Rohingya: Was bleibt, ist das offene Meer

Die indonesische Marine schleppt sie aufs offene Meer. Thailand geht militärisch gegen sie vor. Malaysia macht die Grenzen dicht. Und in Myanmar droht der Völkermord.

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Es sind Bilder wie man sie in Europa nur zu gut kennt: Auf winzigen Holzbooten drängen sich hunderte Menschen eng zusammen. Viele sind ausgehungert und dehydriert. Ein Flüchtling berichtet von der Verzweiflung an Deck, als das Schiff abdrehte. In einem Auffanglager liegt ein weinendes Baby in den Armen seiner Mutter. Und im Fernsehen spricht ein Politiker davon, Schlepperbanden zerschlagen zu wollen. Nur diesmal stammen die Bilder nicht von den Küsten Libyens oder den Lagern Lampedusas. Im südostasiatischen Meer spielt sich momentan einen Flüchtlingskatastrophe ab, die jener im Mittelmeer in ihrem Ausmaß in nichts nachsteht.

Exodus aus der Bengalischen Bucht. Fischen ist die wichtigste Branche in diesem Teknaf-Dorf, fast alle Fischer sind nicht registrierte Rohingya. Bild: UNHCR/S.H. Omi

Die Internationale Organisation für Migration (IOM) hat das Drama Anfang der Woche öffentlich gemacht. Ihre Mitarbeiter gehören zu den wenigen, die vor Ort Kontakt zu den Flüchtlingen haben, die zu Tausenden keinen anderen Ausweg mehr sehen als das offene Meer. 3.000 Menschen seien noch im März per Boot aus Myanmar geflüchtet. Im April waren es schon 5.000 Rohingya, die aus Angst vor Armut und Verfolgung in ihrem Land die mehrere hundert Kilometer entfernten Küsten Indonesiens, Thailands oder Malaysias zu erreichen.

Die Lage sei prekär, sagte am Dienstag der Chef des IOM-Büros in Thailand-Büros, Jeff Labovitz. Die Boote seien überfüllt, Essen und Trinken werde knapp, Krankheiten breiteten sich immer weiter aus. Von 400 in Seenot geratenen Flüchtlingen berichtete die Nachrichtenagentur AFP am Montag. Unter ihnen mindestens 100 Frauen und 60 Kinder. Die indonesische Marine habe ihnen vor der Küste der Provinz Aceh Nahrung, Wasser und Medikamente übergeben und danach wieder zurück aufs offene Meer geschickt.

Mindestens 2000 Flüchtlinge sollen es allein in dieser Woche in Malaysia und Indonesien an Land geschafft haben, bevor nun auch Thailand seine Grenzen dicht gemachte hatte. Das Land war zuvor die erste Anlaufstelle für Flüchtlinge. Als Behörden an Land in Massengräber die sterblichen Überreste von 33 Menschen entdeckten, nahmen sie dies zum Vorwand, die Küste abzuriegeln.

Human Rights Watch berichtet, die Flüchtlinge seien von Schleppern ermordet wurden. Zu Tode gehungert und dann verscharrt. Thailands Armee reagierte mit einem Großeinsatz gegen Schlepperbanden entlang der Küste. 1000 Flüchtlinge seien aus den Händen der Schmuggler befreit worden, berichtet Thailands Armee-Cheff Udomedej Sitabutr im Fernsehen stolz. Was er nicht sagt: tausende Flüchtlinge müssen nun deshalb auf offener See ausharren.

Mindestens 7000 Flüchtlinge sind nach Angaben der IOM gefangen auf dem Wasser. "Sie werden geschlagen, bekommen keine Nahrung. So will man sie dazu bringen [an die Schlepper] zu zahlen", sagt der Sprecher der Internationalen Organisation für Migration (IOM), Joe Lowry, am Dienstag.

Bei fast allen Flüchtlingen handelt es sich um Rohingya, viele fliehen vor der Diskriminierung und Armut in Bangladesh, die meisten vor der Diktatur in Myanmar. Rund eine Million Angehörige der muslimischen Minderheit leben in dem mehrheitlich buddhistischen Land. Ihre Diskriminierung ist dort staatlich. Sie dürfen sich im Land nicht frei bewegen. Zugang zu Arbeit Bildung und Gesundheit sind stark eingeschränkt. Offiziell sind sie nicht einmal Bürger des Landes. In den letzten Jahren kam es immer wieder zu ethnischen Vertreibungen und Massakern. Tausende starben. Die Vereinten Nationen gaben den Rohingya den traurigen Titel der "am meisten verfolgte Minderheit der Welt". Hunderttausende leben nun in Lagern nahe der Stadt Sittwe. Ohne Aussicht auf ein besseres Leben.

Nach Zahlen des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen UNHCR versuchten allein in diesem Jahr 25.000 Rohingya Myanmar und Bangladesh zu verlassen. Vom größten maritimen Flüchtlingsexokuds seit dem Vietnamkrieg ist die Rede. Mindestens 300 sollen bisher auf offener See gestorben sein, berichten Augenzeugen. Verhungert, verdurstet oder von Schleppern ermordet.

Eine Hoffnung blieb ihnen noch bis Anfang der Woche: Das wirtschaftlich starke und mehrheitlich muslimische Malaysia hieß in der Vergangenheit Rohingya-Flüchtlinge meist willkommen, auch weil sie zu billigeren Löhnen arbeiteten als die einheimische Bevölkerung. Doch auch dieser letzte Zufluchtsort scheint ihnen nun genommen zu werden: "Wir lassen keine ausländischen Boote mehr herein", erklärte der Chef der malaysischen Marine Tan Kok Kwee am Dienstag. Was bleibt, ist das offene Meer.