Will weder Kiew noch Moskau den Donbass?

Für Kiew herrsche derzeit die "beste aller möglicher Welten", so die These des Politologen Alexander Motyl

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In den "Volksrepubliken" der Ukraine herrschen schlimme Zustände. Gerade beschweren sie sich über die von Kiew verhängte Wirtschaftsblockade: "Für die Durchfahrt eines Lastwagens mit Fleisch durch einen Kontrollposten kassiert die Nationalgarde 150.000 Griwna (rund 6.500 Euro). Die Nationalgarde 'erwirtschaftet' täglich dutzende Millionen. Das hat zur Folge, dass (nach Donbass) durchgelassene Lebensmittel im Vergleich zur Ukraine das Doppelte kosten", so Andrej Purgin von der Volksrepublik Donezk.

Während die Separatisten vermehrt zündeln und den Waffenstillstand durchbrechen, schleppt Kiew die Umsetzung des Minsker Abkommens hinaus, was den Autonomiestatus der "Volksrepubliken" oder die Verhandlungen mit deren Vertretern betrifft. Zwar stellt sich Kiew als Außenposten für die Rettung des Westens vor der russischen Aggression dar, aber in Wirklichkeit könnte sich Moskau in der Defensive befinden. Zwar wurde schnell die Krim annektiert, aber es war schnell klar, dass Moskau dasselbe nicht mit der Ostukraine vorhat.

Das dürfte auch nichts damit zu tun haben, dass die Annektierung der Krim für Russland zunächst teuer wird. Die Eingemeindung der Krim garantiert der russischen Marine den Zugang zum Schwarzen Meer und damit zum Mittelmeer, zudem gibt es reichlich Öl- und Gasressourcen und der russische Bevölkerungsanteil ist hoch. Die Ostukraine hingegen ist ein Gebiet, das zwar wirtschaftlich eng an Russland gebunden war, aber sich schon vor dem Konflikt im Niedergang befand. Durch den Krieg ist zudem ein großer Teil der Infrastruktur und damit der Wirtschaftskraft zerstört worden.

Aber auch das ist nicht das Schlimmste. Der Krieg hat dazu geführt, dass die Menschen, die es sich leisten können, die gut gebildet sind, aus dem Donbass geflohen sind, in die Ukraine oder nach Russland. Von den ursprünglich 5 Millionen Einwohnern sind 3 Millionen zurückgeblieben, darunter viele Rentner, Kinder und Alleinerziehende. Die Wirtschaft ist noch stärker als in der Ukraine zusammengebrochen, die Arbeitslosigkeit ist hoch, nur noch wenige beziehen ein Gehalt, Renten und Sozialgelder werden nicht mehr von Kiew überwiesen.

Zwar ist auch durch den Waffenstillstand der Flüchtlingsstrom aus dem Donbass gestoppt worden, aber wahrscheinlich ist schon gegangen, wer dies konnte. Aufgrund der fehlenden Arbeitsmöglichkeiten dürften die Jobs bei den Milizen gefragt sein, aber diese benötigen Geld, das im Donbass zunehmend weniger erwirtschaftet werden kann. Die Abhängigkeit von Russland wächst, nicht nur militärisch.

Mindestens 2 Milliarden US-Dollar wären für den Wiederaufbau der wichtigsten Infrastruktur im Donbass fällig. Kiew, das an der Zerstörung kräftig mitgewirkt hat, hofft auf den Westen, die Volksrepubliken schauen auf Russland, das aber eher darauf drängt, den Gebieten einen Autonomiezustand zu gewähren, aber sie in der Ukraine zu belassen. Der Politologe Alexander Motyl sieht in Foreign Policy Russland auf der Verliererseite. Die Unabhängigkeit der "Volksrepubliken" oder gar die Vergrößerung von deren Territorien würde nur das Problem verstärken, wenn Moskau nicht auf einen Krieg aus ist.

Putin, so Motyl, könne wohl nicht den Donbass einfach Kiew überlassen, das würde der seit Jahren verbreiteten Ideologie widersprechen. Die Fortsetzung des Konflikts würde aber Moskau immer teurer werden. Von einem "eingefrorenen Konflikt" könne Kiew am meisten profitieren, wenn es den Donbass für sich beansprucht, aber nichts dafür tut, ihn zu befreien. Für Kiew herrsche daher derzeit die "beste aller möglicher Welten". Die Zeit sei auf der Seite von Kiew, früher oder später müsse Russland den Zustand eines "gefrorenen Konflikts" akzeptieren oder das Gebiet annektieren: "Russland wird auf jeden Fall mit einer Region ohne Zukunft konfrontiert sein, das seine Wirtschaft für die kommenden Jahrzehnte belasten wird."

Ist die Diagnose zutreffend, würde Moskau die Separatisten bremsen müssen, während Kiew weiterhin vor einem Krieg warnen und vordergründig den Donbass zurückfordern würde, um sich der Unterstützung durch den Westen zu versichern. Aber die Diagnose ist doch nur teilweise überzeugend, schließlich wird die Ukraine, solange der Konflikt schwelt oder jederzeit wieder Kämpfe ausbrechen können, nicht zur Ruhe kommen und auch nicht ausreichend Investitionen anziehen können. Zu den separatistischen Anschlägen und Aktionen in der Ukraine könnte zudem die Unzufriedenheit über die Folgen des Sparprogramms wachsen und zu sozialen Spannungen führen, wenn der Krieg in den Hintergrund rückt und der Konflikt eingefroren ist. Die beste aller möglichen Welten sieht sicher anders aus.