Alexis Tsipras: "Wir errichten eine Mauer der Souveränität!"

Der Finanzminister spaziert weiter ohne Probleme und ohne Personenschutz durch die Straßen. Bild: W. Aswestopoulos

Griechische Regierung nimmt den Fehdehandschuh auf, das erste Gesetzespaket soll den Armen helfen

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Das erste Gesetzespaket der seit dem 26.1. in Athen amtierenden linksgerichteten Regierung unter Alexis Tsipras ist Fakt. Wie beim Amtsantritt versprochen, soll die erste legislative Initiative der Regierung den Ärmsten der Armen helfen. Die EU-Kommission hatte dies mehr oder weniger als Casus Belli bezeichnet.

Wie sonst ist zu verstehen, dass Declan Costello, Direktor der EU-Abteilung für Wirtschafts- und Finanzfragen einen Verbotsbefehl nach Athen schickte. Costello ist kein vom Volk gewählter Vertreter souveräner Staatsgewalt, befand Alexis Tsipras. Trotzdem verlangte er von der griechischen Regierung, dass diese das lang angekündigte Gesetzeswerk zurückstellen müsse. In der Bekämpfung der in Griechenland für jeden unverkennbar vorherrschenden humanitären Krise sähe, so Costello, die EU-Kommission einen einseitigen Schritt Athens, somit eine Verletzung der am 20. Februar 2015 geschlossenen Vereinbarung.

Parlament in Athen. Bild: W. Aswestopoulos

Tsipras hob den Fehdehandschuh auf. Er reichte das strittige Gesetz im Eilverfahren ins Parlament ein. Dort wurde es am Mittwochnachmittag hinsichtlich des Gesetzesrahmens abgesegnet. Für Mitternacht steht die Abstimmung über die einzelnen Gesetzesartikel an. Während der parlamentarischen Sitzung gab es einigen Aufruhr. Seitens der Regierung wurde deutlich, dass das Eilverfahren eindeutig auch als Antwort auf das seit Tagen anhaltende Hin und Her diplomatischer und undiplomatischer Diskussionsbeiträge zu Personalfragen oder Provokationen zum Leben der aktuellen griechischen Minister vor der Amtsübernahme ist (Varoufakis: Hat er oder hat er nicht?).

Der Premier, der direkt nach seiner Rede die Koffer für das Fünfertreffen und das Gipfeltreffen in Brüssel, sowie für seinen Besuch in Berlin packte, sprach es in vollkommen eindeutigen Sätzen aus: "Wir errichten eine Mauer der Souveränität!". "Statt leerer Worte liefern wir Taten", verkündete er. Tsipras fragte sich, welche Werte die EU vertreten würde, wenn sie "es als einseitige Aktion bezeichnet, dass wir mit Maßnahmen die humanitäre Krise bekämpfen, welche die EU selbst mit ihren irrsinnigen Sparprogrammen hervorrief". Mehrfach betonte Tsipras, dass die Troika selbst zugegeben hatte, die Verarmung der Bevölkerung verursacht zu haben. "In der EU gibt es keine Eigentümer und keine Untermieter", referierte Tsipras, "es gibt nur gleichwertige Partner."

Der Premier plauderte aus dem Nähkästchen. Er blamierte die ehemaligen Minister der Nea Dimokratia und der PASOK, dass diese bei Treffen mit der Troika bis nach zwei Uhr Nachts vor den Büros der Troika-Inspektoren hocken mussten. Danach bekamen sie auf DIN-A-4-Bögen oder per formlosem E-Mail die Texte der zu beschließenden Spargesetze. Damit sei nun ein für alle mal Schluss, betonte Tsipras. Künftig würden sich Staatschefs mit Staatschefs, Minister mit Ministern und Beamte mit Beamten treffen. Minister, welche auf Befehle von EU-EZB-IWF-Beamten warten würden, kann es unter Tsipras nicht geben. Sein Koalitionspartner Panos Kammenos sprang ihm zur Seite. "Die griechische Regierung erhält ihre Weisungen nur vom griechischen Volk", befand er.

Mit dem überraschenden Vorstoß preschte Tsipras mitten in die laufende Diskussion um seinen Finanzminister vor. In Griechenland wird heftig diskutiert, ob hinter Varoufakis medialer Überpräsenz eine für Außenstehende nicht erkennbare Methode steckt. Der Finanzminister gibt weiter fleißig Interviews, spaziert ohne Probleme und ohne Personenschutz durch die Straßen und zieht damit wortwörtlich die Lichter der Öffentlichkeit aus sich.

Gruß an Tsipras vom Erzbischof. Bild: W. Aswestopulos

Den Verschwörungstheorien und Geschichten zu Ränkespielen liebenden Griechen fällt auf, dass Alexis Tsipras im allgemeinen Chaos um Varoufakis das vorher als unmöglich Geglaubte geschafft hat. Dem bekennenden Atheist gelang der Schulterschluss mit der orthodoxen Kirche. Zu seinem Namenstag am Dienstag schickte Erzbischof Ieronymos demonstrativ einen Präsentkorb per Boten. Der Bote fuhr nicht wie ansonsten üblich zum Seiteneingang vor. Stattdessen spazierte er für alle erkennbar demonstrativ an der Journalistenschar, die wie üblich vor dem Amtssitz Tsipras campierte, vorbei. Ein "Ich komme vom Erzbischof" half endgültig, die Aufmerksamkeit der Anwesenden zu bündeln. Die Hilfe der Kirchenführung garantiert Tsipras etwas mehr Ruhe an der Heimatfront.

Die Taktik von SYRIZA gegenüber der Goldenen Morgenröte

Als Begleiterscheinung des heutigen Parlamentstags zeigte sich erneut, dass SYRIZA eine andere Politik gegenüber den Repräsentanten der Goldenen Morgenröte verfolgt als die Vorgängerregierung. Statt mit demonstrativer Verweigerung parlamentarischer Rechte, wie es die Regierung Samaras praktizierte, versucht vor allem Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou, den Extremisten über die ausdrückliche Gewährung demokratischer Rechte den Boden der Verschwörungstheorien zu entziehen.

Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou. Bild: W. Aswestopoulos

Konstantopoulou sympathisiert keineswegs mit den rassistisch-militärischen Ideologien der Abgeordneten der Goldenen Morgenröte. Weil die inhaftierten, aber nicht verurteilten Mitglieder der Partei erneut keine Erlaubnis für den Parlamentsbesuch bekamen, konnte der Antrag der Fraktion auf namentliche Abstimmung zum Gesetzesvorschlag der Regierung nicht angenommen werden. Denn dafür hätten alle 17 Parlamentarier der Goldenen Morgenröte im Parlament sein müssen. Deshalb hatte Konstantopoulou zunächst als Parlamentspräsidentin die namentliche Abstimmung angeordnet.

Allerdings nutzen vor allem PASOK und Nea Dimokratia die Demokratieoffensive der Parlamentspräsidentin dafür aus, ihr eine gefährliche Nähe zu den im allgemeinen Sprachgebrauch als Nazis bezeichneten Extremisten zu unterstellen. Konstantopoulou zog daraufhin die Anordnung zur namentlichen Abstimmung zurück, "um nicht in eine Nähe mit mir fremden Ideologien gebracht zu werden und um den Parlamentariern der ehemaligen Regierung ein Alibi zur Stimmverweigerung zu entziehen".

Bleibt für die Chronik zu notieren, dass SYRIZA, die Unabhängigen Griechen und die Goldene Morgenröte ausdrücklich für das Gesetzespaket zur Bekämpfung der humanitären Krise stimmten. Die Nea Dimokratia, die PASOK und die Kommunisten enthielten sich der Stimme. Die Fraktion von To Potami hatte aus Protest gegen Konstantopoulou das Plenum verlassen.