"Die größte nachrichtendienstliche Bedrohung geht von Russland aus"

Schweden und die russische Spionage-Offensive

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Der schwedische Inlandsgeheimdienst "Säpo" (Säkerhetspolisen), der Teil der Polizei ist, hat in seinem Jahresbericht 2014 ungewohnt deutlich vor russischer Spionagetätigkeit gewarnt. Demnach sei jeder dritte russische Diplomat in Wirklichkeit Offizier eines russischen Nachrichtendiensts.

"Die größte nachrichtendienstliche Bedrohung geht von Russland aus", heißt es in dem Bericht. Unter dem diplomatischen Schutz würden die Agenten die Rüstungsindustrie und andere Bereiche Schwedens ausspähen. GRU, der militärische Geheimdienst Russlands, versuche schwedische Waffen aufzukaufen, um das Niveau der russischen Streitkräfte zu heben. Zudem würden die Agenten Informanten anwerben. Eine "Wachsamkeit der Allgemeinheit" sei darum notwendig.

Das Säpo-Jahrbuch bietet seinen Lesern auch einen Einblick in die Strategie der Anwerbung von Nachrichtendiensten. Der Chefanalyst der Säpo, Wilhelm Unge, wählte gegenüber der Zeitung Aftenbladet für schwedische Verhältnisse recht dramatische Worte: "Russische Spione begehen in Schweden Verbrechen und werden es in Zukunft tun." Ihre Hauptaufgabe sei es, Menschen zur Spionagetätigkeit anzustiften und Abhörgräte zu installieren.

Die Säpo hat nach eigenen Angaben einige Versuche der GUR unterbunden, Militärprodukte, die mit einem Embargo belegt waren, zu kaufen. Schweden ist die Nummer zehn der weltweit größten Waffenexporteure.

Die Regierung, so Unge, müsse auch entscheiden, ob sie einen als Agenten tätigen Diplomaten ausweisen will. Doch dann kämen nur neue zurück. Bislang hat sich Stockholm mit Ausweisungen zurück gehalten. Moskau wolle vor allem wissen, ob Schweden näher mit der NATO zusammen arbeiten würden und ob sich die unterstützende Haltung der sozialdemokratisch-grünen Regierung in Stockholm zu den EU-Sanktionen ändere.

Russische Spionagetätigkeit ist seit vergangenem Oktober in Schweden wieder im öffentlichen Blickfeld. Damals wurde ein Objekt in den Gewässern vor Stockholm entdeckt, das einem U-Boot ähnelt (Schweden: Steckt hinter der verdächtigen "Unterwasseroperation" Russland?).

Der Sicherheitsexperte Joakim von Braun stellt eine Intensivierung und Veränderung der Spionagetätigkeit Russlands fest, früher wären russische Agenten vor allem in der Wirtschaftsspionage in Schweden tätig gewesen. Man sei in Schweden lange "naiv und blauäugig" gewesen und habe zu sehr noch das Bild eines schwachen Russlands der neunziger Jahre im Kopf gehabt und die Gefahr unterschätzt. In den achtziger Jahren hingegen herrschte in Schwedens Öffentlichkeit Furcht vor russischer Spionage.

Ausgelöst wurde dies durch die "U-Boot-Affäre", bei der ein sowjetisches U-Boot im Oktober 1981 vor Schwedens Küste strandete. Auch NATO-U-Boote sollen der schwedischen Küste nahe gekommen sein, um die Angst vor dem traditionellen "Erzfeind" wachzuhalten (Schweden: Steckt hinter der verdächtigen "Unterwasseroperation" Russland?).

Schweden verhält sich zwar seit den Napoleon-Kriegen neutral, stand und steht jedoch stets antirussischen bzw. antisowjetischen Bündnissen nah. Seit der Krim-Annexion reagierte man in schwedischen Sicherheitskreisen erneut aufgeregt. Russland bereite einen Krieg auf Schweden vor, so behauptete im April 2014 Chef-Analytiker Wilhelm Unge. Hauptbeweis ist seiner Ansicht nach ein russischer Bomber, der Ende Oktober 2013 simulierte Angriffe auf schwedische Ziele geflogen haben soll. Diese Aktion fand zwar vor Beginn der Ukraine-Krise statt, aber die Annexion der Krim bestätige die Kriegsabsichten, so Unge.

Als Gegenstimme gilt die links-grüne Zeitschrift ETC. Ihr Chefredakteur Johann Ehrenberg hält Überlegungen, Russland könne die schwedische Insel Gotland, die nun aufgerüstet werden soll, für abwegig. Es seien Interessen von Rüstungsfirmen im Spiel.

Die Furcht vor Russland bewirkte, dass laut einer Umfrage im Januar erstmals mehr Schweden einen NATO-Beitritt (48 Prozent) fordern, als es Befürworter der Neutralitätspolitik gibt (35 Prozent).

In der Rede zum Regierungsantritt vom vergangenen Herbst hat Schwedens neuer Premierminister Stefan Löfven eine NATO-Mitgliedschaft ausgeschlossen. Die ehemalige Regierungspartei, die "Moderaten", will zumindest eine offene Diskussion über eine engere Kooperation mit dem Nordatlantikpakt. Doch Löfven unterstützt bislang die Sanktionspolitik der EU, die an die Einhaltung des Friedensplans von Minsk gekoppelt ist. Bei seinem Besuch in Kiew im März hat Löfven der Ukraine einen Kredit von 100 Millionen Dollar versprochen. http://www.thelocal.se/20150311/sweden-in-million-dollar-loan-deal-for-ukraine Russland versucht seinerseits mit Appellen Einfluss auf die Regierung in Stockholm zu nehmen. Die russische Duma hat in einem Brief im Februar an schwedische Politiker und den schwedischen Reichstag gemahnt, von der "Sanktionswaffe" abzusehen. Zudem solle sich Schweden engagieren, die Krise in der Südost-Ukraine zu entschärfen, sonst sei "das friedliche Leben von 800 Millonen Europäer in Gefahr".

Nach Kritik der schwedischen Außenministerin Margot Wallströmban Russlands Politik in der Ukraine, machte die russische Botschaft in Stockholm via Facebook Schweden Vorwürfe, sie hätten mit ihrer EU-Initiative "östliche Partnerschaft", (gegründet 2009 zusammen mit Polen), den Krieg in der Ukraine mitverschuldet. Die schwedische Regierung will auf einer Sitzung im Reichstag am 24. April über eine Erhöhung der Militärausgaben für die kommenden fünf Jahre entscheiden.