Schiffe versenken befeuert libyschen Bürgerkrieg

Fregatte Hessen; Bild: Rebell18190

Deutsche Kriegsschiffe retten hunderte Migranten vor der libyschen Küste. Ein internationales Mandat soll nun militärische Mittel erlauben. Libyens Bürgerkriegsparteien drohen mit Widerstand

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Angeblich wird der Plan, an nordafrikanischen Küsten Boote für die Flucht übers Mittelmeer zu zerstören, von allen EU-Mitgliedstaaten unterstützt. Großbritannien schlägt eine Resolution des UN-Sicherheitsrates für militärische Operationen in Hoheitsgewässern Libyens vor, angeblich wollen Russland und China kein Veto einlegen. Schon jetzt werden die nordafrikanischen Küsten mit zivil-militärischer Satellitenaufklärung überwacht. Derweil helfen die Bundespolizei und das BKA, Netzwerke von Fluchthelfern zu ermitteln und Boote aufzuspüren. Hierfür werden Geflüchtete nach ihrer Ankunft in Italien von deutschen Ermittlern verhört.

Mindestens 419 Personen in drei Booten sind von der deutschen Marine am Wochenende im südlichen Mittelmeer aufgegriffen worden. Dies teilte die Bundeswehr auf ihrer Webseite mit.

Demnach haben die beiden Schiffe Hessen und Berlin die Flüchtlinge erstversorgt und am Samstag in den Hafen der Stadt Reggio di Calabria gebracht. Die beschlagnahmten Boote der Geflüchteten wurden nach Angaben der Bundeswehr "versenkt".

Die beiden Kriegsschiffe sollten der Bundeswehr zufolge sofort wieder in das Operationsgebiet auslaufen, um dort ihrem "humanitären Auftrag weiter nachzukommen". Bereits am Donnerstag hatte die Marine Sichtkontakt zu einem Boot in Seenot, die fast 100 Insassen wurden jedoch von einem Schiff der italienischen Finanzpolizei aufgenommen. Auch das Hilfsschiff eines Millionärsehepaars hatte vergangene Woche mindestens 700 Migranten an Bord genommen.

Koordination durch Alarmtelefon

Zwei der drei Boote waren zuvor vom Alarmtelefon der Gruppe Watch the Med betreut worden. Die Aktivisten hatten direkten Telefonkontakt zu den Insassen und konnten deren Position ermitteln. Laut dem Bericht der Passagiere seien die diese neun Stunden zuvor von der libyschen Küste in See gestochen. Es habe sich kein Trinkwasser an Bord befunden. Die Informationen wurden vom Alarmtelefon an das italienische Lagezentrum MRCC in Rom weitergeleitet. Das maritime Hauptquartier ist für die Rettungsaktionen im Mittelmeer zuständig (Private Initiativen gegen den Notstand auf dem Mittelmeer).

Auch die EU-Grenzsicherungsmission Triton wird aus dem Lagezentrum in Rom koordiniert. Triton war vergangenen Sommer als Ersatz für die Operation Mare Nostrum angekündigt worden, in deren Rahmen die italienische Marine im zentralen Mittelmeer mehr als 140.000 Geflüchtete auf See aufgegriffen hatte. Später hieß es jedoch, Triton solle sich lediglich auf die Kontrolle der italienischen Küsten beschränken. Priorität sei nicht die Seenotrettung, sondern die Abnahme von Fingerabdrücken von ankommenden Geflüchteten.

Triton steht unter der Leitung der EU-Grenzagentur Frontex. Die für die Mission zugesagte deutsche Unterstützung beschränkte sich zunächst auf die vierwöchige Überlassung eines seeflugtauglichen Polizeihubschraubers. Das Bundesinnenministerium hat Frontex nun einen zweiten Hubschrauber angeboten.

Bundeswehr gegen "Menschenschlepper"

Die Schiffe der deutschen Marine sind bislang ohne internationales Mandat im Mittelmeer unterwegs. Sie seien laut einem Sprecher des Bundesinnenministeriums nicht Teil von Triton, sondern "Subunternehmer" für Italien. Vor einer Woche hatte ein Sprecher der Bundesregierung noch versichert, "Detailfragen" zu rechtlichen Rahmenbedingungen des Einsatzes würden vor Erreichen des Einsatzgebietes geklärt.

Seitens der Bundeswehr heißt es jedoch, die "Modalitäten und Unterstellungsverhältnisse" würden immer noch "geprüft". Noch deutlicher hatte sich Großbritannien positioniert, das sein Marineschiff HSS Bulwark bis zum Erteilen eines klaren Mandates der EU oder des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen entsenden will. Das Schiff wartet derweil in einem Hafen in Malta.

Eine von der britischen Regierung ausgearbeitete Resolution für den Sicherheitsrat sieht ein militärisches Eingreifen in libyschen Hoheitsgewässern vor. Die geplante Operation solle sich laut den Berichten gegen "Menschenschlepper" ("Traficker") richten. Auch die Bundeswehr verwendet diesen Ausdruck in Pressemitteilungen von vergangener Woche.

Ziel des nun von Großbritannien vorgelegten Entwurfs ist, Boote "mit allen notwendigen Mitteln" zu zerstören, bevor diese mit Geflüchteten in Richtung Europäische Union ablegen können. Bislang finden Operationen der italienischen und deutschen Marine nur außerhalb libyscher Hoheitsgewässer statt. Die Schiffe Hessen und Berlin fuhren dabei allerdings bis zu 50 Kilometer an die libysche Küste heran.

Die britische Initiative sieht laut der Tageszeitung Guardian eine Militäroperation unter italienischer Leitung vor. Neun weitere EU-Mitgliedstaaten sollten demnach daran teilnehmen, darunter Großbritannien, Frankreich und Spanien. Auch die NATO könnte involviert werden. Ein solcher Vorschlag war bereits im Herbst 2013 von Italien eingebracht worden, als 800 Geflüchtete vor Lampedusa ertranken (Festung Europa: EU will Migration im Mittelmeer mit Kriegsschiffen eindämmen).

Bundesinnenministerium schickt Verhörspezialisten

Keine der Veröffentlichungen über das geplante militärische Zerstören von Booten hat bislang die Zuarbeit durch Polizeibehörden beleuchtet. Wie der Spiegel berichtet, sieht das EU-Konzept für die Bekämpfung unerwünschter Migration im Mittelmeer auch die Zerschlagung des "Geschäftsmodells der Schmuggler" vor.

So sollen systematisch Schiffe und Vermögenswerte "identifiziert, beschlagnahmt und zerstört" werden. Einen ähnlichen Vorschlag hatte die italienische Regierung bereits letztes Jahr gemacht und sogar gefordert, europäische Polizeibehörden in Libyen oder Tunesien zu stationieren (Italien will EU-Polizeiposten im Maghreb errichten).

Jedoch sind Grenz- und Kriminalpolizeien längst damit befasst, die Netzwerke von Fluchthelfern zu ermitteln. Frontex nutzt laut dem EU-Innenkommissar die zivil-militärische EU-Satellitenaufklärung, um Häfen von "Drittstaaten" zu überwachen. Frontex setzt auch sogenannte "Debriefer" ein, die Geflüchtete sofort nach ihrer Ankunft zu Reiserouten und Transportmitteln verhören.

Bislang hatte die Bundesregierung ebenfalls einen solchen Ermittlungsbeamten zur Frontex-Mission Triton entsandt. Als Reaktion auf die Schiffsunglücke vom April diesen Jahres mit Hunderten Toten schickt das Bundesinnenministerium nun zehn weitere Verhörspezialisten.

Zusammen mit der EU-Polizeiagentur Europol hat Frontex im März das gemeinsame Operationsteam MARE gestartet. Die Sondereinheit soll "Erkenntnisse über kriminelle Organisationen" gewinnen, die "für die illegale Verbringung von Migranten auf dem Seeweg in die Europäische Union verantwortlich sind".

Im Europol-Hauptquartier in Den Haag wurde hierfür ein "maritimes Aufklärungszentrum" eingerichtet. Beteiligt sind außer den EU-Mittelmeeranrainern auch Großbritannien und Deutschland sowie die internationale Polizeiorganisation Interpol.

Militäreinsatz gefährdet UN-Verhandlungen für libysche Einheitsregierung

Laut dem Guardian werde die nun geplante Militäroperation zum Zerstören von Booten von allen EU-Mitgliedstaaten unterstützt. Damit wäre eine militärische Eskalation vorprogrammiert: Seit einem Jahr versinkt Libyen im Bürgerkrieg, das Land ist mittlerweile zweigeteilt. Die Hauptstadt Tripolis wurde von eher islamisch geprägten Milizen erobert, die international anerkannte Regierung und das Parlament residieren mittlerweile in der Hafenstadt Tobruk.

Bild: Europol

Sowohl die Regierung als auch die Gegenregierung kündigten vergangene Woche an, keine ausländischen Militäroperation in libyschen Gewässern dulden zu wollen. Ähnlich hatte sich bereits der libysche Ableger des "Islamischen Staates" in Libyen geäußert. Alle Konfliktbeteiligten verfügen über schwere Waffen, Artillerie und Flugabwehrraketen.

Ein Eingreifen der EU-Mitgliedstaaten hätte also unabsehbare Gegenreaktionen zur Folge. Dies würde jedoch die Bemühungen der Vereinten Nationen torpedieren, die derzeit die Bildung einer libyschen Einheitsregierung verhandelt.

Die zerstritten Bürgerkriegsparteien wollen die Geflüchteten nun in ihrem Sinne instrumentalisieren. Die Gegenregierung verspricht, gegen die steigende Zahl von Migranten vorgehen zu wollen. Eigene bewaffnete Truppen sollten die Grenzen zu Mali und Niger sichern, bereits im Land befindliche Geflüchtete schneller abgeschoben werden.

Der offiziell anerkannte libysche Botschafter bei den Vereinten Nationen erklärte hingegen in einem Interview mit der Nachrichtenagentur AP, statt europäisches Militär in libyschen Gewässern operieren zu lassen, solle seine Regierung mit Waffen ausgestattet werden um die Gegenregierung und IS-Verbände zu bekämpfen.

Der vom Westen protegierte Militärgeneral Khalifa Haftar fordert die Aufhebung von Sanktionen gegen die Armee, um die "libysche Krise als Ganzes zu lösen".

Libysche Küstenwache greift Hunderte Migranten auf

Die Statements erinnern an die EU-Grenzsicherungsmission EUBAM, die nach dem Sturz von Muammar al Gaddafi die Milizen entwaffnen und mehrere Zehntausend Kämpfer in eine neu gegründete Gendarmerie integrieren sollte. Diese "Grenztruppe" genannte Einheit wäre dann für die Bekämpfung von Terrorismus, unerwünschte Migration an Land- und Seegrenzen sowie die Bewachung westlicher Ölanlagen zuständig gewesen (Von der EU aufgebaute "Grenzschutztruppen" in Libyen verselbständigen sich).

Jedoch musste die EUBAM-Mission wegen des Bürgerkrieges abgebrochen werden. Nur wenige der EU-Unterstützungsmaßnahmen konnten deshalb beendet werden. Als erfolgreich gilt jedoch die Ausbildung der libyschen Marine, der die Überwachung der Seegrenzen obliegt.

Das könnte sich nun ausbezahlt haben: Nach Medienberichten hat die Küstenwache unter Verantwortung der Gegenregierung in Tripolis vergangene Woche 600 Migranten in libyschen Gewässern aufgebracht und eingesperrt.