Augenscheinlich erschlichene Freundschaft

Dass der Hund zum besten Freund des Menschen geworden ist, verdankt er einem Trick: Mit dem Blick in die Augen nutzen Hunde einen Bindungsmechanismus, der eigentlich menschlichen Babys vorbehalten war

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Ein Hund ist mehr als ein gezähmter Wolf. Trotz äußerer Ähnlichkeit wird ein Zeit seines Lebens in Gefangenschaft gehaltener Wolf nie zum perfekten Spielgefährten des Menschen. Dafür gibt es verhaltensbiologisch eine ganze Reihe von Indizien. Das Erlernen menschlicher Verhaltensweisen ist für Wölfe etwa ein anstrengender Prozess.

Einen Blick in eine bestimmte Richtung als Zeichen zu interpretieren, gelingt Hunde-Jungtieren sehr früh - Wölfe müssen dafür extensiv trainiert werden. Wölfe erwarten auch nicht wie Hunde, dass der Mensch mit ihnen kooperiert: Während Hunde bei bestimmten Experimenten von sich aus die Hilfe des Menschen suchen, erwarten Wölfe eine solche Zusammenarbeit niemals.

Bild: Red.

Wie hat der Hund diese Fähigkeiten erworben? Gängige Theorien gehen davon aus, dass im Laufe der vom Menschen gesteuerten Evolution, der Züchtung des Hundes, besonderer Evolutionsdruck auf solche Eigenschaften ausgeübt wurde, die dem Hund das Zusammenleben mit dem Menschen erleichtern (und umgekehrt). Aus dem gemeinsamen Raubtier-Vorfahren wäre damit durch die Auswahl des Menschen der Hund geworden, den wir heute kennen - der etwa mit menschlichen Kleinkindern vergleichbare Fähigkeiten der sozialen Interaktion und Deutung der Absichten des Gegenübers besitzt. Nicht einmal Primaten sind ohne Training dazu in der Lage.

Blickkonktakt und Hormonausschüttung

Dabei scheint ein ganz bestimmter Mechanismus eine spezielle Rolle gespielt zu haben, der Wölfen ebenfalls fremd ist: der lange Blick in die Augen als Kommunikationskanal. Tatsächlich ist der Austausch von Blicken zwischen Mutter und Kind einer der wichtigsten Faktoren für die Ausbildung einer Beziehung zwischen den beiden sich zunächst unbekannten Wesen. Nach längerem Augenkontakt steigt in Mutter und Kind der Pegel des auch beim Orgasmus ausgeschütteten Bindungs-Hormons Oxytocin.

Ganz ähnliche Vorgänge spielen sich offenbar ab, wenn sich Hund und Besitzer in die Augen sehen. In einem Artikel im Wissenschaftsmagazin Science zeigen Forscher, was genau dabei passiert. Dazu ließen die Wissenschaftler Probanden auf unterschiedliche Weise mit ihren Tieren interagieren: mit langen Blicken, mit kurzen Blicken, durch Sprache und durch Streicheln.

Eine der Studentinnen beim Spiel mit Hook, einem Labrador Retriever. Sein Blick in ihre Augen erhöhte den Oxytocin-Spiegel seiner Besitzerin (Experiment 1). Er sah ihr aber auch nach Gabe von Oxytocin nicht öfter oder länger in die Augen als vorher (Experiment 2). Foto: Mikako Mikura

Auch Wölfe wurden in das Experiment einbezogen. Das Ergebnis: Wölfe nahmen, wenn überhaupt, nur kurzfristig Blickkontakt auf. Vor allem aber führte nur ein längerer Blickkontakt zwischen einem Hund und seinem Besitzer dazu, dass sich der Oxytocin-Spiegel sowohl im Tier als auch im Urin des Menschen signifikant erhöhte.

In einem zweiten Versuch sprühten die Forscher den tierischen Probanden zunächst Oxytocin beziehungsweise Wasser auf die Nase. Anschließend führten sie die Hunde in einen Raum, in dem sich ihre Besitzer und zwei fremde Personen aufhielten.

Ergebnis 1: weibliche, nicht aber männliche Hunde sahen ihrem Besitzer unter Oxytocin-Einfluss länger als sonst in die Augen. Ergebnis 2: Danach erhöhte sich der Pegel des Bindungshormons auch in den Menschen. Offenbar ist hier dieselbe Feedback-Schleife am Werk wie zwischen Mutter und Kind.