"Gene drive": Erst Fakten schaffen, dann diskutieren?

Schon bald könnte es möglich sein, das Erbgut freilebender Tiere zu verändern. Wie involviert man eine desinteressierte Öffentlichkeit in die Diskussion um Nutzen und Risiken?

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Gentechnisch manipulierte Mücken sollen die Ausbreitung von Malaria eindämmen, indem sie das Erbgut wildlebender Artgenossen verändern. Dank einer neuen Methode könnte bereits Ende dieses Jahres ein geeigneter Mücken-Stamm verfügbar sein. Setzt dieser Schritt eine längst überfällige öffentliche Diskussion in Gang? Oder erhöht er nur die Gefahr, dass sich die Methode unkontrolliert verbreitet? Wissenschaftler streiten um den richtigen Kurs.

"Mutagene Kettenreaktion" - bereits der Name deutet an, dass diese Methode Ereignisse in Gang setzt, die rasch außer Kontrolle geraten können. Es handelt sich dabei um eine genetische Manipulation von Fruchtfliegen, die effizient von einzelnen Tieren auf den ganzen Schwarm überspringt. Und das innerhalb kurzer Zeit: Ein manipuliertes Tier unter hundert Fliegen genügt, um nach zehn Generationen die gesamte Population zu verändern. Und sie funktioniert vermutlich auch in freier Natur.

Die Mücke Anopheles stephensi ist eine der Arten, die Malaria übertragen. Bild: CDC

Damit sind Forscher auf gutem Weg, bald einen "gene drive" verwirklichen zu können - den Austausch von Genen in einer wildlebenden Population. Die Folgen für die Umwelt wären schwer abschätzbar. Und so haben führende Wissenschaftler bereits im Juli letzten Jahres zu großer Vorsicht aufgerufen ("Gene drive" - ein Eingriff in das Erbgut frei lebender Organismen). Gefordert wurden ein behutsame Entwicklung der Methode, der Einbau von Kontrollpunkten und die Vorbereitung von Maßnahmen, die im schlimmsten Fall eine Rücknahme der genetischen Manipulationen erlauben. Und auch die Öffentlichkeit wurde in die Pflicht genommen: Sie soll sich an der Diskussion über Nutzen und Risiken beteiligen.

Dieser Appell könnte schon bald Makulatur werden. Die mutagene Kettenreaktion, entwickelt von den US-Forschern Valentino Gantz und Ethan Bier an der University of California in San Diego, kommt zumindest theoretisch der Umsetzung eines "gene drive" sehr nahe (Gantz und Bier, Science, März 2015: The mutagenic chain reaction: A method for converting heterozygous to homozygous mutations). Die Forscher benutzten daher auch strengste Sicherheitsmaßnahmen, um ein Entweichen der genmanipulierten Fliegen in die Umwelt zu verhindern. Die Methode selbst machten sie jedoch uneingeschränkt öffentlich: Die Publikation im renommierten Science-Magazins enthält alle Anweisungen und Protokolle, die eine einfache Reproduktion erlauben.

Die mutagene Kettenreaktion ist so effizient, weil sie mit den Regeln der Mendelschen Vererbung bricht. Sie führt ein genetisches Element in das Erbgut ein, das nicht nur passiv weiter vererbt wird, sondern sich aktiv und zielgerichtet ausbreitet. So hat eine Manipulation des mütterlichen Chromosoms zur Folge, dass bei den Nachkommen auch das entsprechende Gen auf dem väterlichen Chromosoms verändert wird. Damit kann sich das genetische Element innerhalb kürzester Zeit durchsetzen - selbst wenn es dem Organismus nur Nachteile bringt. In den Händen der kalifornischen Forscher funktioniert dies fast perfekt: In den Nachkommen von genmanipulierten Weibchen hatte sich das genetische Element zu 95-100 Prozent durchgesetzt.

Ein Schritt zu weit?

Für die praktische Umsetzung eines "gene drive" sind Fruchtfliegen nur von geringem Interesse, Mücken hingegen sind es umso mehr. Seit langem arbeiten Forschergruppen auf der ganzen Welt daran, mit genmanipulierten Mücken die Verbreitung von Malaria einzudämmen. Eine führende Rolle spielt dabei Anthony James an der University of California in Irvine. Im Science Magazin zeigte er sich begeistert von der mutagenen Kettenreaktion. Und er verkündete, dass er bereits eine Kooperation mit der Forschergruppe von Ethan Bier eingegangen ist. Ende des Jahres, so hoffen die Wissenschaftler, könnten bereits die ersten Resultate vorliegen.

Noch ist das Ziel nur die Erzeugung der genmanipulierten Mücken, nicht deren Freisetzung. Dennoch warnt der Genom-Pionier George Church, einer der treibenden Kräfte hinter dem mahnenden Appell vom Juli, im Science-Magazin: "Das ist ein Schritt zu weit" (J. Bohannon, Science, März 2015: Biologists devise invasion plan for mutations). Denn eine wesentliche Forderung des Appells wurde ignoriert: Bei der mutagenen Kettenreaktion sind noch keine Kontrollen eingebaut, die eine ungewollte Ausbreitung verhindern oder gar rückgängig machen könnten.

Zudem bemängelt Church, dass die technischen Details der Methode so frei zugänglich sind. Im Vergleich zu manchen älteren Ansätzen ist die mutagene Kettenreaktion einfach zu realisieren, und entsprechend ausgerüstete Labors können sie schnell kopieren. Eine Kontrolle ist damit kaum möglich, eine ungehinderte Verbreitung kann nur schwer verhindert werden. Die Methode kann daher auch in Labors zur Anwendung kommen, deren Sicherheitsstandards deutlich niedriger liegen oder denen die nationale Gesetzgebung mehr Freiheiten erlaubt.

Anthony James reagierte verärgert auf diese Kritik. Mit Geheimhaltung sei wenig gewonnen, sagte er dem Science-Magazin, und dann weiter: "Es geht darum zu zeigen, dass es möglich ist und dass wir eine öffentliche Diskussion führen." Und auf diesem Gebiet hat James durchaus Erfahrung. Bereits vor vier Jahren führte er in Mexiko Versuche mit gentechnisch veränderten Mücken in freistehenden Käfigen aus, und er hat dabei die Notwendigkeit der Kommunikation mit der Öffentlichkeit deutlich betont und auch selbst praktiziert (Ramsey et al., PLoS Neglected Tropical Diseases, März 2015: A Regulatory Structure for Working with Genetically Modified Mosquitoes: Lessons from Mexico).

Ohne Fakten keine Diskussion?

Tatsächlich ist es denkbar, dass eine öffentliche Diskussion erst dann in Gang kommt, wenn es einen konkreten Anlass gibt. Eine theoretische Methode, deren Auswirkungen nur Experten auf Anhieb einschätzen können, ist wohl zu weit vom Alltag entfernt, um in der Öffentlichkeit großes Interesse hervorzurufen. Ein offensives Vorgehen, das erste Fakten schafft (auch wenn diese sicher noch auf Jahre hinaus aufs Labor beschränkt bleiben), könnte ein Ansatzpunkt sein, an dem sich eine Diskussion festmacht. Erkauft wird dies allerdings mit der Gefahr, dass Methoden in Umlauf geraten, deren Auswirkungen nicht wieder zurückgenommen werden können.

Der behutsame Ansatz, den George Church und viele Kollegen vertreten, erscheint auf den ersten Blick vernünftiger. Auch oder gerade weil er größere Hürden aufbaut und die freie Verbreitung von Methoden - eigentlich ein Grundpfeiler der Wissenschaft - einschränkt. Allerdings bleibt dadurch auch die Gefahr abstrakt. Die acht Monate, die seit der Veröffentlichung des Aufrufs vergangen sind, dokumentieren deutlich die fast zwangsläufige Konsequenz: Das öffentliche Interesse an einer Diskussion tendiert gegen Null.

Soll sich die Wissenschaft zurückhalten, um Raum für eine öffentliche Diskussion zu lassen? Oder ist es gerade der freie Lauf der Wissenschaft, der diese Diskussion herbei zwingt? Die Antwort fällt schwer. Sicher ist jedoch, dass wir der Verwirklichung des "gene drive" ein gutes Stück näher gekommen sind - und dass eine öffentliche Diskussion so weit entfernt scheint wie zuvor.