In der AfD streiten die Volksfronten

Die selbsternannte Partei des gesunden Menschenverstandes kommt nicht zur Ruhe. Hans-Olaf Henkel wirft den Bettel hin

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Partei zu spielen ist nicht schwer, Partei zu sein dagegen sehr: In der Alternative für Deutschland (AfD) rollen im Streit zwischen einem (wirtschafts-)liberal-konservativen Flügel und dem rechtsaußen Flügel die ersten Köpfe. Hans-Olaf Henkel tritt aus dem Bundesvorstand zurück, in Nordrhein-Westfalen musste ein Parteitag verschoben werden und in Hessen steht der Landesverband vorerst gleich ganz ohne reguläre Führung da. Parteichef Lucke warnt derweil davor, dass der rechte Flügel die Partei spalten wird und Vertreter der extremen Rechten die AfD unterwandern wollen.

Der stellvertretende AfD-Vorsitzende Hans-Olaf Henkel verkündete am Donnerstagnachmittag überraschend, exklusiv über die FAZ, seinen sofortigen Rücktritt aus dem Bundesvorstand der Partei. Henkel begründete seine Entscheidung mit Versuchen von "Rechtsideologen", die AfD zu übernehmen. Zudem führte er laut der Zeitung charakterliche Defizite von führenden Parteifunktionären an. Sollte es nicht zu einer "Klärung" im Richtungsstreit seiner Partei kommen, drohe ihr der Untergang, warnte Henkel seine Parteifreunde: "Dann wird die AfD scheitern. Das ist meine feste Überzeugung."

Einen vollständigen Rückzug aus der Partei bedeute der Schritt jedoch nicht, erläuterte Henkel gegenüber der FAZ. Er werde sich weiterhin für die AfD einsetzen, "aber nur dort, wo man sich an die Grundsätze unserer Partei hält". Zudem will er Europaabgeordneter für die Partei bleiben. Henkel hat den Rücktritt aus dem Vorstand unterdessen via Facebook bestätigt. Kurz vor diesem Rücktritt hat zudem die Galionsfigur des wirtschaftsliberalen Flügels, Parteichef Bernd Lucke, in einem Rundschreiben an alle Mitglieder vor einer "beunruhigenden Entwicklungen in der Partei" gewarnt.

Es gebe Versuche, die "politischen Inhalte der AfD und ihren Politikstil in eine Richtung zu verschieben, vor der ich nur warnen kann", schrieb Lucke und meinte damit den rechten Parteiflügel, der sich kürzlich mit einer völkischen und nationalistischen Erklärung namens "Erfurter Resolution" zu Wort gemeldet hatte und damit die AfD-Flügelkämpfe erneut anfachte (Flügel- und Hahnenkämpfe in der AfD). Bestandteil von Luckes Rundschreiben war laut "Junge Freiheit" auch ein Positionspapier, über das die Mitglieder entscheiden sollen. Über dieses Ansinnen hatte vorab der Spiegel schon berichtet.

Dem Papier nach soll die AfD künftig Kontakte "zu Vertretern der sogenannten Neuen Rechten, der sogenannten Identitären Bewegung oder zu Organisationen im Dunstkreis des Rechtsradikalismus" meiden, auch auf europäischer Ebene. Zeitgleich kritisierte die Partei "Die Linke" in Thüringen, dass der Mitinitiator der "Erfurter Resolution" und AfD-Fraktionsvorsitzende in Thüringen, Björn Höcke, eine Distanz zu dem Neonazi und NPD-Kader Thorsten Heise vermissen lasse. Die AfD widersprach diesen Vorwürfe und kritisierte, dass die Linken unbegründet einen Abgeordneten einer demokratischen Partei als verlängerten Arm der Neonazi-Szene darstellten.

Indes hatte schon vor Wochen der für seine Kritik besonders am rechten Flügel der AfD bekannte Autor Andreas Kemper im Interview mit "NachDenkSeiten" auf die Parallelität in den Argumenten und Teilen der Rhetorik eines NPD-Autors namens Landolf Ladig und Höcke hingewiesen. Ladig soll demnach auch für Magazine des NPDlers Thorsten Heise geschrieben haben. "Es könnte der Verdacht aufkommen, dass Höcke bis zur Etablierung der AfD unter dem Pseudonym 'Ladig' schrieb, jedenfalls führt Höcke Ladigs politische Positionen exakt fort, außer dass Höcke nicht dazu aufruft, die NPD zu wählen", wurde Kemper zitiert in dem Interview zitiert.

Vorwürfe gegen Höcke, Luckes Positionierung gegen den Versuch der Unterwanderung seiner Partei sowie Henkels Rückzug aus dem Parteivorstand… - alles etwas viel für einen Tag? Doch schon die Tage zuvor waren für die AfD kein Zuckerschlecken. In Nordrhein-Westfalen musste die Partei ihren für kommenden Samstag geplanten Landesparteitag wegen eines möglichen Formfehlers bei den Ladungsfristen absagen. Fraglich erscheint daher, wie und ob der Landesverband überhaupt noch rechtzeitig Delegierte für den Bundesparteitag am 13. Juni in Kassel wählen kann.

Das AfD-Schiedsgericht des Landesverbandes prüft zudem, ob der NRW-Vorsitzenden Marcus Pretzell überhaupt rechtmäßig im Amt ist, weil er zum Zeitpunkt seiner Wahl nicht über einen Wohnsitz in Nordrhein-Westfalen verfügt haben soll. Wäre er unrechtmäßig im Amt, so könnten alle Beschlüsse des Landesverbands seit dieser Zeit unwirksam sein. Zu diesem Ergebnis kommen zwei Sonderermittler, die im Auftrag des Bundesvorstands Vorwürfe gegen Pretzell geprüft haben.

Der 41-Jährige Pretzell gehört eher zum rechten Flügel der Partei und hatte einst Aufsehen erregt, weil er sich zu Nigel Farage, Chef der britischen "Ukip", aufs Podium gesetzt hatte. Zudem gehört er zu den schärfsten Kritikern von Parteichef Lucke sowie Henkel und glaubt selbst, es gebe eine "Kampagne" gegen ihn. Zuvor schon hat ihn der Parteivorstand wegen seines Fehlverhaltens abgemahnt.

Die Partei zerlegt sich

Die WAZ kommentierte, hier stünden sich zwei Lager in ihrem "Drang, sich gegenseitig regelrecht zu zerlegen und öffentlich vorzuführen", völlig unversöhnlich gegenüber. Partei-Vize Alexander Gauland nannte das Agieren des Lucke-Flügels gegen Pretzell gegenüber dem Handelsblatt eine "Schmierenkomödie" und warf wiederum Lucke vor, die Partei "weiter" zu spalten.

Unfreiwillig erinnert hier so manches also an den Streit zwischen der "Volksfront von Judäa" und der "Judäischen Volksfront" im Film "Life of Brian", womit bekanntlich eher die Zerstrittenheit der linken Szene karikiert werden sollte. Wer bei der AfD indes das "Suizidkommando" stellt und wann dasselbe wie in Aktion treten wird, dürfte sich noch zeigen. In Brandenburg jedenfalls bewegt sich die AfD weiter auf rechtem Kurs. Am vergangenen Wochenende wurde Landesparteichef Gauland im stolzen Alter von 74 Jahren noch einmal im Amt bestätigt.

Gauland sagte bei dieser Gelegenheit, man sei die Partei der kleinen Leute" und "für die Menschen da, die nicht, ohne gefragt zu werden, in ihrer Nachbarschaft ein Asylbewerberheim haben wollen". Tage zuvor war die Brandenburger AfD in die Schlagzeilen geraten, weil sie zwei Fraktionschefs verlor - einmal wegen einer "nationalvölkische Richtung", andermal wegen eines Mangels an "innerparteilicher Demokratie". In Thüringern hatte die AfD-Fraktion zuvor einen Höcke-Kritiker ausgeschlossen. Höckes Mitstreiter beim Schreiben der "Erfurter Resolution", der AfD-Landeschef aus Sachsen-Anhalt, André Poggenburg, gab indes der Politik wegen ihres falschem Umgangs mit Asylbewerbern indirekt eine Mitschuld an dem Brandanschlag in Tröglitz.

Am vergangenen Wochenende war es in Hessen zu schweren Zerwürfnissen im AfD-Landesverband gekommen. Die Führungsriege wurde bei einem Parteitag in Gießen abgesetzt. Begründet wurde das damit, dass die Informationspolitik des Vorstands mangelhaft, der Ton in seinen Mitgliederrundschreiben manipulativ und das Vorgehen bei der Entmachtung des früheren Vorstandssprechers Peter Münch verwerflich gewesen seien. Münch hat eine Vergangenheit bei der rechtsradikalen Partei "Die Republikaner". Die Wahl eines neuen Vorstands auf dem Landesparteitag verhinderte eine Gruppe von Parteitagsteilnehmern. Nun soll es ein Notvorstand richten.

Gegenüber Spiegel Online keilte keilte Lucke am Donnerstagabend gegen Gauland zurück: "Seit Monaten vertritt er öffentlich Positionen, die die moderaten, liberal-konservativen Mitglieder der Partei vor den Kopf stoßen. Herr Gauland will die Partei entbürgerlichen und zu einer Partei der kleinen Leute machen. Dies ist ein direkter Angriff auf die Einheit der Partei, dem ich mich entschieden entgegenstelle." Ob Lucke ohne den prominenten Henkel an seiner Seite jedoch noch eine solide Hausmacht besitzt, gegenüber den drei mächtigen, rechten Landesverbänden im Osten und bei all dem Chaos in Hessen sowie NRW?