"Hat Scheiße Erfolg, ist Scheiße gut"

Christian Nürnberger über den Zustand der Berliner Republik. Teil 2

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Der Journalist Christian Nürnberger zeichnet in seinem Buch Die verkaufte Demokratie - Wie unser Land dem Geld geopfert wird den mit dem zunehmenden Ungleichgewicht zwischen Kapital und Arbeit verbundenen Niedergang der demokratischen Kultur in Deutschland nach und forscht nach Auswegen aus dem sich abzeichnenden, gesellschaftlichen Desaster. Teil 2 des Gesprächs.

Zu Teil 1

Herr Nürnberger, Sie wollten selber für die SPD 2013 in den Bundestag einziehen, sind auch an der Basis und von der Bevölkerung sehr gut aufgenommen worden, konnten sich aber dann gegen Berufspolitiker und Quotenregelung nicht durchsetzen. Ist dies nicht ein wenig symptomatisch für den Zustand unserer Demokratie?

Christian Nürnberger: Es ist symptomatisch für eine in die Jahre gekommene, verkrustete Parteiendemokratie. Nach dem Grundgesetz sollten Parteien ja nur an der politischen Willensbildung "mitwirken". De facto bestimmen sie allein. Und wer da bestimmt, ist ein kleiner Personenkreis von Berufspolitikern, die schon als Schüler begonnen haben, sich hochzudienen. Im Verlauf ihrer Karriere haben sie dann so viele Kompromisse geschlossen und sind so vielen Leuten und Lobbyorganisationen verpflichtet, dass sie dann, wenn ihre Karriere endlich von einem Ministeramt gekrönt wurde, und sie wirklich die Macht hätten, Dinge zu ändern, von dieser Macht keinen Gebrauch mehr machen können oder auf ihrem Weg nach oben vergessen haben, wofür sie ursprünglich einmal angetreten waren.

Hinzu kommt ein gravierender Nachteil des Berufspolitikers, der darin besteht, dass er zur Sicherung seiner wirtschaftlichen Existenz darauf angewiesen ist, immer wieder gewählt zu werden, und genau dafür muss er 80 Prozent seiner 100-Stunden-Woche einsetzen. Das primäre Ziel der meisten Politiker ist daher schon lange nicht mehr die Gestaltung unserer Zukunft, sondern die Gestaltung ihrer Karriere. Machtgewinnung, Machterhaltung, Machtausbau und Macht um der Macht willen ist das, wofür Politiker vorrangig arbeiten.

Für wie demokratisch halten Sie noch unsere demokratischen Parteien?

Christian Nürnberger: Kommt drauf an, woran man sie misst. Das Ideal, wie es im Lehrbuch steht, besagt ja, dass der mündige Bürger von seriösen Medien so umfassend und objektiv informiert wird, dass er sich ein qualifiziertes Urteil bilden kann und danach die Vertreter wählt, die seinem kritischen Urteil standhalten. Schon an diesem mündigen Bürger mangelt’s. Weil es daran mangelt, mangelt es auch an der Nachfrage nach politischer Information, also liefert die Mehrheit der Medien Seichtes, Belangloses, Unterhaltsames, zieht das Unwichtige nach vorn, das Wichtige nach hinten, oder lagert es aus in Spartenkanäle oder verzichtet ganz darauf oder macht einfach nur Stimmung. Auf Dauer schafft sich auf diese Weise das Unwichtige seine eigene Nachfrage.

Das Ideal besagt weiterhin, dass die Parteien aus ihren Mitgliedern nach offener Diskussion die besten, tüchtigsten und unbestechlichsten als geeignete Kandidaten auswählen und den Wählern präsentieren. Meine Erfahrung war, dass eine Handvoll Funktionäre unter sich ausmacht, wer kandidiert und wer die sicheren Listenplätze bekommt. Die meisten Delegierten, die eigentlich entscheiden sollten, machen das Spiel mit, weil sie selber an ihrer Parteikarriere feilen und bei den Oberen nicht anecken wollen. Hinzu kommt: Nur zwei Prozent der Wahlberechtigten sind Mitglied einer Partei.

Aus diesem kleinen Reservoir wird das Personal ausgewählt, das die Parteien uns dann präsentieren. Und dieses Personal ist teilweise vorselektiert von zahlreichen Lobbygruppen. Politik in der real existierenden Demokratie ist daher immer auch zu einem nicht geringen Teil Klientelpolitik, daher beruht Demokratie zu einem gewissen Teil immer auch auf Stimmenkauf.

Messe ich dagegen unsere bundesdeutsche Demokratie an anderen Demokratien etwa in Süd- und Osteuropa, Asien, Lateinamerika oder den USA, dann schneidet sie relativ gut ab, weil es bei uns weniger Korruption gibt. Die Macht des Geldes schlägt bei uns aufgrund der staatlichen Parteienfinanzierung nicht so durch wie in den USA, wo ein Abgeordneter am Tag nach seiner Wahl mit dem Sammeln von Spenden für die nächste Wahl beginnen muss. Direkten Stimmenkauf gibt es bei uns gar nicht. Dennoch sind wir weit vom Ideal entfernt, und unter den Bedingungen einer globalisierten Machtwirtschaft und der Kompetenzverlagerung von Nationalstaaten nach Brüssel entfernen wird uns derzeit immer weiter.

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