Frieden mit den Palästinensern? Nichts für Winner

Israel: Der neuen Regierung stehen schwierige Zeiten bevor

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"Da hat sich Bibi selbst ins Bein geschossen", lauteten viele Kommentare zur israelischen Regierungsbildung sechs Wochen nach den von Regierungschef Netanyahu herbeigeführten Neuwahlen. Am Donnerstagabend wurde die neue israelische Regierung vereidigt, mit Gezänk in der Regierungspartei, Gelächter auf der Oppositionsbank und Tumulten im Parlament. Hatte Bibi die letzte Regierungskoalition nicht absichtlich platzen lassen, um stabile Verhältnisse mit ihm als gestärktem Regierungschef zu schaffen?

Sollte dies der Plan gewesen sein, scheint er tatsächlich nicht aufgegangen zu sein, denn mit 61 von 120 Sitzen in der Knesset hat die ultranationalistisch-religiöse Regierungskoalition nur eine papierdünne Mehrheit.

Avigdor Lieberman, das (Vorsicht: Euphemismus!) "enfant terrible" der israelischen Politik muss Netanjahu mit seinem dreisten Last-Minute-Move ziemlich ins Schwitzen gebracht haben. Kurz bevor die gesetzlich festgelegte Frist zur Regierungsbildung ablief, gab er seinen Ausstieg aus den Koalitionsverhandlungen bekannt. Zwar hatte er die Zusage Netanjahus, wieder den Posten des Außenministers zu erhalten, Lieberman und Netanjahu gelten aber seit dem Gaza-Krieg als stark zerstritten.

Standing Ovations für George W. Bush in der Knesset, 2008. Bild: PD-USGOV-POTUS; gemeinfrei

Letztlich war die Oppositionsrolle für Lieberman reizvoller. Netanyahu blieb nichts übrig, als einen weiteren Koalitionspartner zu suchen. Wäre es ihm nicht geglückt, eine Koalition mit Mehrheit der Knessetsitze zusammenzubringen, hätte Präsident Rivlin einen anderen Parteiführer, vermutlich Oppositionsführer Herzog vom Zionistischen Lager, mit der Regierungsbildung beauftragt.

Liebermans Begründung für seinen Rückzieher, die neu gebildete Koalition, die von Beobachtern als "die rechteste aller Zeiten" charakterisiert wird, sei zu weit links, lässt schon darauf schließen, wie er die Opposition besetzen wird.

Ein weiterer Grund für Liebermans Rückzug aus der Regierungskoalition mögen die herben Stimmenverluste seiner Partei gewesen sein. Für ihn ginge eine Rechnung auf, in der er die Regierung wieder von rechts angreift und so Stimmen am äußerst rechten Rand abgreift. Schon im Gaza-Krieg war es Liebermans Strategie den Hardliner Netanjahu als Weichei dastehen zu lassen.

Dass Lieberman mit seiner antireligiösen politischen Agenda nicht in eine Koalition mit zwei religiösen Parteien eintritt, zeugt immerhin von einer gewissen Konsequenz. Im Nachhinein macht seine Entscheidung auch deshalb Sinn, da der im heutigen Moldawien geborene Politiker in der neuen Koalition seinen Status als Rechtsaußen der Regierungsmannschaft wohl endgültig verloren hätte. So machen die Mitglieder der Siedlerpartei, Haus Israel, Lieberman in Sachen Nationalismus gehörige Konkurrenz.

Justizministerin Ayelet Shaked: "Das ganze palästinensische Volk ist unser Feind"

Der Posten der Justizministerin für den relativen Politikneuling Ayelet Shaked war Parteiführer Naftali Bennetts Preis für die Koalitionsbildung nach Liebermanns Rückzug. Diese Besetzung hat dabei einige Brisanz, denn das israelische Justizsystem ist für Bennetts Partei ein linker Haufen, den es politisch stärker zu kontrollieren gilt.

Mit Ayelet Shaked als Justizministerin habe man eine Pyromanin zur Chefin der Feuerwehr gemacht, kommentiert ein Abgeordneter aus der Opposition.

Bisher sorgte Shaked vor allem mit ihren Aussagen zur Feindschaft mit den Palästinensern und zur Siedlungspolitik für Aufsehen. In einem später gelöschten Facebook-Post zitierte sie einen Text, der sich ausgiebig mit dem "Krieg mit den Palästinensern" befasste. Man solle endlich offen eingestehen, dass alle Palästinenser, nicht nur die Palästinensische Autorität, der Feind seien, den man in einem Krieg auch so behandeln müsse. Dazu zählten auch Frauen, Ältere und Kinder: "kleine Schlangen".

Wie offen sie ihre Einstellungen als Justizministerin zukünftig zur Schau stellen wird, bleibt abzuwarten. Da aber hunderte facebook-Nutzer den "Gefällt-mir"-Button betätigten oder den Beitrag teilten, hat sie wenig Grund, sich zu verstecken. Spätestens seit dem letzten Gaza-Krieg 2014 scheinen in Israel viele rhetorische Dämme gebrochen und offen rassistische oder auch zu Gewalt gegen Araber aufrufende Äußerungen sind gesellschaftlich kaum mehr verpönt.

Von politischer Etikette und political correctness weitgehend verabschiedet

Überhaupt drängt sich der Eindruck auf, dass man sich in Israel nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch in der Politik von politischer Etikette und political correctness weitgehend verabschiedet hat. So zog Shakeds Partei mit dem Slogan "Wir entschuldigen uns nicht mehr!" in den Wahlkampf.

Parteiführer Bennett erklärte, er habe in seinen Leben schon viele Araber getötet und er sähe kein Problem damit. Lieberman wiederum hatte zum Köpfen disloyaler arabischer Staatsbürger aufgerufen.

Netanjahu selbst gewann die letzte Wahl wohl auch deshalb, da er davor warnte "Horden von Arabern" würden durch die Linken zu den Wahlurnen gekarrt.

Sollte es jemals einen gemeinsamen Boden geteilter politischer Kultur zwischen "der einzigen Demokratie im Nahen Osten" und den "westlichen Demokratien" gegeben haben, hat Israels derzeitig herrschende politische Klasse diesen schon lange verlassen. Das zeigen nicht nur die zumeist gegen Araber gerichteten rassistischen Äußerungen vieler Politiker, sondern auch das außenpolitische Gebaren.

Netanjahu zögert nicht, die US-Administration auf allen Ebenen und vollkommen öffentlich vor den Kopf zu stoßen. Mit der EU oder den europäischen Staatsoberhäuptern wird kaum mehr als müde und durchsichtige Rhetorik ausgetauscht.

Man trifft sich zu Kranzniederlegungen und Gedenkfeiern, um die gegenwärtige politische Lage in Nahost geht es kaum noch. Der Ausbau der Siedlungen auf palästinensischem Gebiet - die stets nach vorn gestellte conditio sine qua non europäischer Friedensbemühungen in Nahost - wird ohne den Gebrauch irgendwelcher Feigenblätter konsequent weiterbetrieben.

Frieden mit den Palästinensern ist kein Winner-Thema

Benjamin Netanjahu ist mit seinem erneuten Wahlsieg dabei, David Ben-Gurion, eine zentrale Figur im israelischen Gründungsmythos, als amtierender Ministerpräsident zu überholen. Der unerwartete Sieg wird dem Bild vom "Magier" Netanjahu weiteren Glanz zufügen, dabei hat Bibi sich erneut als absoluter Machtmensch gezeigt, dessen Rezept aber so einfach wie erfolgreich war.

Eine politische Strategie muss der auf sie gerichteten Gesellschaft und der herrschenden politischen Kultur entsprechen. Im gesellschaftlich heterogenen Israel gilt es durch sehr gezielte Ansprache bestimmte Wählersegmente für sich zu mobilisieren. Das hat Netanjahu getan und damit gepunktet. Isaac Herzog, der im Wahlkampf auf den Bereich Soziales setzte, hat im Grunde dieselbe Strategie verfolgt, war aber einfach weniger erfolgreich.

Dass sich beide nicht dem großen und von außen betrachtet vorherrschenden Thema Nahostkonflikt zuwandten erscheint uns, die wir Israel fast nur in diesem Licht sehen, bemerkenswert, hat aber ebenso rationale politische Gründe. Die israelische Bevölkerung wird seit langem mit dem Thema der äußeren Bedrohung und des Primats der Sicherheit getrieben.

Die prekäre Sicherheitslage des Staates und der Bevölkerung sind unbestritten, dass sie aber von Politikern jeder Couleur sowie den israelischen Medien immer wieder für ihre eigenen Zwecke instrumentalisiert wurde, hat in eine ausweglose Situation geführt. Sicher gibt es in Israel Bevölkerungsgruppen, die sich für den Frieden mit den Palästinensern einsetzen - erfreulicherweise scheint deren Anteil sogar zu wachsen.

Der weit größere Bevölkerungsteil wird aber von Panik bis Angst und Resignation beherrscht. Das Rezept, wie diese Menschen über das Thema Frieden und Sicherheit wieder erreicht werden sollen, hat bisher noch kein Politiker gefunden. Frieden mit den Palästinensern ist in Israel kein Winner-Thema.

Dem vierten Kabinett Netanyahu wird mit der knappen Regierungsmehrheit eine schwierige Legislatur prophezeit. Man ist relativ einhellig der Meinung, dass die neue Regierungskoalition nicht lange - schon gar nicht bis zum Ende der Wahlperiode halten wird. Netanyahu sei mit nur einer Stimme Mehrheit erpressbar und zu stark von den vier kleineren Koalitionspartnern abhängig.

Auch die internationale Isolation wird als Sargnagel der neu gebildeten Regierung gesehen. Die Frage ist, ob diese schwierigen Umstände irgendjemanden, vorneweg Netanjahu selbst, überhaupt interessieren. Denn bisher wird Bibi, der Magier, für seine Politik vom Wähler nicht abgestraft, sondern kann sich weiterhin in seinen Wahlerfolgen sonnen.