Der "wohl im letzten Moment vereitelte Terroranschlag in Hessen"

Die kritische Distanz im Journalismus schwindet, die FAZ hat erneut dafür ein peinliches Exempel statuiert

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Mitunter könnte einen der Verdacht beschleichen, dass angesichts der Nöte der Bundesregierung bis hinauf zur Kanzlerin durch immer neue Enthüllungen über die Arbeit des BND und seines Kuschelns mit der NSA, ein Fall höchster terroristischer Bedrohung gerade recht käme. Die Festnahme des türkischstämmigen Paars in Oberursel war Donnerstagnacht vor dem Internationalen Radrennen "Rund um den Finanzplatz Frankfurt-Eschborn" erfolgt, weil die Polizei vermutete, dass womöglich ein Anschlag wie in Boston auf die Marathonläufer geplant gewesen sein könnte.

Das Radrennen wurde trotz der Festnahme abgesagt, einige hundert Radfahrer ließen es sich trotzdem nicht nehmen, am 1. Mai demonstrativ die Räder zu besteigen. Die Geste richtete sich gegen mögliche Islamisten, dass man sich nicht vor Angst zurückzieht, aber auch gegen die Behörden, die möglicherweise mit dem Verbot - nicht mit der Festnahme - überreagiert haben.

Das LKA Hessen teilte am 1. Mai mit, dass "die hessische Polizei mit der Unterstützung des BKA und anderer Sicherheitsbehörden weiter mit hoher Intensität und Sorgfalt an der Klärung der Hintergründe und der Motivation für den geplanten Anschlag" arbeite und suggerierte damit auch erneut, dass ein Anschlag auf das Radrennen geplant gewesen sei. Allerdings erklärte die Polizei bereits zur Festnahme: "Ein geplantes mögliches Anschlagsziel ist derzeit nicht bekannt." Daran scheint sich auch nichts geändert zu haben.

Keine weiteren Beweise für den geplanten Anschlag

Abgesehen davon, dass der Mann offenbar in den Tagen vor dem 1. Mai nach Auswertung seines Bewegungsprofils anhand seines Handys in der Nähe der Rennstrecke gewesen war, scheint man keine weiteren Beweise für den geplanten Anschlag zu haben. Weitere Beweisstücke in dem Waldgebiet, in dem sich der Mann bewegt hatte, wurden nicht gefunden, bislang auch keine Hinweise auf mögliche Mitplaner oder Hintermänner.

Dass das Paar möglicherweise etwas ausheckte, darauf deutet gleichwohl vermutlich der Kauf von drei Liter Wasserstoffperoxid hin. Die Verkäuferin des Baumarkts war stutzig geworden und hatte dies der Polizei mitgeteilt, weswegen die Aufmerksamkeit überhaupt auf das Ehepaar fiel. Bei der Hausdurchsuchung fand man dann eine "augenscheinlich funktionsfähigen Rohrbombe, ungefähr 100 Schuss Munition, verschiedene Materialien und Chemikalien, geeignet zum Bau weiterer Sprengsätze".

Das sind Verdachtsmomente, die eine Festnahme rechtfertigen, aber ob der Aufenthalt des Mannes an der Strecke des Radrennens damit zu tun hat, dass er einen Anschlag vorhatte, ist bislang, soweit man dies beurteilen kann, pure Vermutung. Die Polizei äußerte sich auch entsprechend, dass es eine "unklare Gefährdungssituation" gebe, weswegen man aus Sicherheitsgründen das Rennen absagte - aber nicht, weil man wusste, dass ein Anschlag konkret geplant war.

"Gewaltvideos gefunden"

Man habe "offenbar" einen Terroranschlag vereitelt, hieß es gleichwohl in vielen Medien, die den hessischen Innenminister nachplapperten (Innenminister: "Terroranschlag in Hessen vereitelt"). Jetzt bürgert sich die Rede ein, es gehe um einen "wohl im letzten Moment vereitelten Terroranschlag in Hessen". Das allerdings nur in Zusammenhang damit, dass sich "der Verdacht eines islamistischen Hintergrunds" erhärtet habe, wie es bei Spiegel Online heißt:

Ermittler haben auf einem Computer des festgenommenen Ehepaars aus Oberursel bei Frankfurt Gewaltvideos gefunden. Diese seien dem islamistischen Extremismus zuzuordnen, sagte ein Sprecher des Landeskriminalamts in Wiesbaden. Weitere Einzelheiten nannte er nicht. Der Computer sei in der Wohnung der türkischstämmigen Eheleute sichergestellt worden.

Es gebe überdies Verbindungen zur Extremisten-Szene im Rhein-Main-Gebiet und einen Kontakt zur Sauerland-Gruppe.

Das weist auf die Gesinnungslage der Festgenommenen hin, hat allerdings wenig mit der suggerierten Behauptung zu tun, dass "wohl im letzten Moment" ein Terroranschlag vereitelt worden sei. Die Frankfurter Rundschau gibt die Meldung deutlich weniger sensationsheischend wider. Es geht also auch anders.

FAZ: Gegen "Die Epidemie der Verschwörungstheorien"

Offenbar aber nicht in der FAZ, wo die Redaktion der Meinung zu sein scheint, sie müsse einem Kampagnenjournalismus frönen und staatskritischen Meinungen mit übertrieben konformen Äußerungen begegnen (Faz-Redakteur ruft zur Bespitzelung der Mitbürger auf). Vor allem aber scheint man nun in dem Blatt, hinter dem ein kluger Kopf stecken soll, allmählich einen Kampf gegen "große Teile der politischen Intelligenz in Deutschland" führen zu wollen, indem diese einmal wieder bezichtigt wird, Verschwörungstheorien anzuhängen, weil sie "Probleme mit allem, was der demokratische Staat im Verborgenen treibt, ob es nun Vertragsverhandlungen sind oder Sicherheits- und Nachrichtendienste", hat.

Davon ist Jasper von Altenbockum, seines Zeichens verantwortlicher Redakteur für Innenpolitik, natürlich weit entfernt. Der Mann will uns in seinem Kommentar glauben machen, dass er die Wirklichkeit vertritt, während diejenigen, die "Misstrauen, Unterstellungen, Verachtung und Hysterie" gegenüber Geheimdiensten hegen, zur Vereinfachung der komplizierten Wirklichkeit neigen. So ist der Überwachungsstaat eine Fiktion und jeder Skandal "die perfekte Fiktion".

Und was ist die Wirklichkeit gegenüber den verschrobenen Vorwürfen gegen BND und dem Verfassungsschutz? Für den FAZ-Journalisten liegt das klar vor Augen: "Die Wirklichkeit besteht aus Russland und China, aus Arabellion, Syrien und dem Irak, aus der schlagartigen Vervielfältigung salafistischer Extremisten." Das rechtfertigt den BND und den Verfassungsschutz, die sich vor den Kritikern, also den Verschwörungstheoretikern, nicht beirren lassen sollten:

Es ist zu hoffen, dass sich die Behörden angesichts der Anschlagspläne, die in Oberursel und anderswo ausgeheckt wurden und werden, über ganz andere Fragen viel mehr den Kopf zerbrechen.

Der gute Mann findet denn auch die Vorratsdatenspeicherung zwingend als Anpassung der Kriminalitätsbekämpfung an den "Stand der Technik", das ist offenbar ausschlaggebend. Ein sonderlich kluger Kopf steckt jedenfalls nicht vor dieser Zeitung, wenn der verantwortliche Redakteur für die Innenpolitik weitgehend argumentationsfrei und alles niederwalzend vor sich hin schwafelt:

Doch die Verachtung gegenüber Sicherheitsdiensten in Deutschland beruht nicht auf einer tieferen Erkenntnis von Freiheit, sondern richtet sich mit überschießender Moral und Verschwörungsdenken gegen die neuen Zumutungen einer unübersichtlichen Wirklichkeit. Gepaart mit der Verachtung gegenüber "ahnungsloser" Politik und der romantischen Sehnsucht nach einer "unpolitischen Politik", knüpfen hysterische Ausfälle in dieser Richtung an (deutsche) Traditionen an, die man lieber vermeiden sollte.

Man könnte auch genau umgekehrt sagen, dass die Verehrung der Sicherheitsdienste in Deutschland eine unrühmliche Rolle gespielt und Millionen von Menschen das Leben gekostet hat. Aber mit Begründungen hat es der Journalist nicht so, der lieber auf Diffamierung setzt und sich dann wundert, dass den Mainstreammedien allmählich das Vertrauen abhanden kommt.