Überwachungsnetze über den Dächern Wiens

In Österreich tut sich was in Sachen Datenschutz

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Wenn es um die datenschutzpolitischen Entwicklungen im europäischen Raum geht, dominieren Meldungen über Deutschland, Großbritannien und Frankreich die Medien. Dabei sind die Blicke auf die anderen Staaten, gleichgültig ob in der EU oder nicht, weder unwichtig noch irrelevant.

Nicht zuletzt bei der Vorratsdatenspeicherung (VDS) war es anfangs auch eine konzertierte Aktion in vielen Ländern, die das Thema in den Fokus der Medien brachten. Doch seitdem sind zwar die sozialen und wirtschaftlichen Probleme in den Medien zu finden - das Thema Datenschutz und Bürgerrechte aber wird eher selten aufgegriffen. Nur ab und an wird ein "großes Thema" aus diesen Bereichen auch in den deutschen Medien prominent behandelt. Das allgemeine Wissen darum, was in Großbritannien vonstatten geht, ist weitaus größer als das von den Entwicklungen in den kleineren Ländern Europas.

Österreich hat eine lange Tradition des Datenschutzengagements. Bereits im Jahr 1999 wurde Vibe.at gegründet - ein "Verein für [die] Internet-Benutzer (sic) Österreichs", der sich bis heute für Datenschutzbelange einsetzt. In der Grundsatzerklärung listet der Verein auf, was ihm am Herzen liegt - zum Beispiel die Förderung der Verschlüsselung. Auf den Themenseiten finden sich neben den klassischen Datenschutzthemen auch das Freihandelsabkommen TTIP sowie die Idee des Netzschillings.

Viele der Vibe.at-Mitglieder sind auch in anderen Vereinen und Initiativen in Sachen Datenschutz und Bürgerrechte aktiv. Andreas Kritsch, der Obmann, sitzt seit 2013 im Datenschutzrat-Vorstand. 2002 gründete er den Dachverband European Digital Rights (EDRi) mit. Sein Engagement umfasst darüber hinaus Protest gegen das ACTA-Abkommen und die Mitarbeit im beim Forum Informationsfreiheit.

Geschäftsführer Thomas Lohninger, kämpft seit 2010 mit dem Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung Österreich (AK Vorrat Österreich) nicht nur gegen die VDS, sondern auch gegen den "Blindflug" der Ministerien, wenn es um aktuelle Fragen zur Überwachungssituation in Österreich geht.

Unwissenheit und das Amtsgeheimnis als Blockademittel bei Anfragen

Die eingelangten Antworten bestätigen leider unsere schlimmsten Vermutungen. Die heimischen Ministerien üben sich in Intransparenz und zeigen teilweise enorme Wissenslücken. Der Justizminister antwortet etwa, dass er keine Kenntnis von einem Antrag der Kriminalpolizei habe, im Rahmen eines Gerichtsprozesses einen so genannten Staatstrojaner einzusetzen. Uns liegen Akten aus einem Prozess vor, die eindeutig belegen, dass es eine derartige Anfrage an das Ministerium gab.

So lautet das bittere Fazit Christof Tschohls vom AK Vorrat, nachdem Antworten auf 43 Anfragen an sieben Ministerien eingingen, die Parlamentsklubs von Grünen und NEOS versandt hatten. Die Anfragen ergingen im Rahmen des AK-Vorrat-Projektes HEAT (Handlungskatalog zur Evaluierung von Anti-Terror-Gesetzen) und zeigen, dass schon die bestehende Situation kritikwürdig ist. Die eingebrachten Anfragen beinhalteten 355 Einzelfragen. Nur etwas mehr als ein Viertel wurde vollständig beantwortet, knapp 28 % jedoch gar nicht und etwa ein Fünftel nur mit Hinweis auf Amtsverschwiegenheit. Das Amtsgeheimnis wurde selbst dann als Grund für verweigerte Antworten genutzt, wenn es um das Thema Rechtsschutz ging.

Neues Staatsschutzgesetz

Doch statt inne zu halten, soll die Überwachungsstruktur in Österreich weiter ausgebaut werden - ein neues Staatsschutzgesetz soll verabschiedet werden. Dieses könnte, salopp gesagt, den feuchten Träumen einiger Überwachungsfetischisten entsprungen sein, wie die zehn zentralen Punkte zeigen.

Besonders elegant wurde im Gesetzesentwurf die Frage des Rechtsschutzes gelöst. In seiner Stellungnahme dazu meint der AK Vorrat:

Im Entwurf ist für diesen Bereich nur eine Planstelle im Innenministerium vorgesehen, der noch dazu die Akteneinsicht verwehrt werden kann, wenn die Behörde eine 'Gefährdung der öffentlichen Sicherheit' als Argument anführt. In welchem Fall diese 'Gefährdung der öffentlichen Sicherheit' jedoch vorliegt, kann die Behörde selbst beurteilen. Das heißt, sie selbst bestimmt, wo sie sich kontrollieren lässt. Eine unabhängige (parlamentarische) Kontrolle sucht man im Entwurf des Innenministeriums vergebens.

Wer das Thema Datenschutz in Österreich anspricht, der kommt an einem Namen nicht vorbei: Erich Möchel, nicht zu Unrecht auch als "Urgestein der Datenschutzszene" angesehen. Der Journalist, Ex-Redakteur der Futurezone, Autor von Theaterstücken und Romanen und passioniertes Mitglied des Österreichischen Versuchssenderverbandes, war Mitgründer des Vereins Quintessenz, der nicht nur jährlich die Big Brother Awards in Österreich durchführt, sondern auch die Linuxwochen veranstaltet.

Die Enfopol-Papieren machten Erich Möchel (zusammen mit Christiane Schulzki-Haddouti und Duncan Campbell) als investigativen Journalisten bekannt. Seit Edward Snowdens Enthüllungen macht er klar, was diese für Österreich bedeuten, seziert die Überwachungsstrukturen in Wien und stellt dazu Karten und Fotos zur Verfügung, um das Ausmaß der Überwachung und den Apparat dahinter zu illustrieren.

Engagement auch fernab der Initiativen

Doch das Engagement für Datenschutz und Bürgerrechte endet nicht bei den "großen Initiativen" oder Vereinen. Im Zuge des BND-Skandals hat sich die österreichische Regierung entschlossen, Anzeige gegen Unbekannt zu erstatten, und verlangt inzwischen volle Aufklärung.

Da die sozialen Netzwerke eine immer größere Rolle im Leben der Menschen spielen, sei natürlich auch Europa vs. Facebook nicht außen vor gelassen - der von Maximilian Schrems gegündete Verein zur Durchsetzung des Grundrechts auf Datenschutz, der dem Salzburger seit 2010 diverse Preise als Verteidiger der Bürgerrechte einbrachte - u.a. als "Privacy Champion Award", verliehen von der Bürgerrechtsorganisation EPIC.

Ein Blick auf die Datenschutzszene im Nachbarland Deutschlands lohnt sich also durchaus - und es wäre zu wünschen, dass das Interesse daran steigt. Nicht zuletzt auch, weil die Themengebiete und auch die politischen Begehrlichkeiten in anderen Ländern fast identisch sind.