einheitsfernseher, der 1939 angekündigt wurde und - ähnlich wie der Volksempfänger (Radio) - in großer Stückzahl produziert werden sollte, wurde nicht wirklich realisiert. Statt der 10.000 angekündigten Exemplare wurden nur 50 gebaut. Kriegsbedingt.

Kombinierter Fernseh- und Rundfunkempfänger der Firma Telefunken von 1933. Bild: AAA, Deutsches Bundesarchiv (Bild 183-R26738). Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Gemeinsam Fernsehen

Das frühe Fernsehen wurde in "Fernsehstellen" und in Gemeinschaft genutzt. Kurz nach der regelmäßigen Programmaufnahme 1935 wurde die erste Fernsehstube im Reichspostministerium in Berlin eröffnet. Sie bot 30 Sitzplätze und zwei Fernsehgeräte mit 18 x 22 Zentimeter großen Schwarz-Weiß-Bildschirmen. Das Abendprogramm war eher karg und der Eintritt frei.

1936 gab es in Berlin 25 Fernsehstuben (darunter 10 provisorische); dann wurden neben den kleinen Fernsehstellen auch Großbildstellen, sogenannte "Fernsehtheater" eröffnet. Die größte fasste rund 300 Zuschauer, das TV-Bild wurde hier auf eine Fläche von 3 x 4 Metern projiziert. Es war vor allem die Olympiade mit den ganz neuen Bildern der riesigen "Ikonoskop"-Kamera, die die Zuschauer in die Liveübertragungen brachte. Nach Angaben der Reichsrundfunk Gesellschaft sollen 162.228 Zuschauer die Olympiade am Fernsehen - gemeinsam - verfolgt haben.

Nach den Olympischen Spielen ließ das Interesse am Fernsehen wieder nach. Fernsehen blieb bis zum Kriegsbeginn ein "Aufführungs-Medium" (Konrad Dussel), eher Theater oder Kino denn Fernsehen im modernen Sinn.

Darüber hinaus war das frühe Fernsehen ein rein Berliner Angebot, erst 1941 entstanden auch in Hamburg ein paar Fernsehstuben, die über das Breitbandkabelnetz vom Berliner Sender versorgt wurden. Doch auch ihre Zeit war nur kurz. Bereits 1942 wurden die Fernsehstuben und -theater wieder geschlossen. Die Fernsehapparate gingen ans Militär, in Truppenunterkünfte und 40 Berliner Lazarette. Hier konnten Soldaten und Verwundete - exklusiv - Unterhaltungssendungen wie "Wir senden Frohsinn - Wir spenden Freude" sehen. Eine Art Fernsehpendant zum "Wunschkonzert" des Radios.

Seit 1943 sendete auch der "Fernsehsender Paris" ein Programm auf deutsch und französisch, finanziert von Reichsrundfunkgesellschaft und Wehrmachtskommandantur Paris. Der Sender war in Lazaretten in Frankreich zu sehen. Dort standen rund 200 Empfangsgeräte. Das Programm konnte aber auch an rund 1000 Privatempfängern, die damals in Paris gestanden haben sollen, verfolgt werden. Daneben gehörte offenbar der englische Secret Service - jenseits des Kanals - zu den Nutzern des Wehrmachtsprogramms. Ende August 1944 stellte der Pariser Sender sein Programm ein.

Es folgte eine lange fernsehfreie Zeit. "Die Alliierten", so kann man etwa in dem Band "50 Jahre Fernsehen in Deutschland" nachlesen, "hatten Deutschland zunächst jegliche Fernsehaktivitäten untersagt - wegen der Nähe zur Radartechnik". Erst am 27. November 1950 startete das Versuchsprogramm "Nordwestdeutscher Fernsehdienst", am 25. Dezember 1952 folgte - aus einem riesenhaften Hochbunker auf dem Heiligengeistfeld in Hamburg - der Neustart.

Und wieder wurde Fernsehen zunächst bevorzugt kollektiv genutzt: in Gastwirtschaften oder Dorfgemeinschaftshäusern. Noch immer waren die, die aus den Bildschirmen "mit Menschenstimmen" redeten, schwarz-weiße "Zwerge" (Theodor W. Adorno)

Geheime Zwillinge

Folgt man einer Idee Friedrich Kittlers, dann war der frühe Hörfunk vor allem "Missbrauch von Heeresgerät". Das neue Massenmedium wurde möglich, weil 1923 eine Chiffriermaschinen-Aktiengesellschaft neue Geheimhaltungsstufen für militärische Mitteilungen möglich gemacht hatte. Die frei gewordenen Frequenzen wurden quasi Radio. Und auch der zivile Fernsehbetrieb hatte - deutlich etwa an den Ideen Mihálys ablesbar - seit Anbeginn seinen geheimen, bis heute kaum erschlossenen, militärtechnischen und militärischen Zwilling

Anders als der Hörfunk war das frühe Fernsehen von Anfang an kein ziviles Medium. Als 1935 die neue Fernsehlandschaft reguliert werden sollte, ging die Oberaufsicht "mit Rücksicht auf die besondere Bedeutung des Fernsehwesens für die Flugsicherungen und den nationalen Luftschutz" zunächst an den Reichsminister für Luftfahrt. Und nicht erst seit Kriegsbeginn gehörten Luftaufklärung, Luftraumüberwachung und Waffensteuerung zu den vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten der Fernsehtechnologie.

Bereits in der Weimarer Republik faszinierte die Zeitgenossen die Vorstellung, Raketen durch Fernsehkameras zu steuern. Seit 1932 existierte die Idee eines "Fernsehtorpedos". TV-Bilder sollten ermöglichen, unbemannte Fahrzeuge oder Torpedos durch Fernsehsteuerung von der Abschussstelle aus präzise ans Ziel zu bringen - eine Idee, die wohl erst im Golfkrieg von 1991 vollständig entwickelt war und auch massenmedial umgesetzt werden konnte. 1943 wurden Versuchsabwürfe mit Gleitbomben unternommen, die mit Fernseh- und Fernsteuerungsanlagen ausgerüstet waren - aber nie zum Einsatz kamen. Die Trefferquote soll bei unter zwei Prozent gelegen haben.

Seit 1939 wurde die Fernsehforschung in der Forschungsanstalt für Hochfrequenztechnik, Radar, Atomphysik, Funkspionage und Fernsehen bei Kleinmachnow gebündelt. Während die Bilder in den Fernsehstuben mit 441-Zeilen-Verfahren übertragen wurden, war man in der militärischen Forschung schon viel weiter. 1940 gelang es der Fernseh GmbH erstmals, ein Fernsehbild mit 1029 Zeilen zu schaffen. Für die Luftaufklärung. Und aus der riesigen, fahrbaren "Ikonoskop"-Kamera wurden rasch Super-Iconoscope-Kameras für Gleitbomben. Sie waren mit Verstärkern, Impulsgebern und Kippgeräten gerade noch 16 x 16 x 40 Zentimeter groß.

Breitbandverkabelung

1934 hatte man in Berlin bereits mit der Breitbandverkabelung begonnen - und die Liveübertragungen der Olympischen Spiele waren vor allem durch dieses Netz möglich geworden. Dann wurde die Strecke Berlin - Leipzig gebaut und bis Nürnberg und München ausgeweitet; es folgte Berlin - Hamburg, weitere Trassen nach Frankfurt oder Köln waren geplant. Riesensummen wurden in die Verkabelung gesteckt. Schätzungen gehen davon aus, dass zwischen 1934 und 1945 zwischen 120 und 160 Millionen Reichsmark ins Kabel gesteckt und "wehrwichtige Belange stärkstens berücksichtigt" wurden (Reichspostminister Wilhelm Ohnesorge). Die rund 16 Millionen Reichsmark, die zwischen 1935 und 1945 ins Fernsehen investiert wurden, waren da vergleichsweise Peanuts.

Es entstand eine Breitbandinfrastruktur von über 4.000 Kilometern, die sehr multifunktional genutzt werden konnte. Denn das Kabel ermöglichte Fernsehempfang, vor allem aber "Fernseh-Sprechfunk" (eine Art analoges Skype), Telefongespräche und - seit den Anfängen - militärische Kommunikation. "Kabel waren viel abhörsicherer als Funkwellen" (Konrad Dussel). Als die Fernsehbilder und die privaten Gespräche 1939 aus dem Kabel verschwanden, wurden über die Leitungen etwa Luftlagebilder übermittelt.

Militär und Medienindustrie waren beim Start des Fernsehens vor 80 Jahren aufs engste verbunden. Fernsehen entstand nicht nur als modernes, unterhaltendes und gleichgeschaltetes Massenmedium; die Fernsehbilder durchdrangen alle gesellschaftlichen Bereiche, schufen ganz neue Umwelten; gerade auch im militärischen Feld. Mit den neuen Kameras etwa waren nicht nur olympische Entscheidungen live zu sehen, sondern auch die Flugwege der Gleitbomben.

Welche vielfältigen neuen Umgebungen die Fernsehtechnik schuf, zeigt das Leben des Erfinders und lange Jahre führenden Fernsehtechnikers Walter Bruch (1908-1990) sehr plastisch. Seine ersten Meriten errang er als Kameramann hinter dem voluminösen "Ikonoskop", der "Fernsehkanone", die während der Olympischen Spiele 1936 erstmals Livebilder in die Fernsehstuben trug.

Anfang der 1940er Jahre baute er in Peenemünde eine - quasi militärisch-industrielle - Fernsehanlage auf, die die Starts der V2-Raketen in den sicheren Prüfstand übertragen konnte. Mit einem "Fenster zur Welt" hatten diese Fernsehanlagen nichts zu tun. 1967 schließlich war Bruch maßgeblich an der Einführung des Farbfernsehens in Deutschland beteiligt. Das PAL-System, das Willy Brandt mit einem legendären Knopfdruck aktivierte, war wesentlich auch Bruchs Erfindung. Militärisches und Nichtmilitärisches, Destruktives und Produktives gingen fast nahtlos ineinander über.

Aber 1967 dominierten schon lange nicht mehr Röhren und Fernsehbilder die militärischen Innovationen. Die Entwicklung war längst viel weiter. Das Militärische war digital geworden und in die Computer eingezogen. Die Zerstreuungsindustrie Fernsehen war von ihrer militärischen Vergangenheit scheinbar befreit.