Griechenland vor einer ungewissen Zukunft

Die Parlamentsdebatte. Foto: Wassilis Aswestopoulos

Wohin geht die Reise?

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Auf die Frage "was gibt es Neues?" gibt es im Athen der Krise meist zunächst eine Antwort zur Lage der Nation. Es ist klar, dass der Euro das alles beherrschende Thema ist. "Ich bin kein Liebhaber der Drachme, andere sind krankhaft an den Euro gebunden", antwortet der SYRIZA-Abgeordnete Kostas Lapavitsas zu den Aussichten des Landes. Lapavitsas möchte den Euro nicht um jeden Preis halten.

Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou betont, dass für sie Menschenleben mehr zählen als die Rechte der Kreditgeber. Finanzminister Yanis Varoufakis muss dagegen der Eurogruppe ein ums andere Mal neue Vorschläge unterbreiten.

Bislang werden die Maßnahmen als Gesamtpaket abgelehnt. Diese andauernde Zitterpartei führt dazu, dass ein möglicher Austritt Griechenlands aus der Eurozone immer wieder diskutiert wird.

Die Reise nach Russland

Darüber hinaus wird beratschlagt, ob die Reise von Premierminister Alexis Tsipras und seinem Koalitionspartner, dem Verteidigungsminister Panos Kammenos, nach Russland etwas Positives bringen kann.

Tsipras bei seiner Rede vor dem Parlament. Foto: Wassilis Aswestopoulos

Schließlich hatte Zypern sich Ende März 2013 bis Anfang April 2013 in einer ähnlichen Lage wie Griechenland jetzt befunden. Die Zyprioten hatten sich zunächst geweigert, den Vorgaben der Eurogruppe Folge zu leisten. Die Banken der Insel waren geschlossen worden und blieben es bis zum Einlenken der Regierung in Nikosia.

Zypern hat ebenso wie Griechenland zahlreiche Erdgasvorkommen vor seinen Küsten. Die Insulaner hatten seinerzeit versucht, Putin als Geldgeber und Förderpartner zu gewinnen. Genau dies möchte Kammenos nun bei den Russen versuchen, nachdem er in den USA bereits ein Angebot zur gemeinsamen Nutzung der Ägäis vorgelegt hat. Mit siebzig Prozent für die Griechen und dreißig für den Förderpartner soll aus den Erdgasvorkommen Gewinn geschöpft werden.

Das hört sich sehr viel versprechend an, hat aber einen Haken. Für einen entsprechenden Nutzungsvertrag müssten die Griechen als EU-Staat zunächst eine internationale Ausschreibung platzieren. Weil damit Monate ins Land ziehen werden, kann kaum damit gerechnet werden, dass der Verkauf oder die Beteiligung an Bohrrechten in der Ägäis schnell Geld in die Staatskassen bringt.

Wie lange reicht das Geld und wofür?

Hinsichtlich der Information, wie lange die Regierung in Athen noch liquide Mittel hat, überschlagen sich die Meldungen nahezu stündlich. Die Nachrichtenagentur Reuters meldete, dass es noch Geld bis zum 9. April in den Kassen gibt, die griechische Regierung dementierte prompt.

Die Zentrale Buchhaltung des Staats kündigte an, dass es ohne Geldzufluss aus dem Ausland spätestens am 15.5. keinen einzigen Euro mehr für die öffentliche Hand Griechenlands gibt. Es stellt sich zudem die Frage, was die Regierung bis dahin bezahlen wird und was nicht.

Bislang werden die Kreditgeber hinsichtlich der fälligen Abzahlungsraten brav bedient, während der Staat die Rückerstattung von Mehrwertsteuer an Exporteure ebenso schuldig bleibt, wie zahlreiche weitere Verpflichtungen im Inland. Gerade bei den Exporteuren ist dies jedoch fatal. Sie können die im Inland für Rohstoffe oder weiter verarbeitete Güter gezahlte Mehrwertsteuer von dreiundzwanzig Prozent nicht an die Abnehmer im Ausland weitergeben.

Beim verarbeitenden Gewerbe ist der Betrag der vom Staat zu erstattenden Steuer meist höher als der Unternehmensgewinn des fertigen Produkts. Solche Beträge müssten über Bankkredite zwischenfinanziert werden. Die Banken jedoch werden hinsichtlich ihrer Liquidität von der EZB kurz gehalten, damit der Staat keinen Zugang zu Geldern hat. Somit können weder Importeure noch Exporteure benötigte Finanzmittel erhalten.

Die Firmen aus dem Ausland fürchten zudem, dass die Griechen bei einem Austritt aus der Eurozone ihre Waren nicht in der Gemeinschaftswährung bezahlen können. Sie bestehen daher bei nahezu allen Bestellung auf Vorkasse vor der Lieferung und schließen den ansonsten oft üblichen Verkauf auf Kommission rigoros aus. Auf dem griechischen Markt fehlt es bereits an ersten Gütern. Dem Finanzministerium ist durchaus bewusst, dass den Unternehmen die Liquidität an allen Ecken und Enden fehlt.

Es ist bekannt, dass viele Angestellte ihren Lohn nur mit erheblicher Verzögerung erhalten. Im Zusammenhang mit einer Besteuerung der von Firmen für die Angestellten zur Verfügung gestellten Mobiltelefone oder Kreditkarten verkündete das Ministerium daher auch eine weitere Regelung: Der Arbeitgeberanteil von Lohnsteuern und weiteren Abgaben ist auch dann pünktlich fällig, wenn der Arbeitnehmer seinen Lohn wegen der Geldprobleme des Arbeitgebers noch gar nicht erhalten hat.

Im Grunde genommen bedeutet dies alles, dass es durchaus zuerst zur Totalpleite der griechischen Realwirtschaft kommen könnte, bevor dem Staat die Luft ausgeht.

Protest der Morgenröte gegen den Anti-Rassismus-Tag. Foto: Wassilis Aswestopoulos

Tumulte in und ums Parlament

Auch dies ist eine Parallele zur Situation auf Zypern 2013. Auch dort gingen die Unternehmen unter dem Druck der EU und EZB in die Knie, bevor der Staat einen Zahlungstopp für ausländische Schuldner verkünden musste.

Im Unterschied zu Zypern, wo die Parteien zumindest in der ersten Phase des Widerstands gegen die EU-Forderungen zusammenhielten, sind die Parteien in Griechenland heillos zerstritten. Eine Parlamentsdebatte am Montag sollte den Parteichefs die Gelegenheit geben, sich zur Lage der Nation zu äußern. Tsipras erläuterte in seinen drei Reden die Fortschritte der Verhandlungen mit der EU, seine Sicht auf die Optionen des Staats und die Sorgen aus dem Blickwinkel der Regierung.

Oppositionsführer Antonis Samaras hingegen warf mit Kraftausdrücken um sich. Er sei schließlich ein Mann, ließ er das Plenum wissen. Die Innenstädte wären seit dem Antritt von SYRIZA mit Horden illegaler Einwanderer überflutet worden, tönte er. Die Tatsache, dass Tsipras den früheren Regierungsberater Samaras' Stavros Papastavrou als potentiellen Steuersünder entlarvte und entsprechende Dokumente an die Protokollführerin des Parlaments gab, brachte den früheren Premier zur Weißglut.

Unumwunden hatte Tsipras die Einträge der Auslandskonten Papastavrou auf der Lagarde Liste mit Kunden einer schweizerischen Bank als Grund für das Versäumnis der Vorgängerregierung diese Listen zu überprüfen identifiziert.

Oppositionsführer Antonis Samaras. Foto: Wassilis Aswestopoulos

Samaras wollte dies nicht unbeantwortet lassen und er sprach mit sich überschlagender Stimme von den die Uni Athens besetzenden Anarchisten als "einer Gefahr für die Demokratie." Ausnutzen konnte dies die Goldene Morgenröte. Denn während Samaras Duktus rechtsextrem klang, sprach der Generalsekretär der sozialistisch und nationalistisch gesinnten Partei eher sanft. Nikos Michaloliakos ist ebenso wie sein Vize Christos Pappas wegen Überschreitung der zulässigen Höchstdauer aus der Untersuchungshaft entlassen worden.

Michaloliakos kritisierte Tsipras mit keinem Wort. Er sparte jedoch nicht an Kritik gegenüber Samaras und dem ehemaligen Vizepremier Venizelos. Beiden warf er, wenn auch in gemäßigten Worten, Verrat an den Griechen vor. Die neue Taktik der Rechtsextremen ist es, möglichst korrekt zu reden, um bei dem am 20. April beginnenden Prozess gegen die komplette Parteiführung auf Samaras als wahren Extremisten zu verweisen. Der so gescholtene lieferte sich daraufhin mit Parlamentspräsidentin Konstantopoulou Wortgefechte, bei denen er komplett die Contenance verlor.

Was die übrigen Oppositionsparteien sagen

Die PASOK verkündete durch ihren Parteiführer auf Abruf Evangelos Venizelos, dass sie nicht gewillt ist, die Regierung "auf ihrem katastrophalen Kurs" zu unterstützen. Von den übrigen Oppositionsparteien ging lediglich Stavros Theodorakis vom sozialdemokratischen To Potami auf das Angebot Tsipras zur Zusammenarbeit in der Krise ein. Theodorakis liebäugelt damit, dass Tsipras den linken Flügel von SYRIZA abspalten der matt setzen und den Koalitionspartner Kammenos zum Teufel schicken könnte.

Dann möchte Theodorakis gern in eine Koalition eintreten. Quasi als Geschenk an Tsipras lieferte Charis Theocharis einen Beweis für die Vorwürfe des Premiers. Der ehemalige oberster Steuereintreiber des Landes und jetzige Abgeordnete von To Potami bestätigte, dass die Listen der Steuersünder wegen Einflussnahme der politischen Führung der Regierung Samaras nicht überprüft wurden.