Europol will Quasi-Geheimdienst werden

Zwei EU-Agenturen wollen mehr sensible Daten verarbeiten. Aus den Mitgliedstaaten angelieferte Informationen könnten mit neuen Analyseverfahren durchforstet werden

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Die Polizeiagentur Europol will zukünftig geheimdienstliche Informationen ("intelligence data") speichern und analysieren. Dies geht aus einem von ihr selbst verfassten Papier hervor, das die britische Bürgerrechtsorganisation Statewatch nun veröffentlicht hat. Demnach sollen Informationen auch mit Geheimdiensten getauscht werden. Auf diese Weise will Europol "zentrale Nachrichtenlücken" ("key intelligence gaps") schließen.

Bislang darf die Agentur nur polizeiliche Informationen analysieren und speichern. Europol betreibt hierzu in Den Haag das "Europol Information System" (EIS). Alle aus den Mitgliedstaaten eingehenden Informationen werden sofort mit dort vorhandenen Einträgen abgeglichen. Die angeschlossenen Kriminalämter der Mitgliedstaaten können das EIS auch selbst abfragen.

Europol-Zentrale in Den Haag. Bild: JurgenNL/CC-BY-SA-3.0

Verarbeitet werden beispielsweise Namen, Telefonnummern, Mailadressen und Mails, DNA-Daten oder Informationen aus der Internetauswertung. Bei Europol sind auch rund 20 Analyseprojekte zu unterschiedlichen Themen angesiedelt, die jeweils über eigene Datensammlungen verfügen. Auch diese werden bei jeder Datenlieferung automatisch abgefragt. Europol schlägt vor, dass der Zugriff auf weitere nationale Anti-Terror-Einheiten ausgeweitet werden könnte. Welche Behörden konkret gemeint sind, bleibt aber offen.

Alltägliche Rasterfahndung

In jüngster Zeit hat Europol beträchtlichen Kompetenzzuwachs bekommen. So soll die Agentur die aufgebohrten Kontrollen an den EU-Außengrenzen durch "individuelles Profiling" unterstützen (Bundesregierung will mehr Kontrollen bei Einreisen aus "Risiko-Destinationen"). Zur rückwirkenden Analyse verdächtiger Finanzströme will Europol ein neues Echtzeit-System für Benachrichtigungen einführen. Europols Datenbestände würden auch an das neue EU-Register für Passagierdaten gekoppelt. Ein bei Europol bereits vorhandenes Informationssystem soll hierfür alle nationalen "Passenger Information Units" der Mitgliedstaaten vernetzen.

Um Synergien vorhandener Datenzugriffe zu erzielen, sollen einige Datenbanken zukünftig sogar automatisiert durchforstet werden. Außer Europols Datenbanken könnten auf diese Weise das Schengener Informationssystem und die Analysedatei "Ausländische Kämpfer" verknüpft werden. Auch die derzeit errichtete "Hinweisstelle" für unliebsame Internetinhalte könnte angebunden werden (Wie das BKA das Internet säubern will). Damit diese alltägliche Rasterfahndung dem Datenschutz genügt, will Europol die verarbeiteten Informationen soweit möglich anonymisieren.

Europol begründet seine Vorschläge mit Aufforderungen des Rates, seine Anstrengungen zum Informationsaustausch unter den Mitgliedstaaten zu verstärken. Derartige Formulierungen finden sich seit 9/11 in vielen Ratsdokumenten. Zuletzt hatte der Rat Mitte März ein solches Papier veröffentlicht. Auch in den Beschlüssen zur Einrichtung des Schengener Informationssystems, des SWIFT-Abkommens oder Abkommen zum Tausch von Fluggastdaten finden sich Formulierungen zur Verarbeitung von "intelligence data".

Keine einheitliche Definition für den Begriff "intelligence data"

Nur eine Woche nach dem Europol-Papier hat auch die Agentur Eurojust einen offensichtlich abgestimmten, gleichlautenden Vorschlag zur Verarbeitung von "intelligence data" gemacht. Europol und Eurojust machen sich mit dem neuen Vorschlag den Umstand zunutze, dass es keine einheitliche Definition für den Begriff "intelligence data" gibt. Nicht in allen EU-Mitgliedstaaten existieren wie in Deutschland (zumindest auf dem Papier) getrennte Sphären von Inlandsgeheimdienst und Kriminalpolizei.

Als "Intelligence Analysis Centre" (EU INTCEN) unterhält die Europäische Union in Brüssel zwar selbst einen kleinen Geheimdienst. Von der EU-Kommission als "nachrichtendienstliches Drehkreuz" bezeichnet, handelt es sich aber um eine eher mickrige Einrichtung mit einigen Dutzend Angestellten. So darf das INTCEN keine eigenen Agenten führen und ist stattdessen auf Lageberichte aus den Mitgliedstaaten angewiesen. Allerdings wird das INTCEN mit hochwertigen Daten aus der Satellitenaufklärung versorgt.

Mit dem "EUMS INT Direktorat" existiert eine ähnliche militärische Struktur, die als "Nachrichtenwesen des Militärstabs" bezeichnet wird. Mitunter arbeiten INTCEN und EUMS INT im analytischen Bereich zusammen (EU-Mitgliedstaaten beschließen Hilfe bei politischen Krisen und Terroranschlägen).

Vorratsdatenspeicherung zu "ausländischen Kämpfern" wächst weiter

Europol wünscht sich auch den Ausbau zu einem EU-Anti-Terror-Zentrum nach deutschem Vorbild. Dort könnten abgeschottete, abhörsichere Hochsicherheitstrakte eingerichtet werden. Dies wäre nötig, um die Anforderungen für die Verarbeitung als vertraulich oder geheim eingestufter Informationen zu erfüllen. Europol will hierfür zur zentralen Schaltstelle für die Mitgliedstaaten heranwachsen.

Das von Statewatch online gestellte Europol-Papier enthält auch interessante Zahlen zu europäischen Datensammlungen. So habe das SWIFT-Abkommen mit den USA zu insgesamt 7.300 "geheimdienstlichen Hinweisen" ("intelligence leads") durch US-Behörden geführt. Das Phänomen "ausländische Kämpfer" führte demnach zu einer rasanten Zunahme von Hinweisen aus den USA. Eine eigens zu "ausländischen Kämpfern" eingerichtete Vorratsdatenspeicherung wuchs seit Januar 2013 auf mittlerweile 3.600 gespeicherte Personen an. 60% der Daten seien aus nur fünf Mitgliedstaaten zugeliefert worden.