OECD: Ungleichheit steigt seit 30 Jahren kontinuierlich

Im OECD-Bericht soll mit den Zahlen vor allem damit zur Aktion aufgefordert werden, weil steigende Ungleichheit das Wirtschaftswachstum beeinträchtigen soll

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die Ungleichheit in der Gesellschaft steigt weiter an. Die OECD hat in ihrem neuen Bericht "In It Together: Why Less Inequality Benefits All" deutlich gemacht, dass seit Bestehen der OECD die Ungleichheit noch nie so hoch gewesen ist. Der Trend ist ziemlich eindeutig. Jetzt haben die reichsten 10 Prozent ein 9,6-fach höheres Einkommen als die ärmsten 10 Prozent, in den 1980er Jahren lag das Verhältnis noch bei 7,1, in den 1990ern bei 8,1 und in den 2000ern bei 9,1. Bergab ging es nicht nur für die Ärmsten, sondern für die ganze Schicht der unteren 40 Prozent. Die Drift geht kontinuierlich auseinander, die Regierungen scheinen, egal welcher Couleur, nicht in der Lage oder unwillens zu sein, dem entgegenzusteuern.

Ein Drittel aller Arbeitsplätze in den OECD-Ländern sind zeitlich befristet, Halbzeit-Jobs oder selbständig. Seit Mitte der 1990er Jahren sind mehr als die Hälfte der neuen Jobs atypisch, allerdings müsste man dann eher sagen, die Vollarbeitsplätze werden allmählich atypisch. Die Zahl der Haushalte, die auf das Einkommen aus nichttraditionellen Jobs angewiesen ist, stieg entsprechend, bei diesen liegt die Armutsrate auch deutlich höher, weil die Löhne in der Regel geringer sind. Frauen, junge Menschen und weniger gut Gebildete haben eher atypische Arbeit.

Der Bericht argumentiert, dass durch die wachsende Ungleichheit mit dem Absinken eines großen Teils der Bevölkerung auch das Wirtschaftswachstum geschwächt werde. Geschätzte 4,7 Prozent des möglichen Wachstums seien zwischen 1990 und 2010 nicht erzielt worden, weil durchschnittlich die Ungleichheit um 2 Gini-Punkte gestiegen ist. Sie wäre noch größer, wenn nicht die Erwerbstätigkeit der Frauen angestiegen wäre, auch wenn sie oft weniger verdienen als Männer, die OECD geht von 15 Prozent aus. Der gestiegene Anteil der Frauen in Vollarbeitsplätzen und mit höheren Löhnen hat zudem für einen geringeren Anstieg der Ungleichheit geführt.

In Deutschland sprechen die Zahlen nicht für die Bundesregierung. Beim Gini-Koeffizienten, dem Maß für Ungleichheit, liegt Deutschland im Mittelfeld. Anders als in den meisten Ländern hat die Krise nicht dazu beigetragen die Ungleichheit zu verstärken, die bereits unter Rot-Grün seit Beginn der 2000er Jahre deutlich angestiegen war. Die Konzentration des Reichtums ist in Deutschland aber überdurchschnittlich hoch. Besitzen die reichsten 10 Prozent in Deutschland 60 Prozent der Nettohaushaltsvermögen, so sind es im OECD-Durchschnitt 50 Prozent. Die 40 ärmsten Haushalte hatten 2012 in den OECD-Ländern gerade einmal einen Anteil am Gesamtvermögen von 3 Prozent.

Bedenklich ist vor allem, dass nicht mehr die Alten am stärksten armutsgefährdet sind, sondern die Kinder und jungen Menschen. Das sei ein Trend, der schon 30 Jahre lang anhält und durch die Krise verstärkt wurde. Dazu kommt, dass die ärmsten Schichten weniger Zugang zur Bildung haben, steigt der Gini-Koeffizient, sinkt die Wahrscheinlichkeit noch stärker, dass Kinder aus den unteren 40 Prozent einen Hochschulabschluss erhalten. Je ärmer die Menschen werden, desto weniger können sie in Ausbildung investieren. Die Ungleichheit ist in Chile und Mexiko am höchsten, der Gini-Koffezient liegt auch für die USA und die Türkei noch über 0,4. Die geringste Ungleichheit findet man in Dänemark, Schweden, der Slowakei, Norwegen und Island.

Eine hohe Ungleichheit zwischen Arm und Reich gefährdet, wie die OECD sagt, nicht nur das Wirtschaftswachstum, sondern auch die soziale Kohäsion, den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Der Anstieg der Ungleichheit sei, so der Bericht, "so tief in den ökonomischen Strukturen eingebettet, dass er schwer umzukehren ist". Eine Änderung sei aber "dringend" notwendig. Dabei will man bei der OECD aber nicht sagen, dass die wachsende Ungleichheit selbst das Problem ist, sondern die daraus resultierenden negativen wirtschaftlichen Folgen. Es sei schließlich auch nicht jede Maßnahme zur Minderung der Ungleichheit gut, nämlich wenn sie auf Kosten des Wirtschaftswachstums geht.

Gefordert seien strukturpolitische Veränderungen. Am wichtigsten sei es, Frauen weiter in den Arbeitsmarkt zu integrieren, hochqualifizierte Arbeitsplätze zu schaffen, die Chancengleichheit auf den Weg zu bringen, die Bildung zu verbessern und über Steuer- und Sozialsysteme eine gewisse Umverteilung zu bewirken. Seit Mitte der 1990er Jahre wurden die Steuern für hohe Einkommen und Vermögen gesenkt und damit die Umverteilung vor allem auf Kosten der unteren 40 Prozent verringert. Die Wünsche der OECD werden vermutlich erst einmal Wünsche bleiben und an den politischen Realitäten und der Sparpolitik abprallen.