Gibt es negative Korruption?

Alexis Tsipras. Bild: W. Aswestopoulos

Vor dem Besuch von Tsipras in Berlin gibt es Streit, in Athen vermutet man, dass nicht Merkel, sondern die SPD zu den scharfen Gegnern von Tsipras gehört

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Es ist wie verhext. Kaum hat sich in Athen die Aufregung um Yanis Varoufakis Stinkefinger gelegt, wird, diesmal von griechischen Medien initiiert, die nächste Sau durchs Dorf gejagt. Es geht um einen angeblich korrupten Minister, den Vize-Minister des Inneren, Giorgos Katrougalos. Fast vergessen wird dabei, dass Premierminister Alexis Tsipras, der heute am Abend mit der Kanzlerin in Berlin diskutieren wird, dieser bereits seit Tagen handfeste Daten lieferte.

Alexis Tsipras. Bild: W. Aswestopoulos

Tsipras, der von der Kanzlerin nach dem Krisentreffen in Brüssel aufgefordert wurde, eine komplette Liste mit Maßnahmen zu liefern, hatte der Kanzlerin geschrieben, dass er entweder den ausländischen Gläubigern oder seinem Volk gegenüber den Staatsbankrott erklären muss. Dass diese Pleite in knapp zweieinhalb Wochen pünktlich zur griechischen Karwoche vor der Tür steht, macht alles nur noch dramatischer.

Schlechte Wirtschaftsaussichten

Der für Wirtschaft und Aufbau zuständige Superminister Panagiotis Lafazanis bestätigte in einem sachlich geführten Interview, dass Griechenlands Realwirtschaft regelrecht stranguliert wird. Zusammengefasst besteht Lafazanis, einer der Wortführer des linken Flügels von SYRIZA, auf einer Erfüllung des radikalen Programms der Partei. Damit soll sogar die Macht der Banken in Europa gebrochen werden.

Lafazanis setzt in seiner strategischen Planung die Gedanken um, die unter anderen von seinem Parteikollegen und Drachmenfan Costas Lapavitsas theoretisch durchdacht wurden (Portugal und Griechenland haben gar keine mit Deutschland vergleichbaren Produkte). Für den linken Flügel des SYRIZA sind nicht nur die Verhältnisse in Griechenland Schuld an der allgemeinen, europaweiten Wachstumskrise. Daher werden bereits beschlossene Privatisierungen sowie weitere Sparbeschlüsse hinsichtlich ihrer Wirtschaftswirkung ebenso hinterfragt wie die Aufforderung an Deutschland, doch endlich die Löhne für die dortigen Arbeiter zu erhöhen.

Anstatt sich mit Lafazanis Ideen oder gar mit der von Bundeskanzlerin Angela Merkel geforderten Liste der Reformen beschäftigen zu können, wurde Tsipras am Wochenende mit einem ganz bizarren Problem konfrontiert. Hinsichtlich der Liste, für deren Ausarbeitung mehrere Minister mit Tsipras das Wochenende durchmachten, kursiert in Athen das Gerücht, dass in Berlin nicht Merkel, sondern vielmehr die SPD zu den schärferen Gegnern Tsipras zählen soll. Die Sozialdemokratie, parlamentarisch vertreten durch PASOK und To Potami akzeptiert auch in Griechenland nicht, dass Tsipras regiert. Von weiter links gibt es ebenfalls Gegenwind.

Giorgos Katrougalos. Bild: W. Aswestopoulos

Katrougalos der Rechtsanwalt

Vize-Innenminister Giorgos Katrougalos wurde am 27. Januar als Spezialist für Arbeitsrecht ins Kabinett gerufen. Katrougalos war seinerzeit EU-Parlamentarier für SYRIZA. Zu den Athener Parlamentswahlen war er überhaupt nicht angetreten. Der Jurist Katrougalos gilt als Kenner des Staatsrechts, von Verfassungsfragen und des Arbeitsrechts.

Vor seinem, nach den Europawahlen vom 25.5.2014 angetretenen Posten in Brüssel war er für entlassene Arbeitnehmer eine beliebte Anlaufstelle. Aus Gründen, die eher mit seiner sozialen Ader als mit Raffgier erklärbar sind, vereinbarte er auch mit entlassenen Beamten ein Erfolgshonorar. Schaffte es Katrougalos vor Gericht den Arbeitnehmer zur Wiedereinstellung zu verhelfen, dann war eine zeitlich begrenzte Beteiligung von 12 Prozent am Bruttolohn als Honorar vereinbart. Im Verlustfall würde bei dieser Konstruktion der Anwalt auf Verfahrenskosten und seinem entgangenen Honorar sitzen bleiben.

Katrougalos Vertrag ging sogar noch weiter. Wenn trotz juristischer Bemühungen und Gerichtsverfahren die Einstellung nicht wegen eines Urteils, sondern aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung erfolgen würde, dann würde der Anwalt ebenfalls leer ausgehen. Katrougalos sah sich bei dieser Vertragslage auf der sicheren Seite für den Amtsantritt. Denn seine Rechtsanwaltskanzlei ließ er auflösen, den EU-Parlamentsposten gab er ab und im Programm stand, dass die zu Unrecht entlassenen Beamten per Gesetz wieder eingestellt werden sollen. Seine Klienten verwies er an befreundete Anwälte weiter, weil diese nicht ohne rechtliche Vertretung bleiben sollten.

Die negative Korruption

So weit so gut. Oder auch nicht für den frisch gebackenen Minister, der nun statt von knapp 15.000 Euro Abgeordnetendiät in Brüssel und Straßburg von ungefähr 6.000 Euro Ministergehalt im Monat leben muss.

Am Samstag wurde Katrougalos von der Zeitung "To Vima" angegriffen. Es sei eine Frage der Moral, dass er als Minister, der für SYRIZA die Verwaltung reformieren soll, in dem Ressort tätig ist, welches er aus seiner jüngeren privatwirtschaftlichen Tätigkeit kennt. "To Vima" ist eine der seriöseren Zeitungen Griechenlands. Sie ist aber ebenso wie andere Medien nicht wirklich unabhängig.

Die griechische Medienwelt versinkt in Schulden. Der DOL Konzern (Dimosiografikos Omilos Lampraki) schuldet den griechischen Banken mindestens 136 Millionen Euro. Unter Samaras bekamen regierungsfreundliche Medienmogule immer wieder staatliche Werbeanzeigen, Kredithilfen sowie im Fall des DOL tatkräftige Hilfe. Der Staat, vertreten durch Samaras' Finanzminister Yannis Stournaras, übernahm das Athener Opernhaus von der Lamprakis Gruppe. Stolze 230 Millionen Euro Verbindlichkeiten gingen damit an die griechische Staatskasse über.

Seinerzeit gingen die Abgeordneten des SYRIZA auf die Barrikaden. Offensichtlich sieht die Athener Regierung deshalb in der Kampagne von "To Vima" ein Revanchefoul. Denn die Zeitung ließ nicht locker. Sie legte auch am Sonntag nach und stellte drei Fragen, welche durch die zwischenzeitlichen Dementis Katrougalos nicht beantwortet worden seien. Erst ein Fernsehauftritt des die Ermittlungen führenden Journalisten Vasilis Chiotis und des kompromittierten Ministers brachte Klarheit. Nach dem Austausch recht unhöflicher Titulierungen räumte Chiotis kleinlaut ein, "der Minister hat nichts Illegales getan".

In der Tat könnte der Minister am Vertragskonstrukt nur verdienen, wenn er als Minister im Amt gegen die Parteiprogramme des SYRIZA und gegen die Richtlinienkompetenz von Tsipras vorgehen würde, aber gleichzeitig seine Anwaltskanzlei samt der Klienten behalten hätte. Ansonsten kann dem immer adrett gekleidet auftretenden Junggesellen vorgeworfen werden, dass er anders als die übrigen Kabinettsmitglieder zu Anzug und Krawatte greift. Zahlreiche Leserzuschriften bei To Vima gingen ernsthaft in diese Richtung.

Der Regierungssprecher versuchte zuerst über Sachargumente, Licht ins Dunkel zu bringen. Einzeln zerpflückte er die Sätze der Artikel von To Vima. So brachte das genaue Studium unter anderem ans Tageslicht, dass To Vima behauptete, Katrougalos wäre am 25.1. als überaus erfolgreicher Direktkandidat ins griechische Parlament gewählt worden.

Die Regierung um Alexis Tsipras sieht sich derweil als Ziel von Presse-Kampagnen aus dem In- und Ausland. Im Fall Varoufakis hatte die Neue Züricher Zeitung dies bereits als Vermutung angedeutet.

Was die deutschen Medien aus der Affäre machten

In der TAZ landete die Schlagzeile, "Zeitung wirft Minister Korruption vor". Der Spiegel titelte ebenso wie das kooperierende Manager Magazin: "Korruptionsskandal erschüttert Griechenland". Weitere Medien verfuhren ähnlich.

In den Artikeln selbst wird durchaus mehr oder weniger differenziert berichtet. Die geneigten Leser erfahren, worum es geht und können sich beim kritischen Studium durchaus ein Urteil bilden. Wer sich die Mühe macht, die Foren unter den Artikeln zu studieren, entdeckt jedoch, dass die meisten Leser bereits mit dem Lesen der Schlagzeile ein Urteil gefällt haben. Es gibt sogar Beiträge, in denen der Name des Fotografen von Katrougalos Porträt mit dem des Ministers verwechselt wird, frei nach dem Motto "klingt halt Griechisch, muss also gleich sein". Den Vogel schoss jedoch die Bild ab. Mit vollkommener Verdrehung aller Tatsachen suggeriert der dortige Artikel einen vollendeten Korruptionsfall.

Die positive Nachricht

Positive Meldungen aus Griechenland gehen bei solch einer Berichterstattung unter. Es gibt sie tatsächlich. So wurde am Sonntag bekannt, dass Alexis Tsipras bei seiner Reise zum EU-Gipfel nach Brüssel nicht nur aus Sparsamkeit mit dem Linienflieger in Economy reiste. Der staatliche Jet des Premierministers hatte einen anderen Einsatzbefehl erhalten. Er flog die zwölfjährige Despoina von Athen nach Hannover. Despoina ist nicht berühmt, sie muss wegen einer ernsten Krebserkrankung in Hannover operiert werden. Die Hilfsorganisation "To Chamogelo tou Paidiou" hatte bei Tsipras um Hilfe für den komplizierten Transport gefragt. Der Premier überließ kurzerhand seinen Jet. Er unterließ es jedoch, darüber ein Wort zu verlieren. Statt dessen meldete lediglich die Seite der Hilfsorganisation etwas darüber.