Unverfrorene Scheinheiligkeit der US-Regierung

US-Außenminister Kerry gibt sich in Südkorea als großer Verteidiger eines freien, sicheren und offenen Internet, als ob es die Snowden-Enthüllungen und die NSA-Überwachung nie gegeben hat

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Unverfroren zeigt sich US-Außenminister John Kerry bei seiner Rede im südkoreanischen Cyber Law Center. Als hätte es die Enthüllungen von Edward Snowden nicht gegeben, stellte er die USA als die große Verteidigerin eines offenen und sicheren Internet vor, dieser "außergewöhnlichen Ressource" und "neuen Grenze" (frontier) für die amerikanische und südkoreanische Regierung und für deren Völker.

Nach Kerry "glaubt Amerika" daran, dass das Internet offen und für jeden zugänglich sein soll, dass es international interoperabel sein und Meinungsfreiheit herrschen soll. Das Internet soll dazu dienen, "die Transparenz der Regierungen zu verstärken und diese verantwortlich zu machen". Es sei ein demokratisches Medium, in dem jeder im Prinzip dieselbe Stimme haben kann, ein Student genauso wie ein Milliardär.

US-Außenminister verkündet die Internetpolitik der USA. Bild: state.gov

Kerrys Philosophie scheint in der realitätsfernen Erkenntnis zu gründen, dass wir uns für das entscheiden, woran wie glauben, was irgendwie mit dem Gefühl der Freiheit zu tun habe. Da eben seien die USA groß. Man wolle die Meinungsfreiheit hier und überall in der Welt, allerdings nicht um Gewalt zu schüren oder Betrug zu begehen. Und dann sagt der Außenminister der Nation, deren Geheimdienst NSA alles auf der Welt abhört, was nur irgend geht:

Aber wir wissen, dass manche Regierungen jede Entschuldigung, die sie finden können, nutzen, um ihre Kritiker zum Schwiegen zu bringen, und dass sie auf den Aufstieg des Internet reagiert haben, indem sie ihre Anstrengungen verstärkt haben, das, was die Menschen lesen, sehen, schreiben und sagen, zu kontrollieren.

Die USA haben bekanntlich mit der Begründung der Terrorbekämpfung die Überwachung des Internet ausgebaut, vor allem im Ausland. Kerry will allerdings sagen, dass es nur die anderen Staaten, beispielsweise Nordkorea, sind, die Gründe für die Internetüberwachung vorschieben. Nordkorea würde nicht nur zensieren, auf was die Menschen zugreifen können, sie würden die Mittel der Repression auch exportieren und damit die Rechte der Einzelnen schmälern, als ob nicht Überwachungstechnik aus den USA exportiert wird, mit der just dies gemacht wird. Kerry versteigt sich sogar dazu, dass die USA angeblich im Unterschied zu vielen anderen Staaten, "Schritte" unternommen hätten, "um die Privatsphäre der Bürger anderer Länder zu achten und zu schützen". Das sagt er ausgerechnet in dem Augenblick, als klar wurde, dass die NSA den BND einsetzte, um europäische Politiker und Wirtschaftsunternehmen auszuspähen, während die US-Regierung klar gemacht, dass sie kein No-Spy-Abkommen mit Deutschland eingehen will. Kerry will glauben machen, dass die US-Geheimdienste nur Daten sammeln, "um die sehr spezifischen Bedrohungen der USA und unserer Alliierten" abzuwehren. Das heiße keineswegs, dass man Sicherheitsbedenken als "eine Entschuldigung zur Unterdrückung der Kritik unserer Politik" verwende oder "einer amerikanischen Firma einen Vorteil verschaffen" wolle.

Die Rede von Kerry ist, weil sie bar jeder Selbstkritik ist und pure Propaganda verkündet, geradezu eine Einladung, die Ideologie zu hinterfragen und bloß zu stellen. Den Menschenrechten tut sie einen Bärendienst, schließlich haben die USA unter Bush die Menschenrechte nicht groß interessiert, wenn Menschen verschleppt, gefoltert und rechtlos inhaftiert wurden, vom völkerrechtswidrigen Einmarsch in den Irak aufgrund von konstruierten Lügen einmal ganz abgesehen. Es ist schon erstaunlich, eine solche Schizophrenie in Aktion zu sehen, von Zweifeln ungebrochen, als ob nicht auch junge Amerikaner die Ungerechtigkeit in Bezug auf Rassismus, Polizeigewalt und Vorherrschaft der Reichen angeklagt hätten. Das gibt es aber nur in anderen Ländern.

Kerry preist die innovativen Aspekte des Internet für die einzelnen Menschen an, die Zugang zum Internet haben, und fordert, dass dieser für jeden erschwinglich sein sollte. Über das Monopol der US-Internetkonzerne schweigt er sich natürlich aus. Er stellt sich hinter den Wunsch der jungen Menschen nach Jobs, einer Ausbildung, nach Zukunft, aber äußert sich nicht dazu, dass die USA angeblich die freie Meinungsäußerung weltweit fördern, aber die Grenze mit einem Zaun und mit Soldaten dicht machen wollen.

Kerry stellt die USA so dar, als würde das Land zunehmend unter Cyberangriffen leiden, aber für "Cyberstabilität" eintreten und niemanden angreifen:

Kein Land dar eine Online-Aktivität durchführen oder unterstützen, die willentlich die Nutzung der kritischen Infrastruktur eines anderen Landes schadet oder diese behindert. Zweitens sollte kein Land versuchen zu verhindern, dass Notfallteams auf einen Cybersicherheitsvorfall reagieren, oder seinen Teams erlauben, Schaden zu verursachen. Drittens sollte kein Land den cybergestützten Diebstahl geistigen Eigentums, von Geschäftsgeheimnissen oder anderen vertraulichen Wirtschaftsinformationen aus kommerziellen Gewinn ausführen oder unterstützen. Viertens sollte jedes Land bösartige Cyberaktivität vom eigenen Boden aus auf zurechenbare und transparente Weise bekämpfen. Und fünftens sollte jedes Land alles tun, was es kann, um Staaten zu helfen, die Opfer eines Cyberangriffs werden.

Wenn diese Prinzipen beachtet würden, würde man in einer sichereren Cyberwelt leben, verkündet Kerry, der bei aller Ausrufung des "Cyberpeace" droht, dass die USA sich den Einsatz aller Mittel vorbehalten, um die USA und die Alliierten vor was auch immer zu schützen. Kerry verweist auf inakzeptables Verhalten seitens Nordkorea, das angeblich den Angriff auf Sony Pictures durchgeführt haben soll, allerdings soll sich die NSA nach den Snowden-Dokumenten auch in chinesische Server gehackt haben. Nein, so geht es nicht mehr. Das war vielleicht in den Zeiten des Kalten Kriegs möglich, als es die Guten und die Bösen gab. Aber anscheinend kann man weiter als Vertreter der Supermacht so verfahren. Man kann nur darauf hoffen, dass deutsche Politiker die bar jeder Selbstreflexikon formulierte US-Ideologie etwas zurechtrücken. Aber von der Regierung ist da wohl kaum etwas zu hoffen, schließlich soll ja das Handy der Kanzlerin nicht mehr abgehört werden und der BND den Lakaiendienst für die NSA eingestellt haben. Und wenn die US-Regierung oder die NSA das bestätigen, glauben wir das natürlich.