Nichts ist unpolitisch

Oder: Die Rückkehr des Comic Approval Codes?

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Das Desaster rund um eine Comicausstellung in Calgary ist Symptom für eine zunehmende Politisierung aller Lebensbereiche - mit unangenehmen Folgen gerade für Pop- und Comickultur.

Die Calgary Expo ist eine in Calgary stattfinde Comic Con, eine Ausstellung mit Diskussionsrunden und mehr. Und sie hat ein Imageproblem, seit die Repräsentanten der Honey Badger Brigade aus derzeit nicht nachvollziehbaren Gründen aus ihrem Verkaufsstand geleitet und von weiteren Expos verbannt wurden.

Die Schilderungen darüber, warum dies geschah, gehen weit auseinander - der Veranstalter spricht von Sicherheitsproblemen, die HBB von eine Reaktion auf eine Meinungsverschiedenheit mit Diskussionsrundenteilnehmern bezüglich der "Damsel in Distress"-Klischees in Comics. Diese Klischees, die Frauen stets als arme Geschöpfe in Nöten zeigen, sind (genau wie allzu offenherzige sowie allgemein stereotype Abbildungen von Frauen) in der letzten Zeit von Vertretern des Feminismus unter eine Art medialen Dauerbeschuss genommen worden.

Green Arrow Cover (vol. 5) #17 (Februar 2013) Bild: Andrea Sorrentino/DC Comics

Ohne auf den konkreten Fall näher einzugehen (weil hier noch zu viele Fragen offen sind und dies Stoff für einen eigenen Artikel wäre), ist dies ein Beispiel dafür, wie gerade auch die Pop- und Comickultur zunehmend ins Kreuzfeuer der Ideologien gerät. Die teilweise nur noch freundlich ausgedrückt Kritik zu nennenden Kommentare bezüglich der Abbildungen von Frauen, der ggf. zu Gewalt, Sexismus, Rassismus, Drogenkonsum usw. auffordernden Texte, Bilder oder Videos lassen Erinnerungen an jene Zeit aufkommen, in der sich gerade auch die Comicindustrie einem Codex unterwerfen musste, der sie stark reglementierte.

Der Codex, dem sich die Comicindustrie nur bedingt freiwillig unterwarf, bedeutete nicht nur Regelungen in Bezug auf die Darstellung nackter Haut. Ebenso tabu waren Sex, Drogen oder "unanständige" Bilder von Frauen. Als Ergebnis dieser Vorschrift mutierte beispielsweise Superman zum Ehemann, dessen Frau Lois Lane im braven Kleid mit dem Braten auf ihn wartet.

Das Thema Drogen musste komplett ausgespart werden, weshalb DC Comics eine Bearbeitung der Drogenproblematik des Mündels von Grüner Pfeil gar nicht auf den Markt zu brachte. Erst der Erzrivale Marvel wagte es, einen Comic herauszugeben, der Drogen behandelte und ohne das Siegel der Comic Code Authority auskommen musste. Dieses Wagnis brachte die Comicverlage dazu, sich gegen den Codex aufzulehnen und die strengen Regelungen zu lockern.

Am Beispiel der Drogen zeigt sich besonders gut, wie absurd manche Regelungen waren - denn Drogen durften auch dann nicht behandelt werden, wenn sich der Kontext gegen Drogengebrauch richtete. Doch auch die anderen Regelungen waren grotesk starr: z.B. das Verbot der Abbildung von Vampiren, Werwölfen, Ghouls und Zombies, verborgener Waffen und Entführungen, Verführungen, Vergewaltigungen, Sadismus und Masochismus. Liebesbeziehungen sollten die Glückseligkeit der Ehe darstellen, Leidenschaft war als Trigger für niedere Emotionen tabu.

Es ist wenig Phantasie notwendig sich vorzustellen, wie sehr diese Regelungen das Comicgenre beeinflussten (bzw. daran hinderten, sich weiterzuentwickeln). Viele heutzutage als "Meilensteine" geltende Comics wären zu jener Zeit nicht möglich gewesen, weil die Ansicht herrschte, dass die Comics, die den Regeln nicht entsprechen, einen verwerflichen Einfluss auf Kinder und Jugendliche haben würden.

Die Argumentation, dass Filme, Texte, Videos oder Bücher die Kinder verrohen würden, ist nicht neu, wird jedoch regelmäßig wiederholt und findet sich in immer wieder neuen Gewändern wieder. Doch die Popkultur sieht sich nicht nur in Bezug auf den Jugendschutz einem seit einigen Jahren zunehmenden neuen Tabudruck ausgesetzt, der sich nicht nur auf Kritik reduziert, sondern in Ton und Schärfe zugenommen hat.

Es wäre durchaus legitim, Kritik zu üben und diese zu formulieren - doch nicht selten wird sofort gefordert, dass manche Meinungen, Texte, Videos, Bilder keine Plattform mehr bekommen oder aber die Berichterstattungen über sie nur noch in eine Richtung gehen dürfen. Diese Wünsche waren es, die einst zu Schritten wie der Comic Code Authority führten und die für lange Zeit zu einer Zensur und einer an die Leine gelegten Phantasie führten. Es wäre bedauerlich, wenn diese Zeiten wiederkehren würden.