TV im Baltikum: auf Russisch, aber nicht aus Moskau

Das Projekt eines gemeinsamen baltischen russischsprachigen TV-Kanals für die russischen Minderheiten, dessen Linie nicht vom Kreml bestimmt wird, ist in der vergangenen Woche konkreter geworden

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Die staatlichen Sender Estlands (Eesti Rahvusringhääling, EER) und Lettlands (Latvijas Televīzija, LTV) haben ein Abkommen unterzeichnet, das einen gemeinsamen russischen Sender in die Wege leiten soll.

Über die Ausrichtung, Mission sowie die Schulung der Journalisten gebe es Übereinstimmung, so Ivars Belte, der Vorsitzende von LTV und die treibende Kraft des Projekts. Demnächst solle mit der Markenentwicklung, mit Marketing und der strategischen Planung begonnen werden. Beide Sender bereiteten bisher auch separat voneinander einen russischen Kanal vor.

Die baltischen Regierungen debattieren seit der Annexion der Krim durch Russland ein solches Projekt. Im April vergangenen Jahres verbaten Lettland und Litauen die Ausstrahlung des russischen Auslandssenders "RTR Planeta" für drei Monate, da er "Propaganda-Züge" aufwies. Konkret ging es um die Berichterstattung über die Geschehnisse auf der Krim. In Lettland und Estland sind rund 25 Prozent (es gibt unterschiedliche Zahlen) der Bevölkerung russischsprachig. In Litauen sind es etwa fünf Prozent.

EU: Gegenstrategie zur "Desinformation" aus Russland

Von Regierungsseite gibt es Befürchtungen, dass diese durch dem Kreml nahen Sender gegen die Regierungen aufgehetzt werden können. Russischsprachige, die den Sprachtest nicht bestehen, genießen keine vollen Bürgerrechte. Lange wurden sie von den Regierungen in Tallin und Riga vernachlässigt, nun erfahren sie angesichts der Ukraine-Krise eine größere Zuwendung.

Die baltischen Regierungen haben Vertreter der EU mehrfach aufgefordert, einen russischsprachigen Kanal zu finanzieren, der gegen die kremlnahen Sender und dessen "russische Propaganda" angehen soll.

Als Vorsitzender des EU-Rates macht Lettland weiterhin Druck für das TV-Projekt. Bislang gibt es keine entgültige Entscheidung. Seit Ende März arbeiten in Brüssel Kommunikationsexperten an einer Gegenstrategie zur "Desinformation" aus Russland. Im Juni soll der Plan stehen. Dazu gehöre auch ein russischsprachiger TV-Kanal für russischsprachige Minderheiten in ehemaligen Sowjetstaaten.

Aktuelle Hauptaufgabe sei jedoch (in nicht näher genannter Form) die Richtigstellung russischer "Falschinformation" und das Erstellen eines EU-Berichts mit grundlegenden Informationen in russischer Sprache.

Der von der EU gegründete Europäische Demokratiefonds wird Konkreteres beim EU-Gipfel am 21. Mai in Riga vermitteln. Doch Lettland und Estland bauen, wie schon erwähnt, jeweils einen russischsprachigen Kanal in Eigenregie, die miteinander koordiniert sein sollen.

Lettland und Estland: Gegen Diskriminierung, für eine Vielzahl von Quellen

Das lettische Staatsfernsehen will ab 2016 ein Drittel seiner Programme in russischer Sprache anbieten, dafür sind sechs Millionen Euro vorgesehen. Estlands russischsprachiger Kanal startet schon in diesem September. Die Berichterstattung sollte einen Fokus auf das Regionale haben, mit einer "Vielzahl an Quellen".

Erfolgreiche Russischstämmige würden vorgestellt, um ein Gegenbild zum Moskautreuen Fernsehen zu entwerfen, das in seiner Berichterstattung die Diskriminierung der Russen im Baltikum im Fokus hat.

Die Medienunternehmerin Darja Saar kündigte als neue Programmchefin an, die russischprachige Bevölkerung bei der Gestaltung der Inhalte "so gut wie möglich zu involvieren". Der Kanal soll "integrierend" sein und der Minderheit eine Möglichkeit der "Selbstverwirklichung" bieten. Mittels eines Crossmedia-Hackathon kann sich im Mai jeder estnisches Staatsbürger mit Ideen für den neuen Sender einbringen.

Russland reagiert auf die entstehende Konkurrenz nicht begeistert: Der stellvertretende Außenminister Alexey Meshkov sprach von einem Angriff gegen die Meinungsfreiheit und von "Konter-Propaganda".

Neben neutral gehaltenen Meldungen der kremlnahen Presse gibt es auch halbsatirische Texte wie bei RIA Novosti, wo vermutet wird, dass dort antirussiche Propaganda verbreitet und auf den nächsten Weltkrieg eingestimmt werde.

Inwieweit die Russischsprachigen dort ihre Sorgen und Probleme artikulieren dürfen, wird wohl ausschlaggebend für den Erfolg des baltisch-russischen Fernsehens sein. So gibt es, um ein Alltagsbeispiel zu nennen, Unzufriedenheit über allein estnische Aufschriften auf Lebensmitteln, die für russische Allergiker gefährlich werden können.

Würde der Komplex "Diskriminierung" offen diskutiert, hätte dieses Fernsehen Chancen. Dem lettischen Fernsehen LTV warf "Vesti", die führende russischsprachige Zeitung des Landes, vor, eine bislang zu sehr auf Mainstream und auf Konfliktvermeidung angelegte Berichterstattung zu präsentieren.

Ivars Belte, der Vorsitzende des staatlichen Fernsehens in Lettland, versichert gegenüber der Zeitung, man wolle auf "Propaganda nicht mit Gegenpropaganda reagieren".

Keine einfache Herausforderung in diesen angespannten Zeiten.