Putin lacht über deutsche Sturheit

In einer von russischen Fernsehkanälen live ausgestrahlten Sprechstunde machte Putin den Bürgern Mut gegen die Wirtschaftskrise und lud seine liberalen Kritiker zum Dialog ein

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Es war eine Bürgersprechstunde, die Mut machen sollte. Vier Stunden lang beantwortete Wladimir Putin in seiner heutigen, von russischen Fernsehsendern und Radiostationen live übertragenen Bürgersprechstunde 74 Fragen der Bürger. Insgesamt gingen per Telefon und Internet drei Millionen Fragen ein.

Putin während der "Bürgersprechstunde": Bild: Kreml

Schnell wurde klar: Die Menschen in Russland sorgen sich vor allem um soziale Probleme. Bauern beklagten sich über einen zu niedrigen Milchpreis, die Bauarbeiter des neuen russischen Weltraumbahnhofs Wostotschni über nichtgezahlte Löhne und eine Kriegsveteranin wartete immer noch auf eine eigene Wohnung.

Zwischendurch streute Wladimir Putin Späße ein. Das war auch dringend nötig, denn den Zuschauern wurde einiges abverlangt. Es ging um Wirtschaftspolitik, Sanktionen und den Ukraine-Krieg, also alles keine erfreulichen Themen.

Ein Vierjähriger aus dem Kaukasus wollte per Video-Botschaft wissen, wie lange der Präsident schläft. Er schlafe sehr gerne lang, erklärte der Junge. Darauf Putin ganz locker, "dann wirst du ein gesunder Präsident."

Auf eine weitere Zuschauer-Frage antwortete der Kreml-Chef mit einer Anekdote von einem Treffen mit Gerhard Schröder. "Wir waren einmal vor vielen Jahren in meiner Residenz in der Banja (russisches Dampfbad) und sie brannte. Er hatte sich gerade Bier eingeschenkt. Ich gehe raus und sage ihm: Gerhard, wir müssen hier raus, wir brennen. Er antwortet: Ich gieße nach und wir gehen. Ich sage: Was, bist du verrückt geworden?"

"Zu hohe Löhne"

Putin versprach Einzelpersonen und gesellschaftlichen Gruppen, die in Not geraten sind, Hilfe, und grenzte sich von Forderungen der Liberalen in der russischen Elite ab, die Sozialausgaben des Staates weiter zu kürzen. Der Kreml-Chef erinnerte daran, dass es Jahre brauchte, um die sozialen Folgen der radikalen Ausgabenkürzungen in den 1990er Jahren wieder auszugleichen. Damit war unter anderem das in den 1990er Jahren eingebrochene Geburtenwachstum gemeint, welches erst 2012 wieder anzog.

Einigen Anrufern versprach Putin konkrete Hilfe. Ein schwerbehindertes Mädchen, dass per Video um ein Trainingsgerät bat, darf jetzt ebenso auf Hilfe des Kreml-Chefs hoffen, ebenso wie die 10.000 Weltkriegsveteranen, die nun endlich, die ihnen versprochenen Wohnungen, bekommen sollen.

Russlands Präsident versuchte den Bürgern Mut zu machen. Nach Einschätzung "der Experten" - so Putin - habe Russland den Höhepunkt der Wirtschaftskrise überwunden. Die russischen Banken und Unternehmen hätten ihre Kredite an das Ausland zurückgezahlt. Das Wirtschaftswachstum habe im letzten Jahre bei 0,6 Prozent gelegen. Das sei "kein großes, aber immerhin ein Wachstum". In der Landwirtschaft liege das Wachstum bei 3,7 Prozent. Der Präsident gestand aber ein, dass die Einkommen der Bevölkerung wegen der Inflation von 11,4 Prozent gesunken sind.

Es gäbe allerdings auch hausgemachte Fehler, wie die einseitig auf Gas- und Öl-Förderung ausgerichtete Wirtschaft. Außerdem seien "die Löhne stärker gestiegen als die Produktivität der Arbeit". Deshalb sei "unabhängig von den Sanktionen" der westlichen Staaten "eine Korrektur unausweichlich" gewesen. Er hoffe, dass der Versuch, sich wegen der Sanktionen aus der Importabhängigkeit zu befreien, dazu führt, dass sich die "hochtechnologischen Bereiche der Wirtschaft schneller entwickeln als bisher".

Die (leichte) Erholung des Rubel-Kurses gäbe Anlass zu der Hoffnung, dass die Krise "in weniger als zwei Jahren vorüber ist", erklärte der Kreml-Chef. Der im Dezember bekanntgegebene Rettungsplan für die Wirtschaft, der den Einsatz von 43 Milliarden Euro vorsieht, werde jetzt schrittweise umgesetzt. 16 Milliarden Euro seien allein für die Rettung des Banksektors vorgesehen. Mit 4,7 Milliarden Euro soll die Realwirtschaft unterstützt werden.

Heizt Putin den Nationalismus an?

Wie schon bei vorigen Bürgersprechstunden bemühte sich Wladimir Putin um einen Dialog mit seinen gemäßigten liberalen Kritikern, die im Saal saßen und mit ihren Fragen zu Wort kamen. Der 2011 zurückgetretene Finanzminister Aleksej Kudrin fragte beispielsweise, wann endlich "ein neues Wachstumsmodell" greife, der Chefredakteur von Radio Echo Moskau, Aleksej Wenediktow, forderte Putin auf, die Brücke, auf welcher der liberale Politiker Boris Nemzow Ende Februar erschossen wurde (Nemzow-Mord - gibt es eine rechtsradikale Spur?), in "Nemzow-Brücke" umzubenennen.

Die ehemalige Duma-Abgeordnete (1993 bis 2003), Irina Chakamada, wollte wissen, ob Putin sich dafür einsetzen werde, dass die Oppositionspolitiker Michail Chodorkowski und Aleksej Nawalni bei den Wahlen "zu gleichen Bedingungen" teilnehmen können. Der Chefredakteur der Nesawisimaja Gaseta, Konstantin Remtschukow, schließlich wollte wissen, ob eine stärkere Konfrontation mit dem Westen automatisch ein höheres Rating des Präsidenten und einem Anwachsen von Nationalismus und Ausländerfeindlichkeit zu Folge habe.

Putin antwortete, Patriotismus sei Liebe zur Heimat und etwas völlig anderes als Ausländerfeindlichkeit, gegen die man energisch vorgehe.

Eine bedrückende Stimmung machte sich breit, als einer der beiden Fernsehmoderatoren die Nachricht bekannt gab, dass in Kiew der bekannte oppositionelle Journalist Oles Buzina erschossen wurde. Wladimir Putin erklärte, die Liste der Morde an Oppositionellen in der Ukraine sei lang und die Morde würden nicht verfolgt. Anders sei es in Russland. Der Mord an dem russischen Oppositionellen Boris Nemzow sei "eine Schande" für Russland. In Russland würden derartige Morde aber wenigstens verfolgt. Der Todesschütze von Nemzow sei bereits gefunden, nur die Hintermänner - wenn es sie denn gibt - seien noch nicht ermittelt.

"Wir müssen die Unabhängigkeit der Ukraine achten"

Gegenüber der Ukraine äußerte sich der russische Präsident betont zurückhaltend. Er verneinte die Frage von Chefredakteur Remtschukow, ob in der Ost-Ukraine russische Truppen kämpfen. Putin erklärte Russen und Ukrainer seien eigentlich "ein Volk". Russland habe aber die Ukraine durch die eigene Souveränitätserklärung (12. Juni 1990, U.H.) in die Unabhängigkeit entlassen. "Wir haben die Ukraine von uns befreit. Wir haben das selbst gemacht. Das war unsere Entscheidung. Und weil wir das selbst gemacht haben, müssen wir ihre (die ukrainische, U.H.) Unabhängigkeit achten."

Russland habe "keine imperialen Ambitionen", erklärte der Kreml-Chef, "aber wir können den russischen Menschen, die außerhalb Russlands in den Nachbarstaaten der GUS leben, ein würdiges Leben ermöglichen". Damit spielte der russische Präsident auf die Versuche an, Teile der ehemaligen Sowjetunion in einer Zollunion und der Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft (Mitglieder sind bisher Russland, Weißrussland, Kasachstan und Armenien) zusammenzuführen.