Auf dem Weg zum erbkrankheitsfreien Kind

In Großbritannien wurde bei künstlicher Befruchtung bereits mehrmals ein neuer Gentest zur Selektion der Embryos verwendet

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Britische Reproduktionsmediziner sind dem Ziel nähergekommen, mittels künstlicher Befruchtung Kinder ohne Risiken für angeborene Krankheiten zu erzeugen. Die Reproduktionsmediziner vom Centre for Reproductive and Genetic Health haben ein neues Verfahren zur Kartierung der Gene (Karyomapping) angewendet, um die Embryonen vor dem Einsetzen in die Gebärmutter einem Gentest zu unterziehen und jene auszusortieren, bei denen die Gefahr bestand, dass das Kind an der Neuronalen Muskelatrophie erkrankt.

Die für die künstliche Befruchtung angewandte intrazytoplasmatische Spermieninjektion. Bild: Eugene Ermolovich/CC-BY-SA-3.0

Karyomapping gilt als genaue und zuverlässige Methode, um ein ganzes Genom auf das Risiko zu monogenetischen Erbkrankheiten zu untersuchen. Das sind Erkrankungen, bei denen nur ein Gen einen Defekt aufweist. In dem berichteten Fall wäre das Kind einem hohen Risiko von 50 Prozent ausgesetzt gewesen, an der Neuralen Muskelatrophie zu erkranken, da die 26-jährige Mutter bereits leichte Symptome der Erkrankung zeigte. Für die Mutter war nach eigenem Bekunden das Risiko zu hoch, da bereits ihr Vater daran schwer erkrankt ist und nicht mehr selbständig gehen kann. Und sie wollte auch nicht warten, bis das Kind 16 Wochen alt ist, um es einem Gentest zu unterziehen und es dann womöglich abzutreiben.

Während die normale Präimplantationsdiagnostik (PID) Monate an Arbeit erfordert, sind für die neue Technik, weil sie universell angewendet werden kann, nur zwei Wochen erforderlich. Daher kann der Test während eines IVF-Zyklus geschehen. Für den Test werden Speichelproben von Mutter und Vater sowie, falls notwendig, von einem weiteren Familienmitglied genommen, das an einer Erbkrankheit leidet. Mit der Technik wird ein genetischer Fingerabdruck des Chromosoms erzeugt, das das defekte Gen enthält, indem die Gensequenzen an 300.000 Stellen der Chromosomen verglichen werden. Mit dem einzigartigen Fingerabdruck werden dann die durch künstliche Befruchtung entstandenen Embryos getestet. Wird derselbe Finderabdruck entdeckt, hat das Embryo mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls das Chromosom mit dem defekten Gen, eingepflanzt werden nur Embryos ohne das defekte Gen. Letztes Jahr wurde der Gentest in Großbritannien auch bei weiteren IVF-erzeugten Embryonen erfolgreich angewendet, um in einem Fall das Marfan-Syndrom und in einem anderen das Smith-Lemli-Opitz-Syndrom auszuschließen.

Die Reproduktionsmediziner versichern, dass sie das Verfahren nur für die Erbkrankheit verwenden, für die ein bekanntes Risiko besteht. In Großbritannien darf die PID nur beim Risiko schwerer Erbkrankheiten angewendet werden. Allerdings wird schon einmal eingeschränkt, dass in seltenen Fällen, wenn bei einem Kind das Risiko für zwei Erbkrankheiten vorliegt, auch dies möglich wäre. Zudem überprüft der Test auch gleich, ob die Embryonen die richtige Anzahl von Chromosomen besitzen. Fehlende oder zusätzliche Chromosomen bringen das Risiko für Fehlgeburten und Entwicklungsstörungen wie das Down Syndrom mit sich. Das heißt, es lassen sich auch gleich weitere Risiken ausschließen.

In dem vom Centre for Reproductive and Genetic Health berichteten Fall wurde mit der IVF-Behandlung im Dezember 2013 begonnen, ein Jahr später wurde der Junge geboren, der nur 3 Monate alt und gesund sei. Seine Mutter meint: "Lucas ist absolut perfekt. Er ist wirklich groß für sein Alter und gesund." Und sie wisse nun, dass er "nicht nur frei von der Neuronalen Muskelatrophie ist, sondern auch von anderen Krankheiten". Sie empfehle das Verfahren allen Müttern, die Sorge haben, eine Krankheit zu vererben.

Dagan Wells von Reprogenetics UK, die den Gentest durchgeführt hat, kündigte letztes Jahr nach der Durchführung des Test gleich an, dass man in ein "Goldenes Zeitalter der Genetik" eintrete, was das Verständnis der Unfruchtbarkeit, die frühee Entwicklung des Menschen und die Diagnose von Erbkrankheiten betrifft. Es stünden weitere klinische Anwendungen neuer Verfahren an, die künstliche Befruchtung werde sich in nächster radikal verändern. Karyomapping soll auch vom National Health System als Leistung angeboten werden.