"Wir müssen klar machen, dass wir bereit sind, in den Krieg zu ziehen"

In der EVP, dem größten Parteienbündnis des EU-Parlaments, wird der Konflikt mit Russland geschürt und selbst die atomare Abschreckung wieder propagiert

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Die Europäische Volkspartei ist das größte Parteienbündnis im Europäischen Parlament. In ihr haben sich die konservativen Parteien, darunter CDU und CSU, zusammengeschlossen. Die EVP stellt mit Donald Tusk den Ratspräsidenten sowie mit Jean-Claude Juncker den Präsidenten der Kommission. Abgeordnete der EVP haben am Dienstag eine Anhörung über den Stand der EU-Russland- Beziehungen veranstaltet und angesichts des Konflikts mit Russland propagiert, dass es die beste Verteidigung sei, sich auf den Krieg vorzubereiten.

Der estnische Abgeordnete Tunne Kelam war der Leiter der Sitzung und hat nach einem Bericht von Euractive.org gleich einmal die Richtung vorgegeben, indem er sagte, Russland sei zum Feind der EU geworden. Das nächste Ziel Russlands seien die baltischen Staaten. Wenn dies geschehe, stünde die Glaubwürdigkeit des Westens auf dem Prüfstand.

Vor kurzem hatte der estnische Präsident Toomas Ilves, der fast 10 Jahre im Amt ist und während des Kalten Kriegs in den USA lebte und für Radio Free Europe arbeitete, ähnliches in einem Interview geäußert. Die baltischen Staaten sehen sich als akut bedroht von Russland an. Ilves reicht die von der Nato beschlossene Eingreiftruppe nicht aus, sie würde bei einem etwaigen Angriff zu spät kommen. Deswegen forderte er eine permanente Stationierung von Nato-Truppen. In der Nato habe früher eine "gewisse Klarheit" gegeben, die jetzt auseinanderfalle. Gefragt, ob die Nato Estland verteidigen werde, erklärte: "Wenn jemand Nein sagt, hört in dem Augenblick die Nato zu existieren auf." Da dann, wenn Land alleine gelassen würden, kein Land sich mehr sicher fühlen werde, glaube er jedoch daran nicht, weil dies nicht im Interesse der Nato wäre.

Während die baltischen Länder sich als die ersten Opfer sehen, meinte die rumänische Abgeordnete Dan Presa, politische Koordinatorin der EVP für den Auswärtigen Ausschuss, Putin werde auf jeden Fall weitermachen, bis er Transnistrien annektiert habe. Offenbar meint sie, Russland würde, um dies zu machen, die Südukraine ebenfalls übernehmen, um so einen Korridor zu schaffen. Der polnische Abgeordnete Jacek Saryusz-Wolski, der Vizevorsitzende der EVP, gab sein Wohlgefallen kund, dass so viele "Falken" an der Anhörung teilnahmen und er deswegen gar nichts sagen müsse. Die restlichen Falken unter den Abgeordneten waren Elmar Brok (CDU), der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des EU-Parlaments, die lettische Abgeordnete Sandra Kalniete und der litauische Abgeordnete Gabrielius Landsbergis, u.a. Berichterstatter für das EU-Parlament über die EU-Russland Beziehungen.

Elmar Brok von der CDU gehört auch zu den Falken und nahm an der Anhörung teil. Bild: eppgroup.eu

Gleichwohl gab Saryusz-Wolski gab seine Haltung zum Besten. Die osteuropäischen Ländern hätten schon lange vor den "wirklichen Interessen" Putins gewarnt, aber seien als antirussisch zurückgewiesen worden. Man müsse den Russen zeigen, dass es ein anderes Leben gibt: "Wenn wir mit der Ukraine gewinnen, werden wir eines Tages mit Russland gewinnen. Wenn wir mit der Ukraine verlieren, wird Putin gewinnen."

Wie Giedre Uzdilaite, die Pressesprecherin der EVP, via Twitter mitteilte, erklärte Kalniete, dass russische Panzer schon in den baltischen Staaten wären, wenn es keine Sanktionen gegeben hätte. Der schwedische Abgeordnete Gunnar Hökmark meinte, man müsse ein "modernes Containment für die aggressiven Ideen und die Kriegsführung von Putins Russland" Finden. Der Krieg in Russland sei auch kein geopolitisches Problem,so Hökmark, sondern ein globales, weil Russland eine Weltmacht sei.

Für die richtig scharfen Töne sorgte Roland Freudenstein, der stellvertretende Leiter des Martens Centre, eine Stiftung des EVP, die sich auch für TTIP stark macht. Gerade erst hat er den Bericht "The Renaissance of the West" zusammen mit Ulrich Speck von Carnegie Europe geschrieben, in dem die beiden Autoren deutlich machen, wie der Konflikt mit Russland instrumentalisiert wird, um erneut eine transatlantische Einheit zu schaffen. Durch die Begegnung der von Russland ausgehenden Bedrohung, so der Tenor, "können wir eine stärkere transatlantische Beziehung erreichen, die letztlich zu einer Renaissance des Westens führt und als Grundlage für eine Fortsetzung der globalen liberalen Ordnung dient". Die EU wird aufgefordert, die Abhängigkeit von Russland zu mindern, die Nato zu stärken, mehr für Verteidigung auszugeben, TTIP voranzubringen, also das nun schon bekannte Programm des Sinns der Konflikteskalation der interessierten Kreise im Westen, bei dem es vornehmlich um militärische und wirtschaftliche Dominanz geht. Da in Russland ganz ähnliche Machtinteressen im Spiel sind, greift dies gut ineinander, um sich hochzuschaukeln.

Freudenstein gibt den Oberfalken, dürfte aber nur offen aussprechen, was die transatlantischen Kreise bei den konservativen Parteien mit der Ukraine-Politik anstreben: "Wir müssen klar machen, dass wir für die von uns als existentiell erachteten Prinzipien von Europas Zukunft in den Krieg ziehen werden", verkündete Freudenstein nach Euractive. Das schließe auch das Konzept der nuklearen Abschreckung aus dem Kalten Krieg ein. Schon seit einiger Zeit gibt es in den USA Stimmen, die gegen Russland eine Verlegung von Atomwaffen in die EU fordern. Dabei würde Deutschland im Visier stehen, wo es nicht nur genügend US-Stützpunkte, sondern auch die letzten Atomwaffen gibt, die die USA noch in Europa vorrätig hält. Freudenstein wies denn auch darauf hin:

In Deutschland besteht die atomare Abschreckung der Nato derzeit aus 20 rostigen Bomben des B-61-Typs, die mit einem Schlag der russischen Streitkräfte ausgelöscht werden können. Das sind die Dinge, die wir ändern müssen.

Die atomare Aufrüstung sei zwar, so räumte er ein, schwierig der Öffentlichkeit zu verkaufen, macht aber nichts, als wahrhafte Demokraten kümmert man sich auch nicht um Volkes Meinung, sondern sucht danach, wie man die eigenen Interessen dennoch durchsetzen kann. Der Konflikt mit Russland werde, so verkündet Freudenstein, sowieso erst enden können, wen Putin gegangen ist: "Das ist ein Nullsummenspiel." Die Personalisierung des Bösen ist ein billiges Spiel, das medial inszeniert wird. Deswegen ist nicht nur Russland, sondern auch den Transatlantikern die Bekämpfung der Propaganda der anderen Seite so wichtig. Wer selbst Propagandakriege führt, muss dem Gegner dies in die Schuhe schieben, während man selbst die Wahrheit vertritt. Auch das funktioniert bestens auf beiden Seiten, auf der westlichen Seite auch oft ohne Dominanz von staatlich gelenkten Medien.

Wie auch immer, offenbar unwidersprochen durch die anderen anwesenden Falken trommelte Freudenstein weiter, um für die richtige Stimmung auf der "Anhörung" zu sorgen. Die Zeit sei vorbei, um mit Russland zu sprechen, jetzt sei die Zeit einer "harten, realistischen Politik". Man müssen sich auf "Verteidigung und Sicherheit konzentrieren, weil die östliche Flanke der EU sich existentiell bedroht sieht". Um seine Forderungen zu unterstützen, drohte er auch denjenigen, die nicht zur Anhörung der transatlantischen Falken gekommen waren: "Die südliche Flanke der EU wird bei der Einwanderung kein Verständnis der östlichen Flanke finden, wenn sie weiter die existentiellen Bedrohungen des Ostens nicht versteht oder sich weigert zu verstehen."