Pulverfass Mazedonien

Korrupte Regierung und ethnische Spannungen

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Kumanovo, unweit der Grenzen zu Serbien und dem Kosovo gelegen, ist die drittgrößte Stadt der ehemaligen jugoslawischen Teilrepublik Mazedonien. Die demographische Struktur dieser Stadt spiegelt in etwa die demographische Struktur des Landes wieder. Rund ein Drittel der Bewohner Kumanovos sind ethnische Albaner, die Mehrheit besteht aus slawischen Mazedoniern. Kumanovo geriet kürzlich in die internationalen Schlagzeilen, als es dort zu blutigen Scharmützeln zwischen Einheiten der mazedonischen Sicherheitspolizei und einer bewaffneten Gruppe von 30-50 Aufständischen kam, die zunächst nicht weiter benannt wurden. Es kam zu 22 Toten, darunter 8 Polizisten, und 37 Verletzten (Mindestens 22 Tote bei Polizeieinsatz in Mazedonien). Der Direktor des Geheimdienstes UBK ist zurückgetreten.

Erstürmung des Hauses, in dem sich die bewaffnete Gruppe verschanzt hatte. Bild aus einem Polizeivideo

Mazedonien ist schon seit Jahren schwersten internen Spannungen ausgesetzt. Die Teilrepublik Mazedonien war seinerzeit von Marschall Tito willkürlich zurecht geschnitten wurden, auch um bulgarischen Expansionsgelüsten entgegenzutreten, mit denen sich die slawischen Mazedonier sprachlich und kulturell eng verbunden fühlen, aber mit fester Hand regiert wurden. Diese Autorität ging spätestens mit dem Zerfallsprozess Jugoslawiens verloren, aus dem Mazedonien als unabhängiger, wenn auch extrem instabiler Staat hervorging.

Zwar blieb Mazedonien von blutigen Bürgerkriegen und ethnischen Säuberungen verschont, doch als Folge des Kosovo-Krieges kam es schon 2001 zu Gefechten zwischen UCK-Kämpfern und den mazedonischen Regierungstruppen. Die Unterdrückung der albanischen Minderheit Mazedoniens, deren Bevölkerungswachstum sich weit schneller vollzieht als das der slawischen Mehrheit, wurde dort zwar nie so systematisch betrieben wie seinerzeit die Unterdrückung der albanischen Mehrheit des Kosovo durch Präsident Milosovic. Aber ethnische Harmonie oder gar konfessionelle Eintracht hat es in Mazedonien nie gegeben.

Die albanische Bevölkerung Mazedoniens, von denen die Mehrheit dem Islam angehört, ist weit stärker von religiösen Traditionen geprägt als ihre Landsleute im Kosovo oder in der Republik von Tirana. Die Albaner, die sich selbst Skipetaren nennen, also Adlersöhne, hatten zu Recht darüber geklagt, dass ihnen in Mazedonien eine angemessene Vertretung, gemäß der Größe ihres Bevölkerungsanteiles, in den politischen Institutionen verwehrt wurde. Diesen Forderungen entgegnete die mazedonische Regierung mit dem Hinweis, dass zumindest eine der beiden großen Albaner-Parteien im Kabinett vertreten sei. Inzwischen hat sich allerdings herausgestellt, dass es sich hierbei um eine höchst opportunistische Kollaboration handelt, die in dieser Region unseres Kontinents nicht selten die Verfahrensweisen parlamentarischer Demokratien pervertiert und korrumpiert.

Einer der festgenommenen Kämpfer. Bild aus einem Polizeivideo

Inzwischen wird die offizielle Darstellung der Regierung, wonach die Kämpfer von Kumanovo aus dem Kosovo eingedrungen waren, von vielen Beobachtern in und außerhalb Mazedoniens bezweifelt. Sicherlich besteht kein Zweifel daran, dass die im Kosovo offiziell aufgelöste UCK dort weiterhin den Ton angibt - trotz massiver Truppenpräsenz der Kfor. Auch die innenpolitische Entwicklung des Kosovo, ein Staat, der von der westlichen Staatengemeinschaft zu Beginn des Jahrtausends aus der Taufe gehoben wurde und aus dem seine Bürger inzwischen regelrecht flüchten, und das Anwachsen der linksnationalistischen Bürgerbewegung Vetevendosje, welche eine Groß-Albanien-Ideologie vertritt, hat direkte Auswirkungen auf die ethnische Stabilität Mazedoniens. Niemand sollte sich wundern, wenn die Frustration der Albaner nun ihre gesamte, vielfach aufgespaltene Nation erfasst und zur Gewaltanwendung inspiriert.

Einige der Bewaffneten, die sich ergeben hatten. Bild ais einem Polizeivideo

Beobachter weisen allerdings darauf hin, dass Selbstmordkommandos dieser Art, wie sie in Kumanovo in Erscheinung getreten sind, nicht der bisherigen Strategie der UCK entsprachen. Auch wird in sozialen Netzwerken und andernorts darauf hingewiesen, dass die mazedonische Regierung unter massivem innenpolitischen Druck steht, also vielleicht sogar ein Motiv gehabt hätte, den Vorfall zu inszenieren.

Seit Anfang des Jahres wird die mazedonische Öffentlichkeit sukzessive darüber informiert, in welchem Ausmaß die Bespitzelung und die Kontrolle von politischen Gegnern und Bürgern vorangeschritten sind. Die Opposition veröffentlichte Abhörprotokolle, welche einen Sumpf aus Misstrauen und Korruption offenbarten, in den die regierende rechtsnationale VMRO unter Ministerpräsident Nikola Gruevski sowie ihr albanischer Koalitionspartner versunken sind. Dagegen hat sich in Skopje eine Protestbewegung von Bürgern gebildet, die - erstmals in der Geschichte des Landes - multiethnisch ist. Ob Gewaltausbrüche wie jener in Kumanovo dazu führen, dass der ethnische Spaltpilz die Protestbewegung zersetzt, wird sich bald zeigen. Diese Entwicklung könnte die slawischen Mazedonier erschrecken, sogar zu existenziellen Ängsten führen. Noch bevor es zu einer utopischen Versöhnung der Volksgruppen käme, könnten die Gewehre von selbst losgehen. Der Balkan will nicht zur Ruhe kommen.