Parallelwährung zur Grexit-Vermeidung?

Offenbar setzt sich nun die Meinung durch, dass die Folgen des Griechenland-Rauswurfs doch unabsehbar sind

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Wie aus diversen Quellen zu vernehmen ist, bereitet die Europäische Zentralbank (EZB) schon eine Parallelwährung für Griechenland vor oder denkt zumindest darüber nach, um ein Ausscheiden aus dem Euro zu verhindern. Zwar hatte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble lange so getan, als sei der Grexit längst kein Problem mehr, doch viele Experten schließen sich eher der Meinung von Janis Varoufakis an. Der hat in Spanien gerade vor einem gefährlichen "Spiel mit dem Feuer" gewarnt. Griechenland mobilisiert derzeit alle Reserven, um eine Staatspleite weiter zu verschieben und Zeit zu gewinnen.

Mit sehr klaren Worten hatte die EU-Kommission zuletzt auf die Grexit-Debatte geantwortet, die von Schäuble immer wieder angestoßen wurde. Seit Jahren behauptet der deutsche Finanzminister, mit wachsender Vehemenz, ein Euro-Austritt Griechenlands sei verkraftbar. Als er zum Jahreswechsel, vor den Wahlen in Griechenland und dem sich abzeichnenden Sieg von Syriza, die Debatte wieder befeuerte, sah sich Brüssel zum Handeln gezwungen. Dabei behauptete die EU-Kommission sogar, dass nicht einmal ein freiwilliger Ausstieg aus dem Euro möglich sei. "Die Mitgliedschaft im Euro ist unwiderrufbar", ließ Brüssel verkünden, um der gefährlichen Debatte ein Ende zu setzen.

Auch damals warnten Kritiker vor verheerenden Folgen, denn das sei die Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers nur "im Quadrat". Offensichtlich ist das Feuer aber noch immer nicht restlos ausgetreten, mit dem der Bundesfinanzminister spielt. Die warnenden Stimmen werden aber stärker und es wird immer klarer, dass schon konkret daran gearbeitet wird, wie Griechenland trotz einer Pleite im Euro gehalten werden kann. Die Mahner kommen nun auch aus dem Sektor, dem die Bundesregierung sonst blind vertraut und auf dessen Mist die Rezepte gewachsen sind, die Griechenland besonders tief in den Abgrund geführt haben.

Zu einem möglichen Grexit erklärte der Europa-Chef beim Internationalen Währungsfonds (IWF) in einem Interview: "Die Folgen wären traumatisch." Poul Thomsen weiß, wovon er spricht. Er war lange Mitglied der Troika aus IWF, EZB und EU-Kommission und Chefinspekteur des IWF. Seine Daten führten unter anderem zum "mea culpa" des IWF in Bezug auf Griechenland und die Austeritätspolitik. Denn der IWF musste schließlich einräumen, dass die Wirkungen der Programme auf Wachstum und Arbeitslosigkeit massiv unterschätzt, aber die Schuldentragfähigkeit völlig überschätzt wurde (Griechenland-Kurs lässt es in der Troika krachen). Damit sind die Schulden des Landes, trotz Schuldenschnitt, nicht in Richtung 120% der Wirtschaftsleistung gesunken, sondern sind inzwischen auf einen neuen Rekord von 176% angestiegen. Das Ergebnis fällt also auch unter die Verantwortung der EU-Staaten, die Griechenland die Rezepte für ein Desaster aufgezwungen haben.

Der Grexit wäre "ein Trauma für die Euro-Zone"

Da die Troika seit Jahren dem Land die Maßnahmen aufzwingt, ist auch sie für die "Erfolge" dieser Politik mitverantwortlich. Ohnehin war lange und mit klaren Worten davor gewarnt worden. Und gerade hatte der Ökonomie-Nobelpreisträger Paul Krugman davor gewarnt, dass der Grexit sich als "Hölle" herausstellen werde. Das bliebe abzuwarten. Da Krugman mit seinen Vorhersagen aber richtig lag, als er vor einer "verrückten" Politik warnte und mit seinem Kollegen Joseph Stiglitz "katastrophale Folgen" prophezeite, sollte man ihnen vermutlich eher glauben als Schäuble.

Krugman und Stiglitz stehen längst nicht mehr allein. Auch der IWF-Mann Thomsen warnt vor einer Zuspitzung der Katastrophe, wenn mit dem Grexit "die Euro-Zone als Klub betrachtet würde, in den man ein- und austreten kann, wie man will". Dadurch könnten auch weitere Zweifel am Verbleib anderer Staaten aufkommen. Der französische Notenbankchef Christian Noyer stimmte im "Le Figaro" ebenfalls in den Chor ein. Der Grexit wäre "gewiss ein Trauma für die Euro-Zone". Der "Schock" würde allgemeine Risiken mit sich bringen. Die Wirkungen wären, wie bei jeder Erschütterung, auch in der Weltwirtschaft spürbar, fügte Noyer an. Dagegen könne sich niemand wirklich adäquat wappnen. Damit drückte sich das EZB-Ratsmitglied sogar noch zurückhaltend angesichts der Tatsache aus, dass der Zusammenbruch einer einzigen US-Investmentbank zu heftigen Verwerfungen in der Weltwirtschaft geführt haben, die bis heute noch deutlich überall zu spüren sind.

Und so ist offensichtlich, dass sich die Position Schäubles oder Deutschlands isoliert und nicht die Griechenlands. In einem sehenswerten Interview machte der griechische Finanzminister Janis Varoufakis gegenüber dem katalanischen Journalisten Jordi Évole mit einfachen Worten klar, worin konkret die Gefahren liegen. "Jeder, der mit der Idee spielt, man könne einen Teil mit der Hoffnung aus der Euro-Zone abtrennen, dass der Rest das überleben wird, spielt mit dem Feuer", sagte der griechische Finanzminister gegenüber dem TV-Sender "La Sexta".

Wie in seinem Buch zur Krise, das er mit Blick auf seine Tochter mit einfachen Worten verfasst hat, erklärte er, dass dies zu einem Domino-Effekt führen dürfte. Und schon bevor es Thomsen vom IWF erklärte, machte der Grieche eines deutlich: "Wenn sich die Idee bei Leuten festsetzt, dass die Währungsunion nicht für die Ewigkeit ist, beginnt die Spekulation." Es käme die Frage auf: "Wer ist der nächste Kandidat?"

Und die stehen ja praktisch schon Gewehr bei Fuß. Denn meist bleibt beim alleinigen Schielen auf die Staatsverschuldung unbeachtet, dass die Gesamtverschuldung Portugals und Irlands sogar noch deutlich höher als die Griechenlands ist. Das große Spanien nimmt direkt den Rang hinter Griechenland ein (Die EZB-Geldschwemme pulverisiert die Risikoaufschläge). Das Land bekommt weiter sein hohes Defizit nicht in den Griff. Es lag 2014 bei 5,8% und wurde nur noch von Zypern übertroffen, meldet Eurostat heute. Griechenland hat es dagegen fast schon wieder auf die Stabilitätsmarke von 3% gedrückt und liegt mit 3,5% nur noch knapp darüber.

War es nicht genau Bundeskanzlerin Angela Merkel, die mit Blick auf die Spekulanten in der Euro-Krise immer wieder beschworen hat, dass Griechenland im Euro bleiben werde? Angeblich war und ist die gesamte EZB-Politik mit ihrer Nullzinspolitik und dem umstrittenen Ankauf von Staatsanleihen neben Wirtschaftsförderung auch darauf ausgerichtet, ein klares Signal gegenüber den Spekulanten zu setzen. Und so erklärt Varoufakis einfach, was es bedeutet, wenn die Spekulation darauf beginnt, ob weitere Staaten aus dem Euro ausscheiden oder ausscheiden müssen. Das viele Geld für massive Spekulation stellt die EZB zudem über die Geldschwemme gerade bereit. "Früher oder später werden die Zinsen steigen, die politischen Spannungen zunehmen und es zur Kapitalflucht kommen." Es ist dann keine Frage mehr, was mit den Ländern geschieht, die von Irland über Italien und Spanien bis nach Portugal nun längst an der Geldspritze der EZB hängen. Ließe man die Frage offen, ob ein Land aus der Euro-Zone ausscheidet, dann sei das "zersetzend für jede Währungsunion", so Varoufakis.

"Szenarien für den Fall einer Staatspleite"

Es ist daher nicht mehr so verwunderlich, wenn sich die Meinung durchsetzt, dass der Grexit sehr wohl unabsehbare Folgen hat und weshalb auch der Europa-Chef des IWF nun eine Lösung im Streit mit Griechenland angemahnt hat. Griechenland habe vielleicht noch Geld bis Juni. Da die Tilgungslasten hoch seien, die auf das Land zukämen, erklärte Thomsen: "Wir brauchen vorher eine Einigung, damit weitere Hilfskredite ausgezahlt werden können." Und auch der Franzose Noyer meinte, dass man sich mit Griechenland dringend auf ein Programm einigen müsse, um Vertrauen zurückzugewinnen.

Angesichts dieser Entwicklung sind Meldungen glaubhaft, die besagen, dass in der EZB, in der Noyer Ratsmitglied ist, an einem Programm gearbeitet wird, um die Mitgliedschaft im Euro von Griechenland sogar in dem Fall zu sichern, dass das Land in die Zahlungsunfähigkeit gerät. So berichtet die Nachrichtenagentur Reuters nicht nur, dass nach Angaben von Thomsen die Verhandlungen mit Griechenland "eine gute Entwicklung" nehmen würden und es "Anlass zur Hoffnung" gäbe, sondern auch, dass die EZB schon "Szenarien für den Fall einer Staatspleite" durchspiele.

Als ein Szenario wird die Ausgabe einer Art "Parallelwährung" genannt. Andere Quellen beheupten allerdings, dass dieses Szenario nicht nur durchgespielt wird, sondern dass sich die EZB in Frankfurt schon konkret darauf vorbereite. Denn Griechenland benötige schnell Geld, um die Löhne der Staatsangestellten und die Renten bezahlen zu können. Und wenn die Regierung die bald nicht mehr in Euro bezahlen könne, dann soll sie die vorübergehend Schuldscheine ausgeben. Die EZB denke über diese "virtuelle Währung innerhalb des Euro-Blocks" nach.

Das werde seit Wochen in verschiedenen Kreisen debattiert, auch die griechische Regierung sei nicht abgeneigt, meldet die spanische Tageszeitung "El Mundo" heute. Bei einer Zahlungsunfähigkeit würden die Banken in Griechenland zusammenbrechen, deshalb wäre die Regierung zur Bezahlung von Renten und Gehältern über Schuldscheine gezwungen. Über die virtuelle Parallelwährung würde der Geldkreislauf aufrechterhalten. Auch Nobelpreisträger Christofer Pissarides brachte bereits eine Parallelwährung für den Notfall ins Spiel.

Seit längerem wird auch darüber berichtet, dass selbst in der Bundesregierung schon über einen solchen Plan debattiert wird. Der habe zum Ziel, die Banken über das Parallelwährungsmodell nach einer Staatspleite zu sanieren oder von anderen Banken in Europa übernehmen zu lassen. Dass der CDU-Wirtschaftsrat diese Variante ebenfalls gerade in die Debatte geworfen hat, bestätigt, dass in diese Richtung längst in Berlin überlegt wird.

Allerdings gibt es auch Gegenbewegungen. So hat der Verfassungsrechtler Markus Kerber der EZB mit einer Untätigkeitsklage gedroht, weil sie die griechischen Banken mit immer mehr Notkrediten versorge, die vermutlich längst insolvent seien. Der Finanzprofessor hat sich in einem Schreiben an die EZB gewandt und forderte die Bankenaufsicht bei der EZB zum Einschreiten auf. Der Umfang der Notfallkredite wird dabei auf 74 Milliarden Euro beziffert. Allerdings sprach das EZB-Ratsmitglied Noyer gerade schon von 110 Milliarden. Und wenn die EZB den Geldhahn für griechische Banken abdreht, dann können diese dem Staat keine Anleihen mehr abkaufen, damit stünde die Zahlungsunfähigkeit wohl schnell bevor.

Angesichts der Zuspitzung, und um Zeit für Verhandlungen oder neue Geldgeber (vielleicht auch in Russland oder China) zu finden, hat die griechische Regierung alle Kommunen, Institutionen und Staatsbetriebe verpflichtet, Geld in den Kassen an die griechische Notenbank zu überweisen. Ausgenommen sind davon nur Beträge, die in den nächsten 15 Tagen von den entsprechenden Institutionen oder Betrieben gebraucht werden. Damit soll gesichert werden, dass auch fällige Zahlungen an den IWF in der kommenden Woche geleistet werden können, womit die Staatspleite verschoben würde. Damit wird eines der Ultimaten umschifft, das die EU zur Einigung am 24. April gesetzt hatte. Weil derweil davon ausgegangen wird, dass die Griechen erneut die Gläubiger bedienen und die Löhne und Renten bezahlen können, gilt nun der 11. Mai als neue "letzte Frist".

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