Kampf um die Gewährung des Sonderstatus für Donezk und Lugansk nach dem Minsker Abkommen

Eine Lösung scheint kaum möglich sein. Kiew trickst, die Separatisten und Moskau kritisieren eine Verletzung des Abkommens

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Gestern hat Präsident Poroschenko die von der Rada am Dienstag mit der erforderlichen Mehrheit beschlossenen Zusätze zu dem Gesetz über den Sonderstatus gewisser Gebiete im Donbass unterzeichnet. Das Gesetz soll die Situation "normalisieren", so Poroschenko, und eine ordentliche Selbstverwaltung durch eine schnelle Durchführung von freien Wahlen nach ukrainischem Recht und nach OSZE-Maßstäben ermöglichen. Erst nach den Wahlen soll das Gesetz über die Selbstverwaltung in Kraft treten, machte Poroschenko klar. Das betonte auch Rada-Sprecher Hroisman. Das Gesetz ermögliche keinen Sonderstatus und keine Behörden, die nicht im Rahmen der Verfassung geschaffen werden, sagte er.

Damit wurde etwas verspätet der nächste Schritt nach dem Minsker Abkommen eingeleitet, allerdings mit einer Finte. Poroschenko ist in der Ukraine sehr unter Druck, weil es viele Falken und Nationalisten bis in die Regierung hinein gibt, die das Minsker Abkommen ablehnen. Kritisiert wird, dass man dann, wenn man den Volksrepubliken eine vorübergehende Autonomie gewährt, praktisch die Autonomie anerkennt, Russland nachgibt und einen gefrorenen Konflikt akzeptiert. Allerdings gibt es als Alternative nur einen vollen Krieg - und die Regierung in Kiew weiß, dass der Westen wahrscheinlich dann mehr Waffen schicken könnte, aber nicht selbst militärisch eingreifen würde. Allerdings wächst diese Gefahr, wenn in der Westukraine Nato-Soldaten etwa aus den USA, Großbritannien oder Polen ukrainische Soldaten ausbilden.

Militärisch wird Kiew in nächster Zeit kaum in der Lage sein, die Volksrepubliken besiegen zu können. Das wäre am ehesten möglich, wenn nicht nur die Städte aus der Ferne durch Artillerie beschossen werden, sondern wenn man zu massiven Luftangriffen greifen würde. Dafür fehlen der Ukraine aber die Kapazitäten, während die Separatisten, wie sie bereits gezeigt haben, über eine gute Luftabwehr verfügen. Zudem würde ein Luftkrieg endgültig wohl zum Ende jeder Zurückhaltung oder auch heimlichen Kriegsführung auf russischer Seite führen. Den Waffenstillstand nutzen beide Seiten erst einmal, um die Verteidigungslinie zu verstärken. So baut Kiew nicht nur an der russischen Grenze, sondern auch um die Volksrepubliken herum Verteidigungsanlagen, die ein eventuelles weiteres Vorrücken der Separatisten verhindern sollen.

Es könnte also sein, dass das Gesetz, das erst nach der Durchführung der Wahlen gültig werden soll, ein Manöver ist, um zu demonstrieren, dass man sich ans Abkommen hält, wohl wissend, dass die Gegenseite damit nicht einverstanden sein wird. Strittig dürfte schon die von Kiew beschlossene Bestimmung der Gebiete sein. Sie basieren auf der Frontlinie von September 2014, die Separatisten müssten alle Geländegewinne abgeben. Dass die "Volksrepubliken" nicht mit den Gesetzesmodalitäten einverstanden sind, machte Dennis Puschilin, einer der Führer der "Volksrepublik Donezk" und Mitglied der Kontaktgruppe, klar. Für ihn handelt es sich um eine Verletzung des Minsker Abkommens, er rügt auch, dass Kiew ohne Dialog mit den "Volksrepubliken" das Gesetz einseitig beschlossen habe.

Russland schlägt in dieselbe Kerbe. Der russische OSZE-Gesandte warf Kiew vor, einen Dialog mit den Separatisten zu verweigern, ohne den ein Waffenstillstand und eine politische Lösung nicht möglich seien. Auch der russische Außenminister Lawrow sieht in dem Gesetz, wenn es von der US-Regierung unterstützt werde, eine Entscheidung zur militärischen Lösung des Konflikts. Mit dem Vorwurf, dass Kiew die Umsetzung des Minsker Abkommens blockiere, hat Russland auch eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrates gefordert.

Schon zuvor hatten Alexander Sacharschenko und Igor Plotnitsky, die Führer von Donezk und Lugansk, erklärt, dass es mit dem vorgeschlagenen Gesetz keinen Kompromiss geben werde. Damit sei Kiew auf dem fragilen Minsker Abkommen herumgetrampelt und habe sich über die EU-Partner lustig gemacht. Sie erkennen weder die gezogenen Grenzen an, noch akzeptierten sie Veränderungen zu den lokalen Wahlen, die nicht abgesprochen worden seien. Der von der Rada unterstützte Vorschlag von Poroschenko, UN-Friedenstruppen in den Donbass zu entsenden, wird ebenfalls abgelehnt, weil er das Minsker Abkommen verletzen würde. Allerdings ist das sowieso abwegig, wenn dies nicht unter Beteiligung Russlands geschieht, das mit einem Veto einen US-Sicherheitsratsbeschluss immer verhindern kann. Der Ukraine-Konflikt, der den Konflikt zwischen Russland und der Nato vertieft hat, hat auch zu einer Aushebelung des Sicherheitsrats geführt, der seitdem nicht mehr handlungsfähig ist.

Die EU hat gestern beschlossen, die Sanktionen gegen Russland nur dann aufzuheben, wenn das MInsker Abkommen umgesetzt wird. Allerdings wird damit einzig Russland in die Pflicht genommen, als gäbe es nicht auch KIew und die Separatisten, von denen unterstellt wird, sie seien direkt von Moskau aus dirigiert. Moskau soll so den Druck auf die Separatisten erhöhen, aber von Druck auf Kiew, das natürlich auch im eigenen Interesse pokert, ist nicht die Rede.

Brüchiger Waffenstillstand

Die OSZE-SMM hat mittlerweile bestätigt, dass der Waffenstillstand weitgehend eingehalten wird, aber berichtet von weiteren einzelnen Schießereien, vor allem in der Nähe des Flughafens von Donezk und östlich von Mariupol. Insgesamt sei die "Sicherheitssituation im Fluss und unvorhersehbar", heißt, es könnte schnell wieder zu größeren militärischen Auseinandersetzungen kommen. Die OSZE beklagt Behinderungen vor allem seitens der "Volksrepubliken", die mancherorts keine "Sicherheitsgarantien" geben würden, aber führt auch Restriktionen seitens der ukrainischen Streitkräfte aus. So sollte eine OSZE-Beobachtergruppe erst einmal ukrainischen Soldaten sagen, welchen Nationalitäten ihre Mitglieder angehörten.

Alexander Hug, der stellvertretende Leiter der OSZE-Beobachtermission, beklagte gestern "inakzeptable Einschränkungen der Bewegungsfreiheit". Derzeit befinden sich 460 Beobachter aus 42 Ländern in der Ukraine, 350 in den Oblasten Donezk und Lugansk. Man werde nicht einfach den Rückzug der schweren Waffen ohne Kontrollen abstempeln, versicherte Hug. Der US-Botschafter in Kiew, Jeffrey Payette, erklärte, die Separatisten hätten die schweren Waffen nicht zurückgezogen, Russland würde Luftabwehrsysteme an der Grenze stationiert haben.

Während die Nato und Russland ihre Muskeln mit Militärmanövern spielen lassen, Russland führt gerade eines mit 80.000 Mann durch, richten sich die Konfliktparteien in der Ukraine auf einen Bruch des Minsker Abkommens ein, der jeweils von der anderen Seite geschehen soll. Der ukrainische Geheimdienst SBU gibt vor zu wissen, dass die Separatisten heute in Donezk eine Operation durchführen wollen, um das Minsker Abkommen zu untergraben. Angeblich hat der Geheimdienst, wie SBU-Chef auf Facebook schreibt, Informanten in der Führung der "Volksrepubliken", die das bestätigt hätten. Zudem sollen Vorkommnisse in Lugans und Donezk inszeniert und "sofort von russischen und separatistischen Propagandamedien aufgenommen werden, um die ukrainischen Behörden zu bezichtigen". Dann würden die russischen Sondereinheiten die Situation in größeren ukrainischen Städten im Osten bewirken wollen. In den Medien der Separatisten wird hingegen lanciert, dass die Ukraine innerhalb von zwei Wochen eine Großoffensive plane. Die Volksrepubliken planen am 9. April, dem Jahrestag des Siegs des "großen vaterländischen Kriegs", eine große Feier mit Parade. Da will angeblich die Ukraine "provozieren".