Wilfried Scharnagl fordert Partnerschaft mit Russland "auf Augenhöhe"

Der langjährige Bayernkurier-Chefredakteur und Franz-Josef-Strauß-Intimus plädiert für eine Änderung der westlichen Ukraine-Politik

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Wer den Namen Wilfried Scharnagl hört, der assoziiert meist Franz Josef Strauß damit. Dem CSU-Übervater soll sich bei einer Buchvorstellung vor 31 Jahren wie folgt über den langjährigen Bayernkurier-Chefredakteur geäußert haben: "Er schreibt, was ich denke, und ich denke, was Scharnagl schreibt."

Am Donnerstag den 21. Mai 2015 stellt Scharnagl wieder ein Buch vor - und es wäre durchaus interessant, was Franz Josef Strauß, dazu sagen würde, wenn er nicht schon 1988 verstorben wäre. Scharnagl fordert in der beim Keyser Verlag erscheinenden Streitschrift Am Abgrund nämlich eine ganz andere Politik, als sie die CSU, die CDU und die ganze westliche Welt derzeit betreiben, wenn sie dem russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin mehr oder weniger alleine die Schuld am Ukraine-Konflikt geben.

Für Scharnagl ist das nicht nur ein "einseitiges Urteil", sondern sogar "weniger als die halbe Wahrheit". Er fordert, dass sich die deutsche und die gesamte westliche Ostpolitik nicht ohne Not auf den falschen Gegensatz "Anti-Putin" vs. "Pro-Putin" reduzieren darf, sondern Russland "auf Augenhöhe" als Partner akzeptiert. Dass man diesen Weg nicht schon 1990 beschritt und stattdessen als Sieger des Kalten Krieges agierte, ist für den sudetendeutschen Publizisten nicht nur eine verpasste "historische Gelegenheit", sondern der "Urfehler" der Krisen von Heute. Besonders kritisiert Scharnagl in diesem Zusammenhang die Erweiterung der NATO, sie erfolgte, obwohl man Russland das Gegenteil in Aussicht gestellt hatte.

Wilfried Scharnagl. Foto: Harald Bischoff. Lizenz: CC BY-SA 3.0

Das Vorwort zu Scharnagls Streitschrift stammt von einem Mann, mit dem man damals diesen Weg möglicherweise besser gehen hätte können als mit Boris Jelzin, der sein Land durch kopfloses Privatisieren ins wirtschaftliche Chaos stürzte: Michail Gorbatschow fühlt sich 25 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges vom Westen "enttäuscht" und "betrogen". Das Vertrauen zwischen den beiden Ländern ist seinem Eindruck nach "zusammengebrochen". Und er wundert sich, dass das bloße Bemühen, Russland verstehen zu wollen, in deutschen Massenmedien inzwischen eine eindeutige Negativzuschreibung ist. In dieser Tabuisierung liegt seiner Ansicht nach der Kern des Problems. Durch sie gibt es keine Analysen mehr, sondern nur noch Etiketten.

Am Abgrund wird allerdings nicht das erste Buch sein, mit dem sich Scharnagl deutlich vom aktuellen CSU-Mainstream absetzt: Sein im letzten Jahr veröffentlichtes Plädoyer für ein besseres Europa ging mit der Brüsseler Bürokratie, die "das Demokratieprinzip löchrig und die Subsidiaritätsidee zur hohlen Phrase macht", deutlich kritischer um, als das Horst Seehofer Parteimitgliedern erlaubt, die auf ihn hören müssen. Das Vorwort dazu schrieb Peter Gauweiler, der im März sein Bundestagsmandat und seinen Sitz im CSU-Parteipräsidium abgab, nachdem man ihn zwingen wollte, in Euro-Fragen gegen Wahlversprechen und das geltende Parteiprogramm zu stimmen.

Zwei Jahre vorher hatte Scharnagl mit Bayern kann es auch allein noch größeres Aufsehen erregt: Darin zeigt er, dass der traditionsreiche 12-Millionen-Einwohner-Freistaat auch (und möglicherweise besser) ohne Mitgliedschaft in der Berliner Bundesrepublik zurechtkommen würde. Dem Focus sagte Scharnagl damals, in solch einem selbständigen Bayern könnten die Bürger "das Recht der demokratischen Entscheidung über ihr Land behalten und dort, wo es verloren gegangen ist, wiedergewinnen".

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