FBI-Haaranalytiker: falsche Zeugen der Anklage

Justizskandal: die US-Bundespolizei lieferte massenhaft falsche Analysen, die eine Verurteilung von Angeklagten begünstigten

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Das reale Ausmaß dieses Justizskandals ist noch kaum abzuschätzen, zahlenmäßig belegt ist nur ein kleiner Ausschnitt: In 257 von 268 untersuchten Gerichtsfällen, von denen bekannt ist, dass die Haaranalysen die Argumente der Staatsanwalt stützten und damit eine Verurteilung der Angeklagten begünstigten, waren die vom FBI vorgelegten belastende forensische Zeugnisse fehlerhaft. Das sind 95 Prozent.

Erst ab dem Jahr 2000 werden die Haaranalysen durch DNA-Tests verlässlicher. Davor bestanden Haaranalysen in mikroskopischen Untersuchungen, die anhand von optischen Klassifikationsmerkmalen, hierarchisiert nach primären und sekundären Kennzeichen, Haare, so gut es ging, von anderen zu unterscheiden versuchten. Dieses forensische Verfahren hatte seine Tücken, wie in Fachberichten1 genau nachzulesen ist; die Haaranalyse ohen DNA-Untersuchung war alles andere als wissenschaftlich. Sehr oft war es Angeberei.

Der eben genannte Bericht des amerikanischen National Research Council stammt auch erst aus dem Jahr 2009. Von 1972 bis 1999 gab es mindestens 2.500 Verfahren, wo FBI-Analytiker dem Gericht Ergebnisse von mikroskopischen Haaranalysen vorlegten. In den anfangs erwähnten 257 Fällen kam der Haaranalyse eine große Rolle zu. Unter den Fällen finden sich 32 Todesurteile, 14 der Angeklagten wurden bereits hingerichtet oder verstarben im Gefängnis, vier Beschuldigte wurden im Nachhinein entlastet.

Wie groß die Ausmaße des Justizskandals sein könnten, zeigt eine weitere Zahl, die in dem Bericht der Washington Post aufgeführt ist, der das "Massendesaster" gegenwärtig der internationalen Öffentlichkeit bekannt macht: von den 28 Haaranalyse-Experten, die beim FBI tätig waren, übertrieben 26 die Beweiskraft und Verlässlichkeit der Analysen. Der heikle Punkt ist: die Kerntruppe der Bundespolizei fungierte als Ausbilder für 500 bis 1.000 weitere Haaranalytiker in anderen staatlichen oder kommunalen Polizeieinheiten.

Ein vollständiger Überblick darüber, wieviele Angeklagte durch fehlerhafte Haaranalyse-Expertisen in falsches Licht gerieten, ist unter anderem deswegen schwierig, weil Gerichtsverfahren vor 1985 nicht in Computer-Datenbanken gespeichert wurden, so die amerikanische Bundespolizei.

Probleme der Verlässlichkeit von Aussagen aufgrund von mikroskopischen Haarvergleichen gab es immer wieder. 2012 entwickelte sich aus einer öffentlichen Empörung heraus, dann die Initiative zu umfassenderen Untersuchungen, deren Zahlen nun veröffentlicht wurden. Wie ein Bericht aus dem Jahr 2012 zeigt, gaben die FBI-Forensiker unglaubliche Wahrscheinlichkeiten für die Richtigkeit ihrer Expertise an. So behauptete ein FBI-Beamter, dass er nur in 8 oder 10 Fällen in den letzten zehn Jahren Haare unterschiedlicher Personen nicht von einander unterschieden konnte.

Staatsanwälte machten sich diese Übertreibungen zueigen. Unter 10 Millionen gebe es vielleicht einen Fall, wo man Haarproben nicht voneinander unterscheiden könne, wird aus einem Schlussplädoyer zitiert. Erst 2009 räumte der Chef des FBI-"Hair teams" ein, dass sie die Frage, wie häufig sich Haare unterschiedlicher Personen dem Erscheinungsbild nach gleichen können, nicht beantworten können. Zuvor hatte man dürftige Statistiken zurechtgelegt, um den Ganzen einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben.

Dass sich Richter und Staatsanwälte solchen "gerichtsmedizinischen Expertisen", wonach dieses oder jenes Haar, am Tatort gefunden unzweifelhaft dem Angeklagten zuzuschreiben ist, gegenüber sehr bereitwillig gezeigt haben, sind viele Unschuldige ins Gefängnis gekommen, wie dies auch erste Entlastungen von Beschuldigten andeuten. Das Problem ist, dass zwar die Beweislage für eine Verurteilung sehr dünn sein kann, die Hürden für eine Wiederaufnahme aber sehr groß und aus dicken Brettern.