Patriots für den Himmel über Polen

Die polnische Regierung baut das schon länger geplante und gegen Russland gerichtete Raketenabwehrsystem auf

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In Polen ist die "konzeptionell-analytische Phase" vorüber: Die Regierung in Warschau hat sich entschlossen, amerikanische Patriot-Raketen im Wert von 25 Milliarden Zloty (6,5 Milliarden Euro) vom US-Rüstungskonzern Raytheon zu kaufen.

Staatspräsident Bronislaw Komorowski erklärte zwar in einer Presseerklärung am Dienstag, der Vertrag über das Mittelstrecken-Flugabwehrsystem werde im Mai mit den USA verhandelt, doch nach Einschätzung der polnischen Medien gilt der Kauf als sicher. Die Verlautbarung kam aufgrund der Ukrainekrise früher als ursprünglich zustande. Vielleicht wollte Komorowski vor den Präsidentschaftswahlen am 10. Mai ein militärpolitisches "Zeichen setzen".

In den nächsten Jahren soll mit der Anschaffung von mobilen Raketen-Batterien für das polnische Flugabwehrsystem "Wisla" (Weichsel) begonnen werden. Mit im Verkaufspaket ist Nachschub im Ernstfall - sollte das Land angegriffen werden, so werden Patriot-Raketen aus anderen europäischen Ländern innerhalb von 48 Stunden nach Polen gebracht.

Patriot-System. Bild: US Army

Ein Raketenschild für Polen ist schon seit 2006 im Gespräch. Damals drängte der amerikanische Präsident George W. Bush auf eine Stationierung, um mögliche Langstreckenraketen auf ihrem Flug vom Iran Richtung USA vom Himmel zu holen. Der Irak-Krieg-Alliierte Polen schien damals dafür der geeignete Partner.

In Polen sah man jedoch von Anfang an die US-Raketentechnik als eine Art Abschreckung gegen Russland - und so wurde und wird dies im Kreml ebenfalls gedeutet. Der damalige Premier Donald Tusk konnte im Sommer 2008 einen politisch-militärischen Beistandsvertrag mit den USA aushandeln. In Silos sollten nahe der nordpolnischen Stadt Slupsk (deutsch Stolp) zehn Ground-Based-Interceptor-Raketen auf Interkontinental-Raketen lauern, die Richtung USA fliegen. 500 US-Soldaten sollten vor Ort stationiert werden. Eine Radar-Anlage war für einen Standort in Tschechien geplant.

Donald Tusk verband seine persönliche Glaubwürdigkeit mit diesem Projekt - in einer über vier Stunden langen Sitzung im mit besorgten Bürgern überfüllten Theater von Slupsk musste er vor allem gegen die Ängste vor einem russischen Gegenschlag anreden, vom Iran war kaum die Rede. Seine These, dass Slupsk durch die Stationierung "die sicherste Stadt Polens" werde, glaubt ihm das Gros der Versammelten nicht.

Durch Obamas Strategiewechsel, der demokratische Präsident ließ das kostenaufwändige Projekt seines republikanischen Vorgängers 2009 wieder fallen und wandte sich von Europa ab, erlitt Tusk einen Glaubwürdigkeitsverlust. Dieser Gesinnungswandel aus Washington trug entscheidend zu einem Abkühlen der Beziehungen beider Länder bei.

Patriot-Batterien bei Gaziantep in der Türkei. Bild: US Army

In Morag (deutsch Morungen) nahe der Grenze zu Kaliningrad wurden dann im Sommer 2010 als "Ersatz" mobile Patriot-Raketen stationiert - ausgeliehen aus dem deutschen Rammstein. Doch zog die mobile Einheit anscheinend auf russischen Druck hin in das weiter von der Grenze liegende Torun (deutsch Thorn). Nach Schulungen der polnischen Soldaten wurden die Patriot-Raketen im Mai 2012 wieder zurück nach Deutschland gebracht.

Im Jahre 2011 ergriff Bronislaw Komorowski die Initiative mit dem Vorschlag, einen polnischen Raketenschild zu erstellen, der dann Teil eines Verteidigungssystems der Nato werde. Nach polnischer Verfassung ist der Staatspräsident im Kriegsfall der Oberkommandeur der polnischen Streitkräfte, ein Amt, das sonst dem Verteidigungsminister untersteht. Polen habe, so der Konservative, einen "hohen politischen Preis" gezahlt, da es das Risiko des Präsidentenwechsels in den USA nicht wirklich einkalkuliert habe, ein Fehler, der nicht wiederholt werden dürfe.

Für die Ausschreibung des Antiraketensystems meldeten sich auch andere Firmen, darunter hatten die beiden Konzerne Thales und MBDA mit Sitz in Frankreich lange Zeit größere Aussichten. Einige Experten hielten deren Angebote für die bessere Option, da dort Fehler der Patriotraketen korrigiert worden wären.

Polen wird nach Vertragsabschluss (vorgesehen im Jahr 2016) wohl nach und nach acht Raketenbatterien bis 2022 kaufen, die mit PAC-2 GEM-T und PAC-3 MSE bestückt werden können. Der Erwerb ist wichtiger Bestandteil des Modernisierungsprogramms der polnischen Armee für den Zeitraum 2013 bis 2022.

Wichtiges Kriterium des polnischen Verteidigungsministeriums ist, dass mit den Patriotsystemen Iskander-Kurzstreckenraketen abgeschossen werden können, die seit Ende 2013 in der russischen Oblast Kaliningrad stationiert sind. Dies sei durch digitale Simulation nachgewiesen worden. "Es endet die Zeit der russischen Erpressung durch die Iskander-Raketen", versprach Czeslaw Mroczek, der stellvertretenden Verteidigungsminister.

Die Entscheidung für die Patriot-Raketen der US-Firma Raytheon hält Jacek Bartosiak, Verteidigungsexperte des "Nationalen Zentrums für Strategische Studien", für eine rein politische. Das System sei veraltet, binde jedoch die USA als Partner in eine polnische Verteidigung ein. Auch Verteidigungsminister Tomasz Siemoniak gab offen zu, dass das "politische Kriterium" mitentscheidend war.

Janusz Zemke, Verteidigungsexperte der Linkspartei SLD, hält diese Einstellung für fahrlässig, die technischen Daten müssten entscheidend sein. Zemke sieht nicht nur die Gefahr in dem altem System, sondern auch in der "Neuheit" der letzten vier Batterien (Patriot Next Generation). Dieser neue Typus sei noch gar nicht getestet worden, hinzu käme die Gefahr, dass Kosten der Fehlerkorrektur der neuen Generation auf Polen abgewälzt werden können.

Was die Anschaffung neuer Helikopter betrifft, hat sich der französische EC725 Caracal (Airbus) gegen den amerikanischen S-701 Black Hawk (Sikorsky) und den AW149 aus britisch-italienischer Produktion wahrscheinlich durchgesetzt. Die Maschinen werden eingehend getestet, erklärte der Staatspräsident. Der geplante Kauf von 70 Maschinen wird auf knapp vier Milliarden Euro taxiert.

Der amerikanische Konzern Sikorsky, der in Polen produziert und der polnische Hersteller "Polskich Zakładów Lotniczych" haben gegen die Entscheidung protestiert. Schließlich habe der französische Konzern keine Produktionsstätte in Polen. Doch in diesem Falle, so der Verteidigungsminister, wollte man allein "den besten Hubschrauber für die polnische Armee".

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