Tsipras: "Wir befürworten die Sanktionen nicht"

Griechenland auf Schmusekurs mit Moskau

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Gegenüber Brüssel hat die griechische Regierung die geforderte Liste an Reformen vorgelegt. Nach Informationen der Zeitung Ekathimerini sind 3,7 Milliarden Euro an Mehreinnahmen vorgesehen. 1,5 Milliarden sollen durch Privatisierungen des Hafens in Piräus, von regionalen Flughäfen und der Lizenzierung von Wetten auf Pferderennen erfolgen. Ansonsten will man Steuern von Anlagen im Ausland erheben und Mehreinnahmen aus der Bekämpfung des Mehrwertsteuerbetrugs und des Schmuggels mit Tabak und Benzin, der Zulassung von Fernsehsendern, dem Eintreiben noch geschuldeter Steuern oder der Besteuerung von Online-Glücksspielen erzielen.

Im Parlament hatte Regierungschef Tsipras während einer Sondersitzung am Montagabend klar gemacht, dass seine Regierung eine Einigung erzielen wolle, aber nicht um jeden Preis. Es gehe um einen Kompromiss, aber nicht um eine "Unterwerfung". Es sei jetzt Zeit für die Privilegierten, "dass sie zu zahlen beginnen". Die Beraubung der Mittelklasse und der Angestellten müsse beendet werden. Um eine "Restrukturierung der Schulden" komme man aber selbst bei steigenden Staatseinnahmen nicht herum, versicherte er (Tsipras verbreitet weiter Optimismus).

In einem Interview mit Itar-Tass sucht Tsipras, sich der möglichen Hilfe Russlands zu versichern, um die drohende Pleite abzuwenden und sich den "Institutionen" und ihren Forderungen nicht unterwerfen zu müssen. Tsipras wird am 8. April, einen Tag vor der anstehenden Schuldenzahlung an den IWF, Moskau besuchen und kündigte schon einmal an, dass er auf bessere Handelsbeziehungen setzt. Er hofft, vor allem wieder mehr Agrarprodukte nach Russland exportieren zu können und damit darauf, dass Moskau das nach den Sanktionen verhängte Importverbot für Lebensmittel aus der EU für Griechenland aufhebt. Tsipras kündigte mehr oder weniger in dem Interview an, dass er die Sanktionspolitik der EU nicht mittragen will, was natürlich auch als provokativer Versuch gelten kann, doch noch einen Schuldenschnitt herauszuhandeln.

Wie weit Tsipras mit dem Versuch kommt, derart zweigleisig zu fahren und Moskau und Brüssel gegeneinander auszuspielen, ist fraglich. Schon vor dem Interview hat das "Flirten" mit Russland durch den vorgezogenen Besuchstermin von Tsipras und die Reise des griechischen Energieministers Panagiotis Lafazanis und des Syriza-Abgeordneten Tanasis Petrakos am 30./31. März nach Moskau für empörte Reaktionen gesorgt. So drohte Manfred Weber (CSU), der Vorsitzende der EVP-Fraktion im EU-Parlament: "Tsipras sollte sich gut überlegen, ob für ihn ein aggressives autokratisches System in Moskau der richtige Partner ist oder die freien und demokratisch regierten Völker Europas. Wer weiter Hilfe von der EU haben will, dessen Kompass sollte nach Brüssel und nicht nach Moskau zeigen."

Zu Moskau - und Brüssel - gewandt sagte er jedenfalls: "Wir befürworten die Sanktionen nicht. Ich glaube, das führt nirgendwohin. Ich unterstütze die Ansicht, dass Dialog und Diplomatie notwendig sind. Wir sollten am Verhandlungstisch zusammensitzen und die Lösungen für die großen Probleme finden." Die Beziehungen zu Russland hätten sich verschlechtert, weil die vorhergehenden Regierungen nicht alles getan hätten, um "diese sinnlose Sanktionspolitik zu vermeiden". Das darauf erfolgte Embargo für griechische Agrarprodukte hätten "die griechische Wirtschaft schwer geschädigt".

Auch in den Bereichen Energie, Tourismus, Wissenschaft und Kultur sieht Tsipras Möglichkeiten der Zusammenarbeit. In Moskau wird er nicht nur Putin besuchen, sondern sich auch mit dem Patriarchen von Moskau treffen und eine Rede in der Universität halten. Beide Länder hätten eine gemeinsame Kultur und Religion. Gemeinsamkeiten bestünden auch beim Kampf der beiden Länder gegen den deutschen Faschismus, sie hätten dafür am meisten mit Blut bezahlt. Daher sei die Feier zum 70. Jahrestags des Großen Siegs über den Faschismus am 9. April auch für Griechenland wichtig. Beide Länder hätten eine "glorreiche Vergangenheit" und könnten eine "wunderbare Zukunft" haben. Als Mitglied der EU könne Griechenland ein Vermittler zwischen dem Westen und Russland sein.

Tsipras berichtete erneut von den Turbulenzen, die beim Amtsantritt seiner Regierung entstanden, als dieses schon einmal die Zustimmung zu den Sanktionen verweigerte. Danach gab es große Aufregung in Brüssel und wohl einen immensen Druck auf Athen, das sich dann wieder einreihte. Wenn Tsipras nun den Ausstieg aus den Sanktionen noch einmal aufbringt, wird dies erneut für böses Blut sorgen und womöglich die Verhandlungen mit den "Institutionen" erschweren. Er berichtet, dass er bei Amtsantritt ein Schreiben vom Ratspräsidenten Donald Tusk erhalten habe, der praktisch davon ausgegangen sei, dass Griechenland für die Sanktionen stimmt. Tsipiras habe dann ihn und Federica Mogherini angerufen und diesen erklärt: "Gehen Sie nicht davon aus, dass die griechische Position gegeben ist, die Situation hat sich verändert und jetzt gibt es eine andere Regierung. Und Sie sollten uns vorher fragen, bevor Sie Entscheidungen treffen." Er sei für Diplomatie, sagte er Itar-Tass. Die Minsker Abkommen seien ein "wichtiger Fortschritt", es müsse alles unternommen werden, um den Konflikt in der Ukraine zu stoppen.

Auf dem EU-Gipfel am 19. Und 20. März habe er die übrigen Regierungschefs gefragt, wie sie sich die neue Sicherheitsarchitektur in Europa vorstellen: "Sehen Sie dabei Russland auf der anderen Seite oder diese mit Russland im Prozess eines Dialogs und der wechselseitigen Verständigung?" Darauf habe er keine Antwort erhalten. Für ihn sei klar: "Die neue Sicherheitsarchitektur sollte auch Russland einbeziehen."