Warum sehen viele Industrieverbände TTIP so positiv?

Beim offensichtlichen Spiel über Bande sollte man aufmerksam sein

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Was aus den weitgehend im Verborgenen stattfindenden Verhandlungen über das Freihandelsabkommen TTIP an die Öffentlichkeit gedrungen ist, zeigt ziemlich deutlich, dass der Nutzen von TTIP ziemlich einseitig bei den sogenannten Investoren liegt. Um so verdächtiger erscheint in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass kein Spieler aus diesem Feld sich aus der Deckung wagt. Stattdessen schickt man Verbände und deren Funktionäre vor, die in der Öffentlichkeit für Zustimmung trommeln und nicht gleich als Profiteure entlarvt werden sollen.

Wer sich mit den Verhandlungen zu TTIP befasst, erkennt ziemlich schnell, dass bei TTIP nicht um faire und gerechte Handelsbedingungen für alle gerungen wird, sondern dass es eher um einen Kahlschlag bei Gesetzen und Vorschriften geht. Die von den meisten politischen Parteien so sehnlichst herbei gewünschten Investoren sollen ein möglichst unbegrenztes Spielfeld vorfinden, das ihnen keinerlei Hemmnisse in den Weg stellt, damit ein weiteres Wachstum nicht aufgehalten wird.

Aufgrund der durchaus unterschiedlichen Entwicklungen seit Beginn der Industrialisierung, haben sich in den Industriestaaten in Europa und den USA unterschiedliche Abläufe und Aufgabenfelder bei den Interaktionen von privaten und gesellschaftlichen Interessen entwickelt. Wie schwierig es sein kann, nationale Eigenheiten abzuschneiden und durch einen internationalen Standard zu ersetzen, zeigt sich schon an der Sammlung von Adaptersteckern und Spannungswandlern, die man bei so mancher Reise auch heute noch benötigt. An solchen kleinen Ärgernissen will auch TTIP nichts ändern, denn dafür gibt es ja Adapter.

Änderungen stehen wohl in erster Linie dort bevor, wo sich aus den genannten unterschiedlichen historischen Entwicklungen regional abweichende Abläufe und Denkweisen etabliert haben. So unterscheiden sich die Rechtssystematiken der an den TTIP-Verhandlungen beteiligten Staaten und Staatengruppen in zahlreichen, durchaus relevanten Punkten.

Will ein Produzent in der EU ein neues Produkt auf den Markt bringen, muss er sich an zahlreiche bestehende Vorschriften halten und darüber kontinuierlich beobachten, wo und in welchem Umfang die Bedingungen verändert werden. Hält er sich an die jeweils aktuellen Gesetze und Vorschriften, ist er als Anbieter auf der sicheren Seite und darf sein Produkt vermarkten. Auf der anderen Seite des Atlantiks bestehen gerade bei neuen Produkten deutlich höhere Freiheitsgrade. Solange niemand nachweisen kann, dass ihm durch ein Produkt ein Schaden zugefügt wurde, wird er im Vergleich zu Europa deutlich weniger reglementiert, kann also mit neuen Ideen schneller auf den Markt kommen, muss allerdings auch mit hohen Kosten für Schadensersatz und Schmerzensgeld rechnen, wenn ihm ein echter oder vermeintlicher Fehler nachgewiesen wird.

Vergleichbare Unterschiede gibt es auch in den Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge, die in Europa eher von Gebietskörperschaften, also der öffentlichen Hand betrieben werden, während in den USA die private, kommerzielle Initiative eher den Vorrang hat und "der Markt" als Regulativ gesehen wird.

Wo sind die TTIP-Gewinner?

Wo die Gewinner von TTIP sitzen, kristallisiert sich immer stärker heraus - und anfängliche Zweifel werden mit jeder Detailveröffentlichung beiseite gewischt. Wenn es also mit den multinationalen Investoren und Konzernen so eindeutige Gewinner gibt, muss es auch Verlierer geben, welche die Zeche zahlen müssen. Zu diesen Verlierern zählen zum Einen die Bevölkerungen der Entwicklungs- und Schwellenländer einschließlich der BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika), auf der anderen Seite jedoch auch die Bürger der Staaten, die sich an den TTIP-Verhandlungen beteiligen. Die Bürger in diesen Staaten sind gleichzeitig auch die Kunden der TTIP-Gewinner

Genau da zeigt sich ein Dilemma, das man mit der Einschaltung der in Deutschland als biedere eingetragene Vereine (e.V.) organisierten Verbände wie dem BDI (Bundesverband der Deutschen Industrie e.V.) oder dem VDA (Verband der Automobilindustrie e. V.) umgehen will. Diese werden von ihren zahlungskräftigsten Mitglieder jetzt wohl ins Rennen geschickt, um mit geschönten oder auch nur falsch verstanden Zahlen dafür zu sorgen, dass nicht Widerstand aus der Zivilgesellschaft wieder dazu führt, dass erneut ein Anlauf zur Gewinnoptimierung mittels Freihandelsabkommens kurz vor Erreichen der Ziellinie schlapp macht, wie dies schon mit dem MAI-Abkommen Ende der 90er-Jahre geschah.

Die jetzt aktivierten Industrieverbände sollen der Bevölkerung glauben machen, sie könnte einen Vorteil erzielen, wenn sie sich im Zusammenhang mit den TTIP-Verhandlungen ruhig verhalte. Ein Mitspracherecht hat man ja weder den Bürgern noch den nationalen Parlamenten zugestanden. Diese können sich nur zu einem kleinen Teil der Verhandlungsmasse äußern, jedoch keinen Einfluss auf die Inhalte nehmen, sondern im Grunde nur zustimmen. Eine Ablehnung würde das Abkommen als solches nicht aufhalten, sondern nur die abgelehnten Teile.

Dass die Verbände, welche TTIP jetzt schönreden sollen, jetzt den Eindruck erwecken, sie wären bei der Interpretation der ihnen vorgelegten Informationen ein wenig zu schnell über die Papiere geflogen, fällt so manchem Beobachter immer deutlicher auf. Bei Foodwatch in Berlin entwickelt man beim Nachweis fehlerhaft dargestellter Zahlen inzwischen einen ziemlich sportlichen Ehrgeiz und veranlasst die Verbände geradezu reihenweise zur Rücknahme der Zahlen.

So mancher Funktionär scheint bei der Durchsicht der verfügbaren Masse an Informationen Probleme zu haben, den Überblick zu behalten und auf die genauen Formulierungen in den Unterlagen zu achten. Da bringt man bei der Wortwahl sprachliche Unterschiede durcheinander: Was im Deutschen eine Norm ist, wird im Englischen als Standard bezeichnet und umgekehrt. Zudem ist die Entwicklung von Normen hierzulande mitnichten eine staatliche Aufgabe. Die Europäische Kommission kann nur sogenannte Mandate für die Entwicklung einer Norm erteilen. Entwickelt werden sie dann jedoch in den zuständigen Normungsgremien. Und dort haben die Vertreter der Industrie schon heute das Sagen. Die EU-Kommission lässt lediglich über ein Monitoring überprüfen, ob die Normen mit bestehenden Vorschriften kompatibel sind.

Zahlenspielereien und Missverständnisse

Es ist immer wieder erstaunlich mit welcher Chuzpe Vertreter von Industrieverbänden immer wieder behaupten, dass das Freihandelsabkommen TTIP Arbeitsplätze in Europa schaffe. Die in den einschlägigen Studien genannten Zahlen gehen hier von Änderungen aus, die schon von einem außerordentlich milden Winter hervorgerufen werden könnten. Und bei den Zahlenspielereien sollte auch berücksichtigt werden, dass unter dem Strich eher Jobs verloren gehen, wenn es bei der Produktgestaltung keine landestypischen Unterschiede mehr gibt.

Wenn es denn ein Jobwachstum geben sollte, dann wird sich das wohl vorwiegend in den Bereichen der Dokumentationen, der Entwicklung von Beipackzetteln mit Warnhinweisen und der Rechtsberatung abspielen. Wenn sich jetzt ein Mittelständler hinstellt und behauptet, er könne sich nach der Realisierung von TTIP eine umfangreiche eigene Rechtsabteilung sparen, sollte er die schon vorliegenden Unterlagen nochmals sorgfältig durchlesen. Und wenn Arndt G. Kirchhoff vom gleichnamigen Iserlohner Automobilzulieferer erklärt, wenn Europa mit den USA nicht handelseinig würde, würden die USA ein entsprechendes Freihandelsabkommen mit China schließen, dann hat er wohl überlesen, dass bei den seit 2009 laufenden TPP-Verhandlungen zur transpazifischen Handelspartnerschaft die USA, Japan, Australien, Kanada, Neuseeland, Mexiko, Chile, Peru, Vietnam, Singapur, Malaysia und Brunei beteiligt sind - nicht jedoch China, das mit TPP eingedämmt werden soll.

Aus dem Hause Kirchhoff stammt auch eine sehr eigenwillige Aussage zu den internationalen Schiedsgerichten:

Die Industrie meidet die normalen deutschen Gerichte nicht, weil wir ihnen misstrauen, sondern weil die Verhandlungen zu lange dauern und zu teuer sind. Richter sind keine Fachleute für die Streitfragen, sondern Fachleute für das Verfahren.

(Es wäre besser, wenn wir emotional abrüsten)

Bislang war bei TTIP immer nur davon die Rede, dass sich jeweils ausländische Investoren der Schiedsgerichte bedienen könnten, Inländer sich jedoch an den normalen Rechtsweg zu halten hätten. Die Schiedsgerichte wurden in den 50er-Jahren unter anderem auf Druck von Deutschland etabliert, weil man der Rechtsprechung von Schurkenstaaten nicht über den Weg traute, aber dennoch Geschäfte mit diesen Staaten machen wollte. Da stellt sich doch die nicht ganz uninteressante Frage: Wo befinden sich im Kreise der kommenden TTIP-Vertragspartner die Schurkenstaaten.

Es ist ja durchaus legitim, für seine Ziele und Interessen zu kämpfen - und manches Mal ist es durchaus nachvollziehbar, wenn jemand glaubt, mit geschlossenem Visier kämpfen zu müssen. Man sollte als Bürger jedoch genau hinsehen, ob man nicht von Puppenspielern verkaspert wird, die selbst hinter der Bühne im Dunkeln stehen. Der Eintrittspreis für ein solches Puppenspiel wird leider nicht vorab bezahlt.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.