G7: Viel Lärm um Nichts

Der G7-Gipfel der Außenminister in Lübeck ging völlig unspektakulär über die Bühne - und besprochen werden konnte auch nicht viel

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Schon Tage vor Beginn des G7-Außenministertreffens in Lübeck am vergangenen Dienstag und Mittwoch wurden tausende Polizeibeamte in der Hansestadt stationiert. Doch die von den Medien beschworenen Krawalle blieben aus: 16 Festnahmen, 11 In-Gewahrsamsnahmen sowie einige Anzeigen sind laut Polizeiangaben das Ergebnis der beiden Aktionstage. Alle Betroffenen wurden noch am Mittwoch wieder frei gelassen. Kostenpunkt für diesen Polizeieinsatz mit dem Codenamen "Sieben Türme": ca. 4,6 Millionen Euro. Die Organisatoren der Proteste gegen den G7-Gipfel zeigten sich letztlich zufrieden mit der Resonanz der Protestaktionen, beklagen allerdings "erhebliche Polizeibrutalität".

Großes Polizeiaufgebot für teures und überflüssiges Speed-Dating. Bild: Block-G7

Es war der größte Polizeieinsatz in der Geschichte Schleswig-Holsteins: Ein Containerdorf zur Unterbringung von 3.500 Uniformierten wurde eingerichtet, das gesamte Militärarsenal aufgefahren, Scharfschützen postiert. Das alles für sieben Staatsmänner und deren Hofstaat. US-Außenminister John Kerry blieb nicht einmal drei Stunden in Lübeck. Genau genommen verbrachte er 90 Minuten am Konferenztisch mit seinen Amtskollegen, schipperte ein wenig mit denen durch die Gegend und nahm einen Pressetermin wahr. Die Beratungen fanden demzufolge im Eiltempo statt. "Speed-Dating" der G7-Außenminister, spöttelte eine Moderatorin im NDR Journal.

Einer war zur Party allerdings nicht geladen: Sergej Lawrow, Außenminister Russlands. Der russische Präsident ist zum G7-Gipfel der Staatspräsidenten im Juli in Elmau ebenfalls nicht erwünscht: Eine Sanktionsmaßnahme wegen der russischen Annexion der Krim.

Skurrile Bilder von Wasserwerfern und Räumfahrzeugen auf menschenleeren Plätzen waren in den Medien zu sehen. Reporter gruselte es ein wenig wegen der Scharfschützen. In echt sehen sie dann wohl doch etwas Angsteinflößender aus als beim "Tatort". Einige Geschäfte in der Lübecker Innenstadt blieben vorsorglich geschlossen. Teils aus Angst vor Ausschreitungen wie kürzlich in Frankfurt bei den Bloccupy-Protesten, teils, weil wegen der weiträumigen Absperrungen sowieso keine Kundschaft gekommen wäre.

Nicht nur Kauflustige blieben aus, sondern zunächst auch die Protestierenden. "Stell Dir vor, es ist Demo, und keiner geht hin", frotzelte ein NDR-Außenreporter im Gespräch mit seinem Kollegen im Kieler Studio. Einige der angekündigten Feste und Aktionen wurden mangels Masse abgesagt. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hatte eine Anti-TTIP-Kundgebung schon in der vergangenen Woche abgeblasen. Die Gewerkschaften fürchteten Frankfurter Verhältnisse in Lübeck und wollten nicht zwischen die Fronten von gewaltbereiten Demonstranten und nicht minder auf Krawall gebürsteten Uniformierten geraten. Christoph Kleine vom Lübecker Aktionsbündnis "Stopp G7" bedauerte die Entscheidung des DGB.

Am Dienstagabend demonstrierten schlussendlich mehrere tausend Menschen bunt und friedlich durch Lübeck, ca. 3.000 laut Kleine. "Die Leute kommen auf den letzten Drücker. Ist doch immer so", zeigte er sich Telepolis gegenüber erleichtert. "Wir hatten für Mittwoch mit Absicht keine Aktionen geplant, um den Lübeckern zu zeigen, wie sinnlos dieser absurde Sicherheitswahn ist, und dass von uns keine Eskalation ausgeht. Wir haben uns entschieden, diesen Sicherheitswahnsinn ins Leere laufen zu lassen. Die Polizei hat dann auch bewiesen, dass sie ganz allein in der Lage ist, die gesamte Stadt abzusperren und tausende Menschen daran zu hindern, sich frei darin zu bewegen."

Alles in allem sei er mit den Protestaktionen sehr zufrieden, so der Aktivist: "3000 Leute auf einer kraftvollen und lautstarken Demo haben ein klares Zeichen gegen die G7 und ihre Politik gesetzt." Allerdings seien Verletzte zu beklagen, und zwar auf Seiten der Demonstranten: "Im Rahmen der Aktionen des zivilen Ungehorsams wurde das Rathaus, wo die Außenminister sich aufhielten, von mehreren Seiten umzingelt", so Kleine. "Letztlich ging es angesichts der massiven Polizeipräsenz und teilweise auch Polizeibrutalität nicht mehr weiter. Wir hatten ca. 20 Verletzte durch Schläge ins Gesicht und Tritte, u.a. einen Rippenbruch, mindestens einen Nasenbruch und mehrere Platzwunden. In dieser Situation haben wir entschieden, die Aktion nicht weiter zu führen, um die Teilnehmenden nicht weiter zu gefährden."

3.500 Uniformierte im Einsatz, 4,6 Mio. € Kosten für die "Operation Sieben Türme", ca. 10 Mio. € insgesamt, da stellt sich dann doch die Frage: Was hatten die sieben Außenminister eigentlich so wichtiges zu besprechen, das diesen Aufwand rechtfertigt? Laut Spiegel berieten sich die Außenminister über die großen Konflikte und Gefahren dieser Welt, als da wären Syrien, Irak, Ukraine, IS, iranisches Atomprogramm, Ebola und - auf Wunsch der diesjährigen Ratspräsidentschaft Deutschlands - auch über den Schutz der Handelsrouten auf den Weltmeeren. Maritime Zusammenarbeit, so nannte das der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) gegenüber der Presse.

Steinmeiers Haltung zu den Luftangriffen auf den Jemen bestätigten Kleine zufolge die Notwendigkeit der Proteste gegen das G7-Außernminister-Treffen: "Die Äußerungen von Außenminister Steinmeier zu den Luftangriffen auf den Jemen, die er gerechtfertigt und entschuldigt hat, zeigen dass die G7 tatsächlich für Krieg stehen, wie wir von Anfang an gesagt haben."

"Drei Tage Absperrungen und Schikanen, ca. 10 Millionen Euro Gesamtkosten für ein weitgehend ergebnisloses Treffen von wenigen Stunden"

Um die Lübecker Bevölkerung bei Laune zu halten, wurden die Außenminister am Dienstag in verschiedenen Schulen vorgeführt. Steinmeier beispielsweise musste mit Schülern die Frage erörtern, ob die Haltung der Bundesregierung in Bezug auf den Ukraine-Konflikt die richtige sei. Das anstehende Gipfeltreffen war bereits in der vergangenen Woche ein großes Thema in der Lübecker Bevölkerung und auch bei den lokalen Medien. Einige der Befragten, z.B. des lokalen NDR-Radios, zeigten sich erfreut über die zu erwartende Aufmerksamkeit, die dem ansonsten beschaulichen Ostsee-Städtchen zuteil werden würde. Die meisten äußerten sich aber eher skeptisch bis ablehnend, z. B. wegen der angekündigten willkürlichen Pass- und Taschenkontrollen auch für Anwohnende.

Am Mittwochabend, nachdem die berühmten Staatsmänner längst wieder ihrer Wege gezogen waren, beschäftigte die Frage nach der Verhältnismäßigkeit zwischen (Kosten)Aufwand und Nutzen die Medien. Insbesondere der Kurzbesuch Kerrys ließ offensichtlich Zweifel aufkommen. Schließlich wurde der ganze Zirkus ja hauptsächlich seinetwegen veranstaltet.

"Der Verlauf des Treffens, bei dem die G7-Außenminister nur 1,5 Stunden tatsächlich zu siebt waren, ist eine Farce. Drei Tage Absperrungen und Schikanen, ca. 10 Millionen Euro Gesamtkosten für ein weitgehend ergebnisloses Treffen von wenigen Stunden. Bürgermeister Bernd Saxe (SPD) und Außenminister Steinmeier sollten sich bei den LübeckerInnen entschuldigen", resümiert Kleine.

Vielleicht sollte den Herren mal jemand stecken, dass es in der hoch technisierten und globalisierten Welt andere Möglichkeiten der Kommunikation gibt wie beispielsweise Skype-Video-Konferenzen als Millionen teures "Speed-Dating".