"Die Politik hat die verfassungsrechtliche Anstößigkeit von CETA und TTIP bisher ausgeblendet"

Prof. Axel Flessner über die Freihandelsabkommen, die Möglichkeiten des Bundesverfassungsgerichts und das Versagen der Politik

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Strittigster Punkt der beiden Handelsabkommen CETA und TTIP ist die darin vorgesehene Schiedsgerichtsbarkeit nach dem ISDS-Mechanismus. Trotz des an der SPD-Basis partiell spürbaren starken Widerstands rechnet Axel Flessner, emeritierter Rechtsprofessor der Berliner Humboldt Universität, damit, dass die SPD im Bundestag mehrheitlich für CETA stimmen wird. Er sieht in diesem Fall aber Chancen, dass das Bundesverfassungsgericht den Bundespräsidenten hindern könnte, das Zustimmungsgesetz zu unterzeichnen. Über 17.000 Bundesbürger unterstützen bislang eine Verfassungsklage.

Wenn der Investorenschutz des TTIP-Abkommens mit den USA Rechtskraft bekäme, könnten US-Konzerne gegen ein deutsches Verbot der Gasförderung durch Fracking vorgehen. Sie könnten milliardenschwere Entschädigungen vom Staat verlangen, deren Höhe nicht von unabhängigen Gerichten festgelegt würde, sondern von drei privaten Wirtschaftsanwälten im Rahmen des ISDS (Investor to State Dispute Settlement). Halten Sie diese Befürchtung für begründet?

Axel Flessner: Die Befürchtung ist begründet für den Fall, dass der amerikanische Konzern in Deutschland investiert hat und er durch die Nichtzulassung des Fracking seine Investition im Wert gemindert oder seine Aktivitäten in Deutschland behindert sieht. Die ISDS-Schiedsrichter, die von der Weltbank auf Grund eines internationalen Abkommens oder von den Parteien selbst bestellt werden, können allerdings auch andere Personen als Rechtsanwälte sein - z.B. Geschäftsleute, Unternehmensberater, Wissenschaftler, ehemalige Richter und Regierungsbeamte, die im internationalen Rechts- und Wirtschaftsverkehr kundig sind.

Die Inhalte der beiden geplanten Handelsabkommen mit Kanada und den USA, CETA und TTIP, reichen weit über den Handel hinaus. Das vorgesehene Klagerecht von Konzernen gegen Staaten vor privaten Schiedsstellen würde eindeutig die Souveränität der beteiligten Staaten einschränken. Aber ist das nicht im Einklang mit der Rechtslage, nachdem die EU-Mitgliedstaaten die Kompetenz in Fragen des Außenhandels an die EU abgegeben haben?

Axel Flessner: Die EU hat die genannte Kompetenz erhalten, aber nur für Sachverhalte, für die sie auch unionsintern eine Regelung treffen darf, und sie muss diese Kompetenz im Einklang mit ihren Grundprinzipien, wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, ausüben. Die Union hat zum Beispiel nicht das Recht, den Mitgliedstaaten aus außenwirtschaftlichen Gründen Steuern zu verbieten, die mit den Europäischen Verträgen an sich vereinbar sind, oder über die mitgliedstaatliche Kulturpolitik, etwa Schulen, Hochschulen, den Betrieb von Theatern und Museen zu bestimmen. CETA soll aber den ausländischen Investoren erlauben, gegen neue Steuern und Abgaben zu klagen - wenn etwa Deutschland eine Vermögenssteuer oder eine Straßenmaut einführen würde -, und ausländische Investoren dürften die staatliche Finanzierung von Theatern als wettbewerbswidrige Subvention rügen.

Inwiefern würden Ihrer Meinung nach die bisherigen Befugnisse des Bundestages und der Parlamente der anderen EU-Mitgliedstaaten verringert?

Axel Flessner: Die Parlamente müssten vor jedem Gesetz, das die Wirtschaft berührt, die finanzielle Haftung ihres Staates für Einbußen einer unbestimmten Zahl von nordamerikanischen Investoren einkalkulieren, sie werden dadurch eingeschüchtert und zu eigentlich sachfremden Erwägungen veranlasst. Außerdem wird, wenn der Staat tatsächlich zur Zahlung verurteilt wird und zahlen muss, ihre Haushaltshoheit - ein zentrales Parlamentsrecht in der Demokratie! - vereitelt.

Beim geplanten Abkommen mit Kanada hat Professor Andreas Fischer-Lescano von der Universität Bremen schwere Bedenken gegenüber der "Regulatorischen Kooperation" vorgetragen. In einem in einem Gutachten im Auftrag von Attac beklagt er insbesondere den großen Einfluss des vorgesehenen "Gemeinsamen Ausschusses" (Joint Committee), der aus Exekutivvertretern der EU und Kanadas gebildet werden soll, und seines administrativen Unterbaus. Dieser Ausschuss kann z.B. die Befreiung von Einfuhrzöllen erwirken und auch andere Regeln erweitern. Können Sie sich vorstellen, wie da noch die Beteiligung des EU-Parlaments gewährleistet werden soll?

Axel Flessner: Das ist schwer vorstellbar. Die Beteiligung des EU-Parlaments an der Gesetzgebung ist in den Europäischen Verträgen geregelt. Diese können nur von allen Mitgliedstaaten zusammen, nicht von der EU selbst geändert und ergänzt werden, also auch nicht durch ein von der EU abzuschließendes internationales Abkommen.

Wie beurteilen Sie die Chancen, dass das mehrheitlich konservative EU-Parlament sowie die Bundestagsmehrheit von CDU/CSU und SPD das Abkommen mit Kanada ablehnen könnten?

Axel Flessner: Eher gering. Auch bei den Sozialdemokraten sind viele mit dem Argument des Wachstums und der Arbeitsplätze, das für die Abkommen vorgebracht wird, zu beeindrucken, und christdemokratische Konservative und Sozialdemokraten haben die große Mehrheit, dazu kommen noch die Liberalen. Im Bundestag kommt hinzu, dass für die SPD auch die Regierungsbeteiligung im Spiel ist und die deutsche Politik sehr ungern die USA verstimmt und als europäischer Störenfried dasteht.

Nach dem deutschen Grundgesetz "geht alle Staatsgewalt vom Volke aus". Wenn CETA tatsächlich die Macht der Volksvertreter empfindlich verringert, müsste dann nicht im Falle einer Verfassungsbeschwerde das Bundesverfassungsgericht intervenieren? Wäre es in der Lage, den Bundespräsidenten an der Unterzeichnung des Vertrags selbst nach einer mehrheitlichen Zustimmung des Bundestags zu hindern?

Axel Flessner: Das Bundesverfassungsgericht kann auch um Rechtsschutz im Vorhinein gebeten werden gegen Gesetze, die, würden sie später vom Gericht für verfassungswidrig und nichtig gehalten, nicht mehr korrigierbar wären. Ein deutsches Zustimmungsgesetz zu CETA oder TTIP wäre ein solcher Fall. Sollten auch das EU-Parlament, der Rat der EU und alle anderen Mitgliedstaaten zustimmen, wäre das Abkommen dann nach den Europäischen Verträgen europäisches Recht geworden, falls der andere Vertragspartner (Kanada, USA) ebenfalls zustimmt, und an diesem könnte eine spätere Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nichts mehr ändern. Um das zu verhindern, könnte das Gericht dem Bundespräsidenten aufgeben, die Unterzeichnung des Zustimmungsgesetzes bis zur Entscheidung des Gerichts zu unterlassen, und es könnte sie ihm, wenn es die Zustimmung für verfassungswidrig hält, dann auch endgültig untersagen.

CETA wurde jahrelang im Geheimen verhandelt, der Vertragstext liegt in Deutsch erst relativ kurz in einer inoffiziellen Übersetzung vor. Der Vertrag enthält das Gebot, ausländische Unternehmen "gerecht und billig" (fair and equitable) zu behandeln, eine sehr dehnbare Formulierung. Ist sie nicht geeignet, privaten Schiedsrichtern - Richter sind sie dabei in aller Regel nicht - Tür und Tor für willkürliche Entscheidungen zu öffnen?

Axel Flessner: Die Schiedsrichter würden von den beteiligten Regierungen, der EU- Kommission und der Weltbank gewiss sorgfältig ausgewählt werden, und sie haben einen Ruf zu verlieren. Der Text von CETA vermindert die Dehnbarkeit von "gerecht und billig" auch durch engere zusätzliche Definitionen. Deswegen kann man von weiter Türöffnung für Willkür nicht sprechen. Es bleibt aber die Tatsache, dass die Schiedsrichter von den Streitparteien für die konkrete Streitigkeit bestellt und besoldet werden, deswegen auch mit Blick auf ihr Eigeninteresse handeln werden und in ihrem Spruch keine Übereinstimmung mit bisherigen Entscheidungen anderer Schiedsrichter in anderen Sachen anstreben müssen.

Die Forderung nach einem Weltgerichtshof für Handelsfragen anstelle der privaten Schiedsgerichtsbarkeit wird in jüngster Zeit immer lauter, sogar Bundeswirtschaftsminister Gabriel hat jetzt Sympathie dafür bekundet. Einen solches Weltgericht zu konzipieren und zu verwirklichen, würde aber doch wohl längere Zeit erfordern. Wäre es für Sie denkbar, dass eine solche substantielle Änderung noch in das CETA eingebaut werden kann, bei dem ja in wenigen Monaten der Ratifizierungsprozess beginnen soll?

Axel Flessner: Das erscheint mir undenkbar. Es könnte in CETA ja nur um einen europäisch-kanadischen Gerichtshof gehen, nicht um einen Weltgerichtshof. Selbst ein nur bilateraler gemeinsamer Gerichtshof wäre ein völlig neues Konzept für den Investorenschutz, auf dessen Konzipierung und Diskussion die beteiligten Fachkreise (Regierungen, internationale Organisationen, Wissenschaft) bisher überhaupt nicht vorbereitet sind, nachdem sie sich seit Jahrzehnten der anstößigen Sondergerichtsbarkeit für ausländische Investoren verschrieben haben. Es würde dagegen auch massiven Widerstand, vor allem aus der Weltbank und den ihr zuarbeitenden Kreisen geben, die mit einer Austrocknung ihrer bisherigen Schiedsgerichtsbarkeit rechnen müssten.

Wie ist es zu erklären, dass die schweren verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Freihandelsverträge mit Kanada und den USA öffentlich bisher kaum wahrgenommen werden? Ist das ein Versagen der Medien?

Axel Flessner: Das ist zunächst ein Versagen der Politik. Sie hat die verfassungsrechtliche Anstößigkeit der Abkommen bisher ausgeblendet - zunächst vielleicht, weil man sich in Europa anfangs nicht vorstellen konnte, dass auch die europäischen Staaten, die Kapital exportieren, einmal als Importeure von Kapital vor die Schiedsgerichte gezogen werden könnten, dann vielleicht aus Gewöhnung an das scheinbar so gut funktionierende System der vielen bilateralen Abkommen, ferner wohl auch auf Druck der heimischen Wirtschaft. Diese gewinnt ja mit jedem Abkommen eine zusätzliche rechtliche Anspruchs- und Handlungsoption im Ausland, die sie ohne das Abkommen nicht hätte.

Und schließlich hören auch die Politiker nicht gerne, jedenfalls die der Regierungsparteien nicht, dass ihre Bewegungsfreiheit vom Verfassungsrecht begrenzt sein könnte. Die verfassungsrechtliche Problematik ist aber heute offensichtlich. Das könnten auch die Medien aufgreifen. Warum sie es nicht tun, bleibt Vermutung - da könnten redaktionelle Bequemlichkeit, Besitzverhältnisse bei den Medienunternehmen und politisches Herdenverhalten eine Rolle spielen.

Axel Flessner hat vor kurzem einen Vortrag zu diesem Thema bei einem juristischen Symposium des Max-Planck-Instituts gehalten.

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